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Für
die passive Temperierung von Gebäuden ist die Geometrie des Baukörpers
neben den energetischen Eigenschaften der Hülle einer der entscheidenden
Faktoren. Die Geometrie bestimmt die Größe der Grenzfläche
zwischen den beiden energetischen Sphären des Innen- und des Außenraums.
Im klimagerechten Bauen der 70er und 80er Jahre wollte man den energetischen
Austausch zwischen diesen beiden Bereichen möglichst minimieren,
um den Wärmeaustausch zu verringern. Daher forderte man möglichst
kompakte Baukörper mit einer geringen Außenoberfläche.
Die Natur scheint dieses Prinzip energetischer Optimierung zunächst
zu bestätigen: Bei den Tieren kälterer Klimazonen ist die Körperoberfläche
klein gehalten, um den Wärmeaustausch mit der Umwelt zu verringern.
Doch wenn wir die Lebewesen genauer untersuchen, stellen wir fest, das
einige ihrer Organe, die das Verhältnis von Innen zu Außen
regulieren, auf dem gegensätzlichen Prinzip der Oberflächenmaximierung
beruhen. Die Lunge, die für den Gasaustausch verantwortlich ist,
hat eine höchst kunstvoll vergrößerte Oberfläche.
Mit Hilfe von Millionen kleinster Lungenbläschen verfügt die
6 Liter große menschliche Lunge über eine Austauschoberfläche
von 100 qm. Ebenso hat der 2m lange Dünndarm, über den die Nährstoffe
in den menschlichen Körper gelangen, eine mit Hilfe unzähliger
Faltungen und Zotten vergrößerte Oberfläche von 200 qm.
Daß bei Lebewesen die Oberflächen zur Luft- und Nährstoffaufnahme
maximiert sind, ist bei Pflanzen noch offensichtlicher: Mit einer Blattoberfläche
von über 1000 qm kann ein ausgewachsener Laubbaum die Sonneneinstrahlung
optimal einfangen und optimal ventilieren.
Auch bei Gebäuden erfolgt die natürliche Belichtung, Belüftung
und Besonnung über die Außenhaut. Will man diese optimieren,
so wird man eine möglichst große Austauschoberfläche bevorzugen.
Dieses Konzept wurde von Architekten in den 20er Jahren verfolgt. Ihre
Absicht war, ein Maximum an Licht, Luft, Sonne zu garantieren. Das Haus
sollte sich zum Außenraum öffnen, von Licht, Luft, Sonne durchdrungen
sein. 'Die Sonne einführen, das ist eine neue und die gebieterische
Aufgabe des Architekten.' hieß es in der von Le Corbusier 1943 herausgegebenen
Charta von Athen. Man verstand die natürliche Umwelt als einen positiven
Faktor, den man so weit wie möglich für das Gebäude nutzen
wollte. Denn - so schrieb Le Corbusier 1942: 'Isoliert von seiner natürlichen
Umwelt stirbt jeder Organismus'. Le Corbusier war es, der die interessantesten
und weitesgehenden architektonischen Ideen für eine optimale Verknüpfung
von Haus und Umwelt entwickelte. Er entwarf neue Formen der räumlichen
Organisation, die durch eine Maximierung der Grenzfläche zwischen
Innen- und Außenraum beide Bereiche eng miteinander verzahnten.
Der Luftschwamm
1922 stellt
Le Corbusier erstmals sein Konzept der Immeubles-Villas vor. Seine Idee
dabei war, für den innerstädtischen Geschoßwohnungsbau
einen Wohnungstyp zu entwickeln, der den gleichen Komfort bietet wie eine
freistehende Villa. Um trotz der verdichteten Bauweise ein Maximum an
Licht und Luft zu bieten, ergänzt er jede Maisonettewohnung mit einem
zweigeschossigen, hängenden Garten: 'Jede Wohnung ist in Wirklichkeit
ein zweistöckiges Haus, eine Villa mit Ziergarten, gleichgültig
in welcher Höhe sie liegt. Dieser Garten bildet eine Wabe von 6 m
Höhe, 9 m Breite und 7 m Tiefe, gelüftet durch einen großen
Schacht von 15 m im Durchmesser; die Wabe ist eine Lunge; das Haus gleicht
einem Riesenschwamm, der Luft aufsaugt: das Haus atmet.' (Urbanisme, 1925).
