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Hoher
Energieverbrauch ist einer der wichtigsten Ursachen heutiger Umweltprobleme.
Der Betrieb von Gebäuden verzehrt über 40 Prozent des Energiebedarfs
der BRD. So benötigt ein gewöhnliches Bürogebäude
400 bis 600 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr. Das mit großem
Energieaufwand erzeugte Raumklima ist zudem ungesund: Nutzer klimatisierter
Räume leiden unter gesundheitlichen Beschwerden - dem sogenannten
Sick-Building-Syndrom.
Zur Lösung dieser Probleme reicht eine Verbesserung herkömmlicher
Bautechnik nicht aus. Eine neue Art, Architektur zu denken, ist notwendig.
Ein Haus ist nicht mehr als ein mit technischen Apparaturen ausgestattetes
Gehäuse zu begreifen. Das Haus selber ist als Klimagerät zu
entwickeln. Der Gegensatz zwischen diesen beiden Konzepten entspricht
dem Unterschied zwischen einem Motorboot und einem Segelschiff. In den
60er Jahren waren die Architekten von der Idee des Außenbordmotors
begeistert, als Prototyp fortschrittlicher Technik: 'Mit einem Außenbordmotor
läßt sich praktisch jedes schwimmende Objekt in ein steuerbares
Schiff verwandeln. Ein kleines, konzentriertes Maschinenpaket verwandelt
ein undifferenziertes Gebilde in einen Gegenstand mit Funktion und Zweck.'
So Reyner Banham 1967. Ein Segelboot hingegen kommt ohne Motor aus, weil
es selbst wie eine Maschine konstruiert ist. Der Rumpf hat einen minimalen
Strömungwiderstand, das Segel nutzt den Wind optimal aus und kann
unterschiedlichen Windverhältnissen angepaßt werden. Die Passagiere
sind Teil des Systems, mit ihrem Gewicht bringen Sie das Boot von der
Schräglage ins Gleichgewicht. In gleicher Weise ist das Haus als
Klimagerät zu entwickeln, als ein perpetuum mobile, das sich durch
die Ausnutzung der vorhandenen physikalischen Kräfte und nicht durch
einen künstlichen Antrieb am Laufen hält.
Um dies zu erreichen, ist es notwendig, das energetische Verhalten eines
Gebäudes genau zu kennen. In den letzten 20 Jahren hat man die Licht-,
Wärme- und Luftströme in Gebäuden analysiert. Dabei wurden
die Dynamik und die Komplexität des Klimaverhaltens von Gebäuden
offenbar. Das Raumklima ist kein statischer Zustand, sondern ein sich
ständig änderndes Fließgleichgewicht. Das Haus steht im
Austausch mit seiner Umwelt. Es reflektiert, filtert und absorbiert Energieströme,
speichert und transformiert sie. Zahlreiche Faktoren wirken zusammen:
So wird die Raumtemperatur unter anderem durch Sonneneinstrahlung, Außentemperatur,
Gebäudematerialien, Raumform, Lüftung, Abwärme von Menschen
und technischen Geräten beeinflußt.
Das klimatische
Verhalten eines Gebäudes ist zu komplex, um auf einfache Grundregeln
reduziert werden zu können. Es wurden daher Verfahren entwickelt,
mit denen das komplexe Verhalten simuliert und geplant werden kann. Klimasimulationen
ermöglichen es zu untersuchen, wie sich Umwelt und Nutzung, Gebäudeform,-
materialien und -technik auf das Raumklima auswirken. Nach zwanzigjähriger
Grundlagenforschung verfügen wir heute erstmals über ein Basiswissen,
das das Gebäudeklima kalkulierbar macht wie das Tragverhalten einer
Konstruktion. Mit Hilfe von Computersimulationen sind wir in der Lage,
Gebäude den natürlichen Energieflüssen optimal anzupassen.
Neue Konzepte der passiven Temperierung können entwickelt werden.
Durch den Einsatz neuer Techniken in der Planung kann auf Technik im Gebäude
weitgehend verzichtet werden. Mit der intelligenten Planung wird das Gebäude
selbst zum Klimagerät: Räume werden zu Lüftungskanälen,
Fenster und Türen zu Ventilen, Decken zu Lampen und Fassaden zu Heizkörpern.
