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Reyner
Banham unterscheidet in seinem Buch 'the architecture of the welltempered
environment' zwei Arten der Raumbildung, die konstruktive und die energiegestützte
Lösung. Unser Architekturverständnis ist bisher von der konstruktiven
Lösung geprägt: Raumbildung durch massive Konstruktionen, durch
Wände, Böden und Decken, die den Einfluss der Umwelt passiv
neutraliseren. Intelligente Gebäude und Nomadenvölker bevorzugen
hingegen die energiegestützte Lösung: Ein Raum wird durch Energie
gebildet, z.B. ein Lagerfeuer, das Wärme und Licht spendet. Die Raumgrenzen
sind vage, der Raum in Zonen unterschiedlicher Helligkeit und Wärme
differenziert. Die Umwelt wird aktiv moduliert. Der Energiefluß
ist steuerbar.
Diese Steuerbarkeit ist die Grundlage der Reaktionsfähigkeit und
Veränderbarkeit des intelligenten Gebäudes. Gab es in der traditionellen
Architektur zwar variable Elemente für den Sonnenschutz (wie Klappläden,
Markisen, Gardinen) und die Innenaufteilung (wie Paravents, Möbel,
Schiebetüren), so ermöglicht erst die energiegestützte
Haustechnik seit Ende des 19.Jahrhunderts eine grundlegende Wandelbarkeit
von Raum und Architektur.
Architektur und Haustechnik
Mit der
Industrialisierung im 19. Jahrhundert zieht die Haustechnik in das Gebäude
ein. Leitungen für Gas, Strom, Wasser, Lüftung, Telefon durchlöchern
die massiven Wände und Decken der Häuser. Die Haustechnik bestimmt
mehr und mehr Funktion und Raumerlebnis. Die künstliche Beleuchtung
verwandelt dunkle Straßen in Vergnügungsboulevards, Aufzüge
erschließen der Architektur neue Höhendimensionen, Telefone
verschmelzen entfernte Räume miteinander.
Doch all das kümmert die Architekten der klassischen Moderne wenig.
Beeindruckt von den grossen Ingenieurbauten des 19. Jahrhunderts interessieren
sie sich mehr für die neuen Materialien Stahl, Glas, Beton. Von der
Haustechnik fühlen sie sich gestört, durchkreuzen doch deren
Leitungen den fließenden Raum in ihren edlen architektonischen Kompositionen.
Zur selben Zeit entsteht hingegen in den USA eine Architektur, die in
einer gleichermaßen pragmatischen wie kompromißlos-modernistischen
Haltung die neueste Haustechnik anwendet und ihre Möglichkeiten für
die Architektur erschließt. Mit ihr entstand der neue Gebäudetyp
des Hochhauses, möglich geworden durch die Haustechnik. Die unideologische,
aber eigentlich radikale Moderne Amerikas wurde lange ignoriert und erst
seit 20 Jahren von einzelnen Theoretikern wie Reyner Banham, Manfredo
Tafuri und Rem Koolhaas für die Architekturgeschichte entdeckt.
Das amerikanische Hochhaus der 20er Jahre ist der Vorläufer des intelligenten
Gebäudes: Unabhängig von der permanenten Konstruktion eines
starren Tragskeletts wandelt sich der Innenraum, paßt sich den unterschiedlichen
Nutzungen an. 'Der Gebrauch jeder Etage kann nie im voraus bestimmt werden.
Die Stahlkonstruktion umrahmt die Ansammlung der Etagen, ohne sich in
die inneren Lebensvorgänge einzumischen' (Rem Koolhaas: Delirious
New York, New York 1978). Elektrizität, Klimatisierung und Telegraphen
konstituieren den Raum. So erscheinen die einzelnen Räume eines Hotels
im 80. Stockwerk eines New Yorker Hochhauses von 1909 'zwar auf den ersten
Blick konventionell ausgestattet mit Kaminen und Holztäfelung. Außerdem
gibt es aber eine Vorrichtung mit je sieben Luftreglern und Thermostaten,
die einmal mehr den antipragmatischen, ja poetischen Gebrauch großtädtischer
Infrastruktur demonstrieren: A = salzige Luft, B = frische Luft, C = trockene
salzige Luft, D = trockene frische Luft, E = medizinisch aufbereitete
Luft (gegen Krankheiten), F = Thermostat, G,H,I = parfümierte Luft.
Die Regler dieser techno-psychischen Batterien sind der Schlüssel
zu einer Reihe synthetischer Erfahrungen, die von hedonistischen bis zu
hypermedizinischen reichen. Einige Räume können auf Florida
eingestellt werden, andere auf Rocky Mountains. Parfüm und Inhalationsmöglichkeiten
eröffnen sogar noch abstraktere 'Reisemöglichkeiten'. Im 100stöckigen
Hochhaus ist jede Zelle so eingerichtet, daß jeder auf seine private,
existenzielle Reise gehen kann.' (Rem Koolhaas, Delirious New York). Dieser
individuell steuerbare Innenraum -Beispiel energiegestützter Raumbildung-
stellt das moderne Gegenstück zum Lagerfeuer der Nomaden dar und
offenbart die Möglichkeiten einer intelligenten Haustechnik.