Die Durchsetzung des Baukörpers mit Leerräumen wiederholt sich
auf der nächst höheren Maßstabsebene: In der für
den 'Pavillon de l'Esprit Nouveau' überarbeiteten Fassung der Immeubles-Villas
ist die wabenförmige Bebauung um einen Park im Blockinneren gruppiert.
Durch die mehrfache schwammartige Durchlöcherung des Baukörpers
wird dessen Oberfläche vielfach vergrößert, wodurch die
Belüftung und Belichtung optimiert wird.
Le Corbusier weist selber darauf hin, welches Vorbild ihn zu dieser eigenwilligen
Baukörperform inspiriert hat. 1933 schreibt er in seinem Buch 'La
Ville Radieuse': 'Mir ist bewußt geworden, daß die Lunge der
Schlüssel zum Leben ist ... Eben jetzt, wo ich am Schreiben bin,
lege ich meinen Füller nieder und schlage ein Physiologiebuch für
Medizinstudenten auf, um nach beeindruckenden Fakten zu suchen. Ich bin
mir sicher, daß sie dort zu finden sind. Hier sind sie, klar und
einfach erklären sie unsere Pflichten: 'Die Lungen sind die wesentlichen
Atmungsorgane; in den Lungen wird dunkles Blut in rotes Blut umgewandelt...
Die Umwandlung tritt auf dank des Gasaustausches zwischen dem Blut und
der Außenluft... In der Lunge ist der Raum, der durch Luft ausgefüllt
werden kann, in hohem Maße vermehrt dank der Lungenbläschen,
die eine Oberfläche von schätzungsweise 200 qm bilden .... Und
die unzähligen, feinverzweigten Blutgefäße bilden eine
Fläche von 150 qm.''
Le Corbusier
nennt bereits 1922 seinen Entwurf der Immeubles Villas eine 'Geschlossene
Siedlung in Alveolenform': Das französische Wort Alveole heißt
einerseits Wabe, aber zugleich ist es auch der medizinische Fachausdruck
für Lungenbläschen. Und tatsächlich ähnelt sein Siedlungsentwurf
einer Anhäufung von Lungenbläschen: Während die begrünten
Leerräume jeden Blocks der Luftzirkulation dienen, entsprechen die
Verkehrsadern den Blutkapillaren. Die Wohnung bildet die Grenzschicht,
die auf der einen Seite von Luft, auf der anderen von Verkehr umspült
ist. Daß
Le Corbusier die Architektur der Lunge in eine Gebäudeform überträgt,
ist noch weit aus überraschender, wenn man bedenkt, das es eigentlich
die einfachen primären Formen der platonischen Körper sind,
die er bevorzugt. Sein Entwurf für die 'Geschlossene Siedlung in
Alveolenform' basiert hingegen auf einer Formenwelt, die der klassischen
Geometrie fremd ist, und die wir erst seit kurzer Zeit mit der fraktalen
Geometrie beschreiben können. Eines der wichtigen Charakteristika
fraktaler Körper ist, das sie bei einem begrenzten Volumen eine (nahezu)
unendlich große Oberfläche haben. Als Beispiel dafür führt
Benoit Mandelbrot in seinem Buch 'Die fraktale Geometrie der Natur' eben
gerade die von Le Corbusier so detailiert beschriebenen Lungenbläschen
an.