Eine solche Planung setzt voraus, daß das Gebäude von Architekt
und Klimaingenieur gemeinsam entwickelt wird. Nur eine enge Zusammenarbeit
von Anfang an führt zu Gebäuden, die ein Minimum an Energie
verbrauchen und zugleich architektonischen Ansprüchen genügen.
Die Zusammenarbeit mit dem Ingenieur engt den Architekten in seiner Entwurfsfreiheit
nicht ein, im Gegenteil: Ihm werden keine festen Vorschriften auferlegt,
sondern Vorschläge gemacht, wie er natürliche Energieströme
zur Temperierung des Gebäudes nutzen kann. Ihm werden die Vor- und
Nachteile verschiedener Entwurfsalternativen aufgezeigt, so daß
er die Konsequenzen einer jeder Entwurfsentscheidung überschauen
kann. Durch die Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur wird das Gebäude
wieder in seiner Gesamtheit entworfen und die einzelnen Aspekte des Entwurfs
in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit geplant. Das erlaubt nicht nur,
Probleme frühzeitig zu erkennen, sondern eröffnet auch neue
Möglichkeiten. Positive Wechselwirkungen -Synenergien- zwischen einzelnen
Aspekten können entdeckt und ausgenutzt werden. Das Zusammenspiel,
das Ineineinandergreifen und die Wechselwirkung der einzelnen Faktoren
wird gestaltet. Gestalt, Konstruktion und Klimakonzept werden in eine
Gesamtlösung integriert, die aus den spezifischen Bedingungen und
Möglichkeiten der jeweiligen Bauaufgabe hervorgeht.
Diese ganzheitliche Betrachtung von Gebäuden führt zu integrierten
Klimakonzepten, bei denen das Gebäudeklima durch das Zusammenspiel
von Baukörper, Fassade und Haustechnik reguliert wird. In einem solchen
integrierten Konzept erhält die Fassade eine völlig neue Funktion:
Sie ist nicht mehr eine starre Grenze, sondern ein Vermittler zwischen
innen und außen. Sie nutzt die natürlichen Energieströme
zur Temperierung des Gebäudes.
Gebäude
sind ständig wechselndenden Umwelteinflüssen ausgesetzt. Die
Sonneneinstrahlung ist im Winter ein Zehntel so stark wie im Sommer. Tiere
wechseln ihr Fell, Pflanzen verlieren ihre Blätter und wir Menschen
tragen andere Kleider. Ein Gebäude, das energiesparend ist, muß
sich verändern. Es wurden daher Bauteile entwickelt, die durch die
Veränderung ihrer energetischen Eigenschaften die Energieströme
regulieren. Je nach Bedarf werden die zur Verfügung stehenden Energien
reflektiert, absorbiert, transformiert, gespeichert und weitergeleitet.
Die heutige Mikroelektronik ermöglicht, daß Gebäude Informationen
sammeln, verarbeiten und auf wechselnde Situationen reagieren. Sensoren
an der Fassade registrieren Sonneneinstrahlung, Temperatur und Wind. Die
Gebäudehülle verändert ihre Durchläßigkeit für
Wärme, Licht und Luft. Ebenso wie auf das wechselnde Wetter reagiert
ein solch 'intelligentes Gebäude' auf Veränderungen in der Nutzung.
Im Gebäude registrieren Sensoren die Anwesenheit von Menschen und
ihre individuellen Anforderungen an das Raumklima. Energie wird nur dann
eingesetzt, wenn sie tatsächlich gebraucht wird. Das Haus wird zu
einem offenen System, das auf Veränderungen in der Umwelt und der
Nutzung des Gebäudes dynamisch reagiert.
Nach der passiven Temperierung des traditionellen Bauens bis zum Ende
des 19.Jahrhunderts, der aktiven Temperierung bis in die 80er Jahre unseres
Jahrhunderts zeichnet sich heute das Konzept einer interaktiven Temperierung
ab. Während die passive Temperierung vorwiegend auf der Abwehr unerwünschter
Einflüsse des Außenklimas beruhte, die aktive Temperierung
durch technisch erzeugte Energieströme ein künstliches Innenklima
erzeugte, basiert die interaktive Temperierung auf der Verknüpfung
von Innen- und Außenklima: Das Gebäude wird durch natürliche
Umweltenergien temperiert, die Energieströme werden durch intelligente
Steuerung und die in ihrer Durchlässigkeit regelbare Gebäudehülle
reguliert.