Die Architektur der permanenten Konstruktion bleibt von der Haustechnik
nicht unberührt. Abgesehen von ihrem Bedeutungsverlust muß
sie der Haustechnik auch noch Platz machen, deren Serviceschächte
und Leitungen immer größeren Raum einnehmen. Erst Louis Kahn
erkennt Anfang der 50er Jahre dieses Problem und entwickelt ein Konzept
dienender und bedienter Räume. Für die Haustechnik sieht er
eigene, sogenannte 'dienende Räume' vor. Der bediente Raum bleibt
frei von technischen Installationen, die Haustechnik selbst kann erneuert
und verändert werden. Bei der Yale Art Gallery von 1951-53 versorgt
ein zentraler Installationskern die seitlichen Galerieräume über
eine Installationsdecke mit klimatisierter Luft und elektrischem Licht.
Mit dem Laborgebäude für das Salk Institute, La Jolla, Californien
von 1959-65 hat Louis Kahn dieses Konzept weiterentwickelt zu einer sandwichartigen
Schichtung alternierender Service- und Nutzgeschosse. Die Servicegeschosse
werden durch periphere Servicetürme versorgt und miteinander verbunden,
die gut zugänglichen Installationen sind austausch- und erweiterbar.
Diese die Nutzgeschosse ringsum umhüllende Schicht aus technischen
Installationen erlaubt eine völlig flexible Nutzung der Laborräume.
Das Konzept stellt eine optimale Integration des technischen Service in
die Architektur dar. Die klare Trennung dienender und bedienter Räume
ermöglicht das Paradox installationsfreier Geschosse mit maximaler
Ausstattung. Das Salk Institute ist Prototyp aller heutigen hochinstallierten
Gebäude, Grundlage der intelligent buildings.
Hardware und Software
Traditionell
war Architektur eine Komposition solider Körper im Raum. Mit dem
intelligenten Gebäude tritt neben die 'Hardware' fester Baumaterialien
und Konstruktionen die 'Software' der Immaterialien Luft, Klang, Klima,
Licht, Information und ihre intelligente Steuerung. Der Raum verwandelt
sich über die Zeit, reagiert auf unterschiedliche Umweltbedingungen
und Nutzungsanforderungen. Es reicht nicht mehr aus, einen festen Zustand
zu entwerfen und mit Grundriß, Schnitt und Aufriß festzulegen.
Die Veränderung über die Zeit, ein Programm oder Szenario muß
entworfen werden.
In den 20er Jahren begannen Architekten wie Erich Mendelsohn und die Gebrüder
Luckhardt über die unterschiedlichen Erscheinungen eines Gebäudes
am Tag und in der Nacht nachzudenken. Sie erzeugten durch den Einsatz
elektrischen Lichts ein vom Tagbild abweichendes nächtliches Erscheinungsbild
des Gebäudes, entwarfen also eine zweiphasige Architektur. Im Gegensatz
zur traditionellen Architektur paßten sich nicht bloß einzelne
Elemente der unterschiedlichen Tages- und Jahreszeit an, sondern es veränderte
sich die Erscheinung des gesamten Gebäudes. Entwürfe wie Mendelsohns
Kaufhaus Schocken sind Ausdruck einer neuen Vorstellung von Architektur:
Gebäude werden nicht mehr als etwas statisches angesehen, sondern
als dynamische Raumkörper, deren unterschiedliche Zustände entworfen
werden müssen.
Diese andere Vorstellung von Architektur findet man Ende der 20er Jahre
auch bei der Gestaltung von Innenräumen. Le Corbusiers erste Projekte
in dieser Hinsicht waren die Wohnhäuser Stuttgart-Weissenhof (1927)
und das Maison Loucheur (1929): Tagsüber diente die ganze Wohnung
als ein Wohnraum, nachts verwandelten Schiebetüren und Klappbetten
den Einraum in mehrere Schlafkammern. So wurde die knapp bemessene Wohnfläche
durch dem Lebensrhythmus angepaßte Funktionszuweisung optimal genutzt.
Die Wohnung existiert in den zwei Zuständen der Tages- und Nachtphase
(ebenso Ernst May mit Anton Brenner, Laubenganghäuser Frankfurt-Praunheim
1927-29 - das Konzept geht auf den Eisenbahnschlafwagen zurück).