Le Corbusiers
Entwurf der Immeuble Villas läßt sich auf die fraktale Geomterien
eines Sierpínski-Teppichs bzw. Mengerschen Schwamms zurückführen,
deren Form durch das wiederholte Ausschneiden von Löchern aus einem
Volumen entstehen. Man erhält ein Sierpinski-Teppich, indem man ein
Quadrat durch Drittelung der Kanten in neun gleich große Quadrate
teilt und das mittlere Quadrat entfernt. Sodann wiederholt man die Operation
mit jedem der acht verbliebenen Quadrate, indem man in der Mitte jedes
einzelnen ein quadratisches Loch ausschneidet. Verfährt man in entsprechender
Weise mit einem dreidimensionalen Kubus, so entsteht ein Mengerscher Schwamm,
der eine unendlich große Oberfläche hat, jedoch keinerlei Volumen
besitzt. In ähnlicher Weise verfährt Le Corbusier bei seinem
Entwurf für die Immeubles Villas, indem er auf jeder Maßstabsebene
- Stadt, Gebäudeblock, Wohnung - aus dem Bauvolumen Leerräume
ausschneidet. So entsteht ein 'Luftschwamm', dessen äußerst
große Oberfläche eine optimale Belüftung und Beleuchtung
ermöglicht.
Noch deutlicher als bei den Immeubles Villas wird das Prinzip des Luftschwamms
bei einem Projekt für vorstädtische Wohngebäude, die Le
Corbusier 'maisons alvéoles' nennt. Die mehrgeschossigen Häuser
sind in ganzer Tiefe von zweigeschossigen Gärten durchlöchert,
die jeweils mit einer ebenso großen zweigeschossigen Wohnung eine
Einheit bilden. Schachbrettartig wechseln sich volle und leere Volumen
miteinander ab. Die Gebäude sind mäanderförmige angelegt,
so daß sich das Wechselspiel von Voll und Leer in der Siedlungsform
wiederholt. Das Resultat dieser Form ist - so Le Corbusier: 'Die Sonne
dringt überall hin, ebenso die Luft.'
Das Prinzip der Auflockerung durch Luftwaben findet sich in dieser Zeit
bei fast allen seiner Entwürfen: Bei den Reihenhäusern für
Pessac von 1925 ebenso wie bei der Cité universitaire pour étudiants
von 1925, sozusagen einer horizontalen Wabenform, bei der die flächenhafte
Bebauung mit Lichthöfen aufgelockert ist, so daß Hofhäuser
entstehen. Und auch bei den Villen, bei dem zweiten Entwurf für die
Villa Meyer sowie bei der Villa Savoie, sind Luftwaben ein wichtiges Element
der Gebäudekonzeption. So beschreibt Le Corbusier in den 'Précisions'
von 1929 die Villa Savoie folgendermaßen: 'Die verschiedenen Zimmer,
die Beleuchtung und Aussicht durch das um das Haus herumlaufende Fenster
erhalten, führen strahlenförmig zu einem Hängegarten, der
gleichsam ein Verteiler von Licht und Sonne ist.Auf diesen Hängegarten
öffnen sich die Schiebeglaswände des Salons und mehrerer Zimmer
des Hauses: so kann also die Sonne bis ins Herz des Hauses gelangen....
Überall Luft und Licht.'
Die Faltung
So virtuos
Le Corbusier seine Idee des Luftschwamms bei unterschiedlichsten Gebäudetypen
anwendet, erweist sie sich doch für das Hochhaus als ungeeignet,
vor allem bei den Größendimensionen, die Le Corbusier dafür
vorschweben: Es soll bei einer Grundfläche von 150 m x 150 m 220
m hoch sein und bis zu 50.000 Angestellten Platz bieten. Durch diese unermeßliche
Größe ist das Problem der Beleuchtung und Belichtung nahezu
unlösbar geworden, denn der Außenflächenanteil je Raumeinheit
ist verschwindend gering. Durch die Vergrößerung des Volumens
reduziert sich der Anteil der Außenoberfläche, der je Raumeinheit
zur Verfügung steht. Immer weniger Fassadenfläche muß
immer mehr Innenraum belichten und belüften.