Grundlegend
für dieses neue Klimakonzept ist die Informationstechnologie. Durch
die intelligente Planung und Steuerung wird das Haus zu einem technischen
Ökoystem, das in einem engen Austausch mit seiner Umwelt steht. Ökologie
und Technik sind kein Widerspruch mehr, im Gegenteil: Erst die neuen,
sanften Techniken ermöglichen eine ökologische Gestaltung von
Gebäuden, eine Wohltemperierte Architektur, die abgestimmt ist auf
die wechselnde Nutzung und die sich ändernde Umgebung. Johann Sebastian
Bachs 'Wohltemperierte Klavier' sind Klavierstücke für ein gut
gestimmtes Klavier, daß in 24 Tonarten gespielt werden kann. Ein
Klavier also, das verschiedene Stimmungen annehmen kann. Die Funktionalität
wohltemperierter Gebäude hat ihren eigenen ästhetischen Reiz:
Sie spielt mit dem Licht, mit Klang und Wärme. Es ist eine Architektur
wechselnder Stimmungen.
Das Buch
stellt das Konzept einer Wohltemperierten Architektur vor. Die Wohltemperierte
Architektur selber gibt es noch nicht. Sie ist im entstehen. Es gibt zahlreiche
Ansätze dazu, Konzepte für verschiedene Probleme, aber kaum
realisierte Beispiele. Wir stehen heute in einer Zeit des Umbruchs, in
der sich eine Synthese verschiedener, zuvor separater, nahezu gegensätzlicher
Entwicklungen -ökologisches Bewußtsein, technologische Innovationen
und wissenschaftliche Grundlagenforschung - abzeichnet. Die Resultate
zwanzigjährigen Forschens und Experimentierens in diesen verschiedenen
Bereichen scheinen nun zur Formulierung einer neuen Architektur zu führen.
Mit den
hier vorgestellten Konzepten ist es möglich, den Energieverbrauch
von Gebäuden auf unter 50 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr
zu senken, ein Bruchteil dessen, was heute üblich ist. Daß
diese Möglichkeit genutzt wird, erfodert nicht nur die Bereitschaft
der Architekten, neue Planungsmethoden und neue Technologien anzuwenden.
Sie erfordert auch eine andere Bauherrenschaft. Heutige Bauherren, oft
Investoren, die die Gebäude vermieten und nicht selber nutzen wollen,
sind vorallem an einer schnellen Amortisation und kurzfristiger Rendite
interessiert. Niedrige Baukosten sind wichtiger als die Senkung der Betriebskosten,
da letztere vom zukünftigen Mieter getragen werden. Diese kurzfristigen
Interessen der Bauherren stehen im Widerspruch zu den langfristigen Interessen
der Gesellschaft nach Senkung des Energieverbrauchs. In gewisser Weise
ist der Architekt Anwalt des Gemeinwohls, der die privaten Interessen
seines Bauherrens in den gesellschaftlichen Kontext integrieren soll.
Er muß sich Gedanken darüber machen, wie er seine Ideen durchsetzen
kann. Auch die Siedlungen des Neuen Bauens der 20er Jahre wären nicht
enstanden, wenn die klassische Moderne nicht zugleich ein politisches
und soziales Programm formuliert hätte. Erst die neuen Bauherren
- die Genossenschaften und die sozialdemokratisch regierten Kommunen -
realisierten den großen Teil der Bauten der klassischen Moderne.
Wenn es heute um die Verwirklichung einer ökologischen Architektur
geht, muß in gleicher Weise ein Instrumentarium entwickelt werden,
mit der diese in einem marktwirtschaftlich organisierten Bauwesen durchgesetzt
werden kann. Den langfristigen, gesellschaftlichen Interessen muß
durch höhere Energiepreise und strengere gesetzliche Anforderungen
Geltung verschafft werden. Erst so wird das Konzept der Wohltemperierten
Architektur in der allgemeinen Baupraxis umgesetzt werden können.
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