Aber den
eigentlichen Schritt zu einer 4-dimensionalen Raum-Zeit-Architektur vollzog
Corbusier mit dem Philips-Pavillon für die Weltausstellung Brüssel
1959. Dieser Ausstellungsbau ist meines Wissens die erste elektronisch
gesteuerte, immaterielle Architektur. Le Corbusier: 'Ich werde keinen
Philips-Pavillon bauen, sondern ein elektronisches Gedicht. Es wird sich
alles im Inneren abspielen - Ton, Licht, Farbe und Rhythmus. Das Gedicht
wird acht Minuten dauern.' Die Architektur ist eine Inszenierung. Corbusier
interessiert sich nicht für den Entwurf des Baukörpers, für
die 'Hardware' - das überläßt er seinem Mitarbeiter Iannis
Xenakis. Er konzipiert die 'Software', die immaterielle Inszenierung des
Innenraums. Dafür entwickelt er ein neues architektonisches Entwurfswerkzeug:
'Wie müssen die Befehle erteilt werden? Wir mußten ein Werkzeug
erfinden, das die Gedankenübertragung erlaubt. Das Gedicht wurde
in Drehbuchalben aufgezeichnet. Es hatte vertikale Kolonnen und die Zeiteinteilung
geschah in horizontalen Streifen von je einer Sekunde. So ergaben sich
insgesamt 480 horizontale Streifen für acht Minuten. Die Partitur
synchronisierte hunderte von Elementen (Reihenfolge, Simultanität
usw.).' (Le Corbusier). Die Inszenierung des Raumes verändert sich
innerhalb der acht Minuten, aber das Programm ist festgelegt wie bei einem
Theaterstück oder einem Film. Im Gegensatz zu einem intelligenten
Gebäude ist das Gebäude unfähig zu reagieren. Es ist kein
intelligentes Gebäude, sondern sein konzeptioneller Vorläufer:
Das automatisierte Gebäude - bereits computergesteuert, aber nicht
interaktiv.
Den letzten Schritt zum intelligenten Gebäude vollzog der Freund
und Bewunderer Buckminster Fullers, der 'Vater' von Archigram und dem
Centre Pompidou - Cedric Price mit seinem Projekt Generator. 1976 entwarf
er den 'Generator' weniger als eine Anordnung von Baukörpern im Raum
sondern als eine Software, die die Wechselbeziehung zwischen Nutzer, Standort
und vorhandenen Ressourcen regelt. Das Programm ist nicht mehr ein vorbestimmter
Ablauf, sondern eine offene Struktur, die auf die Nutzerwünsche reagiert.
Die Aufgabe der Architektur ist, dem Nutzer zu dienen und ihm bei seinen
Aktivitäten zu stimulieren. Wenn der Computer von einer langen Passivität
des Nutzers 'gelangweilt' ist, nimmt er selbstätig Veränderungen
im Gebäude vor. Dies ist eine Umkehrung des Konzepts eines automatisierten
Gebäudes: Statt Entscheidungsfreiheit und Phantasie der Menschen
einzuschränken, wird sie geradezu provoziert.
Wenn man sich heute fragt, wie sich das technische Konzept eines 'intelligenten
Gebäudes' auf die Architektur auswirkt, so zeigt sich, daß
die hier knapp vorgestellten exprimentellen Entwürfe einer Randentwicklung
der Modernen Architektur bereits die wesentlichen Themen einer Architektur
des 'intelligenten Gebäudes' aufzeigen. Die aufgeführten Entwürfe
waren in ihrer kompromißlosen Modernität und Radikalität
meist utopisch und blieben unrealisiert. Heute aber ist mit der techischen
Revolution des 2. Maschinenalters das intelligente Gebäude zu einem
zentralen Thema der Architektur geworden. Ob die architektonischen Möglichkeiten
der neuen Technologien ausgenützt werden oder ob sie hinter einer
traditionell-konservativen Architektur verborgen werden, bleibt abzuwarten.
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Exemplarische Projekte :
-Le Corbusier: Philips Pavilon, in: Le Corbusier / Jean Petit, Le poeme
electronique, Paris 1960, und Badischer Kunstverein (Hrsg.): Le Corbusier.
Synthèse des Arts. Berlin 1986
-Cedric Price: Generator, Fun Palace u.a. in: Cedric Price, Works II,
London 1984
-Archigram: Living 1990 u.a., in: Peter Cook: Archigram, Basel 1991
-Richard Rogers Partnership: Lloyds London, in Architectural Review 10-1986
-Norman Foster Associates: Hongkong & Shanghai Bank in: Norman Foster,
buildings and projects, Volume 3, Watermark 1989, und Architectural Review,
4-1986
Weiterführende Literatur :
- Banham, Reyner: Die Architektur der wohltemperierten Umwelt. Arch+ 93,
Aachen 1988
- Koolhaas, Rem: Delirious New York, New York 1978, 1994 |