Rem Koolhaas beschreibt in seinem Buch Delirious New York diese geometrische
Eigenschaft sehr großer Gebäude und weist auf ihre gestalterischen
Implikationen hin: 'Die 'ehrliche' Fassade spricht über die Aktivitäten,
die sie verbirgt. Doch mathematisch gesehen vermehrt sich bei dem Wachsen
eines dreidimensionalen Objektes das Volumen in kubischen Sprüngen
und die umgebende Hülle nur in langsamer Oberflächenzunahme:
Immer weniger Oberfläche muß immer mehr innere Aktivität
repräsentieren. Jenseits eines kritischen Punktes zerbricht diese
Beziehung, das Gebäude wird zum Automonument.' Der Innenraum wird
unabhängig von der Fassade und somit auch vom Außenraum. Das
Resultat ist die völlige Künstlichkeit des Gebäudeinneren.
Doch diese
will Le Corbusier gerade vermeiden: 'Der Zweck des Wolkenkratzers: ...
Zu garantieren, daß dieser für intensive Arbeit vorgesehene
Ort ausgestattet ist mit Ruhe, frischer Luft, Tageslicht, riesigem Horizont,
weiten Ausblicken... Luft, Licht, Freude.' (La ville radieuse, 1933).
Dies scheint mit dem riesenhaften Volumen sehr großer Gebäude
unvereinbar. Der einzige Ausweg: Ein riesenhaftes Gebäude, das nur
aus Außenwand besteht und eigentlich kein Volumen hat. Und so entwirft
Corbusier seinen 'kartesianischen Wolkenkratzer' als Faltung einer Fläche.
Oder anders gesagt: Le Corbusier faltet das Volumen des Baukörpers
auf, bis er trotz seiner riesenhaften Dimensionen nur noch eine minimale
Gebäudetiefe besitzt. Zunächst entfaltet er das Volumen zu einem
Kreuz. In einem zweiten Schritt faltet er die Außenseiten jedes
Kreuzarms sägezahnförmig auf. Die Vorteile der so entstandenen,
ungewöhnlichen Gebäudegeometrie beschreibt Le Corbusier 1933
in seinem Buch 'La ville radieuse': 'Diese Form bietet die maximal mögliche
Fassadenfläche, daher die maximale Fensterfläche, daher die
maximale Lichtmenge. Die Büros haben nie eine Tiefe von mehr als
7 Meter, gemessen von der völlig verglasten Oberfläche der Fassade:
Es gibt daher keine dunklen Büros.' 'Die Hochhäuser baden in
Licht und Luft.'.
Corbusier
nennt den von ihm entworfenen Baukörper einen 'radiateur', einen
Strahlensender von Licht. 'Radiateur' ist der französische Ausdruck
für Heizkörper oder Heizstrahler. Und tatsächlich sehen
seine kartesianischen Hochhäuser aus wie zwei kreuzförmig zusammengesteckte
Heizkörper. Le Corbusiers Idee ist, daß in der Weise, wie ein
Heizkörper Wärme abstrahlt, die gläserne Fassade Licht
in den Innenraum ausstrahlen soll.
Auch diese von Le Corbusier entwickelte Form läßt sich mit
fraktaler Geometrie beschreiben. Sie ähnelt einer Kochschen Kurve,
die durch die wiederholte Faltung der Umrißlinie einer Dreiecks-Fläche
entsteht und unendlich lang ist, obwohl sie nur einen endlich großen
Flächeinhalt begrenzt. Derartige fraktale Auffaltungen finden sich
ebenfalls in der Natur: der Dünndarm des Menschen ist auf drei Maßstabsebenen
gefaltet, wodurch die ursprüngliche Oberfläche um das 300 -
1600 fache vergrößert wird.
Auf Faltung
beruhen auch die von Le Corbusier entwickelten mäanderförmigen
Siedlungsformen für Algier und die Ville Radieuse. Durch die Faltung
linearer Baukörper sollen hierbei große Areale flächendeckend
mit gut durchlüfteten und beleuchten Gebäuden bebaut werden.
In ihrer extremen Ausformulierung muten uns Le Corbusiers Entwürfe
exotisch an, aber das dabei formulierte Prinzip der Faltung finden wir
in der Baugeschichte sehr großer Gebäude wieder. Und zwar eben
genau dann, wenn auf eine künstliche Klimatisierung verzichtet wird.
So stellte
Steven Holl fest, das die amerikanischen Hochhäuser vor dem Aufkommen
künstlicher Klimatisierung max. 16 m tief waren. Große Baugrundstücke
wurden daher mit flächenfüllenden linearen Gebäuden in
Mäanderform bzw. Buchstabenformen bebaut. Nachdem sich Ende der 20er
Jahre die Klimatisierung von Gebäuden in Amerika allgemein durchgesetzt
hatte, verzichtete man auf eine natürliche Belüftung und Beleuchtung
zugunsten einer höheren Grundstückausnutzung. Kompakte Baukörper
mit sehr großen Gebäudetiefen waren die Folge. Seit anfang
der 70er Jahre ist man wieder aufgrund der Ölkrise und der gesundheitlichen
Beschwerden in klimatisierten Räumen darum bemüht, Gebäude
natürlich zu belichten und zu belüften. Bei großen Gebäuden
erfodert dies eine Vergrößerung der Außenoberfläche,
wie sie von Le Corbusier angedacht worden ist. So entwickelte der amerikanische
Architekt Kevin Roche für die 120.000 qm Nutzfläche umfassende
Hauptverwaltung von Union Carbide (1976-82) eine fraktal aufgefächerte
Gebäudeform. Durch Faltung wurde die Oberfläche des Gebäudes
verdreifacht, was die natürliche Belichtung und Belüftung aller
Büros ermöglicht.
Die Entwicklung sehr großer Gebäude zeigt, daß die energetisch
optimale Gebäudeform für verschiedene Gebäudegrößen
unterschiedlich ist. Soll die Beleuchtung und Belüftung auf natürliche
und somit passive Weise erfolgen, muß die Außenoberfläche
eines Gebäudes im Verhältnis zum Volumen ausreichend groß
sein. Während bei kleinen Gebäuden dafür kompakte Baukörper
ausreichend sind, erfordern große Gebäude Baukörper mit
maximierter Oberfläche.
Eine solche Abhängigheit zwischen Größenordnung und optimaler
Geometrie finden wir auch in der Natur wieder. Das Volumen der Gehirne
von Säugetieren variiert zwischen 0,3 und 3000 ml. Die Hirnrinde
ist bei kleinem Hirnvolumen glatt, bei großem Hirnvolumen gefaltet,
unabhängig vom Intelligenzgrad. Um das offenbar erforderliche Oberflächen-Volumenverhältnis
konstant zu halten, wird das Hirn um so mehr gefaltet, je größer
es ist.
Optimale Gebäudegeometrien
Die Frage
nach der energetisch optimalen Gebäudegeometrie ist schwieriger zu
beantworten als bisher angenommen wurde: Während für die Reduzierung
des Heizenergiebedarfs geringe Oberflächen von Vorteil sind, wird
die Besonnung, Belichtung und Belüftung durch große Gebäudeoberflächen
verbessert. Die bisherigen Ansätze des energiesparenden Bauens beruhen
auf einer Reduzierung der Energieflüsse zur Heizenergieeinsparung.
Le Corbusier geht von der gegenteiligen Idee der Maximierung der Austauschprozesse
aus. Dahinter steht die Vorstellung vom fließenden Raum. Innen und
Außen sollen in einem offenen Autausch zueinander stehen und eng
miteinander verbunden sein.
In Hinsicht auf ein optimales Raumklima ist weder eine absolute Reduzierung
noch eine absolute Maximierung der Energieströme erstrebenswert.
Für die einzelnen Parameter - Licht, Luft, Wärme - sind die
Optima verschieden und sind auch im Jahresverlauf äußerst unterschiedlich.
Bei der energetischen Optimierung stellen die verschiedenen Energieflüsse
somit unterschiedliche Anforderungen an die Gebäudeform:
- Für eine Vermeidung von Wärmeverlusten sind geringe Oberflächen
vorteilhaft. Die Bedeutung der Oberflächengröße ist jedoch
abhängig von den Oberflächeneigenschaften. Bei einem konventionell
gedämmten Wohngebäude kann durch die Halbierung der Außenoberfläche
der Heizenergiebeadrf um 30% verringert werden. Bei einem sehr gut gedämmten
Niedrigenergiehaus wird durch die Halbierung der Außenoberfläche
der Heizenergiebedarf nur um 12% gesenkt. Hier spielen andere Faktoren
wie der Lüftungswärmebedarf eine wesentlich entscheidendere
Rolle.
- Zur Optimierung von solaren Energiegewinnen sind große, südorientierte
Flächen vorteilhaft. Gebäudehüllen mit transparenter Wärmedämmung
weisen auch in unserer Klimazone während der Heizperiode eine positive
Wärmebilanz auf. Die Transmissionswärmeverluste südorientierter
Flächen werden durch die solaren Wärmegewinne mehr als ausgeglichen.
Für das Energieautarke Solarhaus des Fraunhofer Instituts Freiburg
wurden verschiedene Gebäudegeometrien unter Berücksichtigung
solarer Wärmegewinne untersucht. Als am besten erwies sich hierbei
ein langgestreckter, nach Süden orientiert Baukörper mit einem
Verhältnis Breite zu Tiefe von ca. 3:1.
- Für eine natürliche Lüftung und Beleuchtung darf im allgemeinen
die Baukörpertiefe nicht mehr als 15 m betragen. Das heißt,
das Verhältnis von Außenfläche zu Volumen sollte ein bestimmtes
Minimum nicht unterschreiten. Je größer ein Gebäude ist,
desto aufgelockerter muß die Gebäudegeometrie sein. Da eine
künstliche Beleuchtung und Belüftung eines Gebäudes wesentlich
mehr Primärenergie benötigt als die Beheizung, sollte die Verringerung
des Heizenergiebedarfs durch Oberflächenminimierung in keinem Fall
die natürliche Beleuchtung und Belüftung verhindern.
Aus den
widersprüchlichen Anforderungen ergibt sich, daß nicht eine
bestimmte Gebäudeform energetisch ideal ist. Je nach Oberflächeneigenschaften,
Gebäudegröße und benötigtem Temperierungs- und Beleuchtungsniveau
sind unterschiedliche Gebäudegeometrien vorteilhaft. Da Sonne und
Wind gerichtete Energieströme sind, wird die jeweilige optimale Gebäudeform
nicht zu jeder Seite gleich sein, sondern zur Maximierung oder Minimierung
von Energieflüssen sich den jeweiligen Energieströmen zu- oder
abwenden.
Energetisch gesehen gibt es keine absolute Trennung zwischen innen und
außen. Energieströme können nicht völlig unterbunden
werden, man kann sie lediglich regulieren, verstärken oder schwächen.
Der energetische Raum fließt. In der klassischen Moderne wurde man
sich erstmals dieser dynamischen Prozesse bewußt. Man versuchte,
Gebäude in Hinsicht auf Energie- und Verkehrsflüsse zu organisieren
und die Austauschprozesse zu maximieren. In Abkehrung von der klassischen
Vorstellung klar abgegrenzter Räume sprach man vom fließenden
Raum. Durch
die Beschäftigung mit dem Energiehaushalt von Bauten hat die Idee
des fließenden Raums eine neue Bedeutung erlangt. Dabei deutet sich
heute ein neues, differenzierteres Verständnis vom fließendem
Raum an, das der japanische Architekt Toyo Ito folgendermaßen umschreibt:
'Mit dem Entwerfen von Architektur werden Verwirbelungen in den Strömungen
von Wind, Licht und Schall geschaffen. Entwerfen von Architektur heißt
weder, daß man Dämme gegen die Strömung baut, noch daß
man sich ihr überantwortet.' Vielmehr geht es darum, sich der vorhandenen
Strömungen bewußt zu werden und diese zu regulieren. Durch
die Durchlässigkeit und Dichte der Raumumschließungsfläche
wird das energetische Feld eines Raums moduliert. Werden die Raumumschließungsflächen
nicht als Grenzen, sondern als Austauschflächen aufgefaßt,
führt dies zu anderen Formen. Le Corbusiers Idee von der Fassade
als 'radiateur', als Lichtstrahler, veranlaßte ihn, völlig
neue Gebäudeformen zu entwickeln.
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