Philipp Oswalt & Myra Warhaftig | 1994
 
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   'Wohltemperierte Architektur' | Gebäudeklimatische Studien von Alexander Klein

'Licht, Luft, Sonne' war eine der zentralen Forderungen der klassischen Moderne. Sie war aus der Kritik an der Großstadt des 19. Jh. hervorgegangen. Die seit 1870 von Medizinern und Hygienikern durchgeführten Untersuchungen der Wohnverhältnisse von Arbeitern hatten gezeigt, das die hochverdichtete Bauweise der Mietskasernenstadt die Gesundheit der Bewohner beeinträchtigte und vielfach zu Krankheit und Tod führte. Die kleinen Wohnungen in den vielgeschosssigen Häusern lagen an nur 5,3 m x 5,3 m großen Hinterhöfen und waren daher völlig unzureichend belichtet und besonnt, ohne Querlüftung und zudem mit mangelhaften Sanitär- und Heizungsanlagen ausgestattet. Oft verfügte eine vielköpfige Familien nur über ein einziges Zimmer, meist schliefen mehrere Menschen in einem Bett. Um die teure Miete zahlen zu können, hatte manche Familie bis zu fünf Schlafgängern.

Das Leben in einer solchen engen, überbelegten Wohnung wurde zum Nährboden für unzählige organische und psychische Erkrankungen. Tausende starben aufgrund der schlechten hygienischen Verhältnisse an Cholera und Ruhr. Die mangelhaft belüfteten und belichteten Wohnungen förderten die Verbreitung von Tuberkulose, Rachitis, Lungenentzündung, Grippe und Diphterie. Die Ofenheizung erwies sich als weiterer Faktor für die Verbreitung der Krankheiten, denn sie lieferte keine gleichmäßige Erwärmung der Wohnung. Oft konnten die Familien aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation oder wegen Kohlenknappheit nicht genügend heizen, so daß die Wohnung zu kalt und damit auch zu feucht blieben.

Bereits im 19. Jahrhundert formulierten die Städtebaureformer R. Baumeister und J. Stübben Planungsanforderungen an den Städtebau, die eine übermäßige Verdichtung und die daraus resultierenden Mißstände unterbinden sollten. Mit ihren Ideen blieben sie aber Außenseiter. Die Diskussion wurde von romantischen Städtebauern wie Camillo Sitte geprägt, die einen Städtebau nach künstlerischen Gesichtspunkten forderten und sich für derartig praktische Fragen nicht interessierten. Die eigentliche Städtebaupraxis wurde zudem von den Interessen der privaten Bauherren dominiert, denen der wirtschaftsliberalistische Staat eine nahezu uneingeschränkte Baufreiheit und Planungshoheit eingeräumt hatte und denen nur an einer maximalen Überbauung ihrer Grundstücke gelegen war. So änderten sich die Wohnverhältnisse bis zum Ende des 1. Weltkriegs nicht.

Anfang der 20er Jahre enstand mit dem 'Neuen Bauen' eine Architekturrichtung, die den Gebrauchswert von Architektur und Städtebau zu ihrem zentralen Maßstab erhob. Neben einer funktionalen Raumorganisation und der Anwendung rationeller Bauweisen wurde die Forderung nach gesunden Wohnverhältnissen - nach 'Licht, Luft, Sonne' - zu dem zentralen Thema dieser Architekturbewegung. Städtebau sollte nicht mehr nach künstlerischen Gesichtspunkten und kapitalistischen Verwertungsinteressen erfolgen, sondern vor allem gesunde und behagliche Lebensverhältnisse garantieren. Daher wurde die Gewährleistung einer guten Besonnung, Belichtung und Belüftung zur wesentlichen Aufgabe des Städtebaus. Ziel war es, jeder Wohnung ein Maximum an Licht, Luft und Sonne zukommen zu lassen. Durch offene Bauweise wurden geschlossene, ungenügend durchlüftete Hinterhöfe vermieden. Die Forderung nach Querlüftung und gleichmäßiger Besonnung aller Wohnungen führte zum Zeilenbau. Damit alle Räume der Wohnung das ganze Jahr über Sonne erhielten, wurden die Zeilen vorzugsweise Nord-Süd ausgerichtet und die Wohnungen somit Ost-West orientiert. So konnte zwar die intensive Südsonne nicht genutzt werden, aber es gab auch keine unbesonnten Nordräume. Um die Besonnung dem Tagesverlauf der Bewohner anzupassen, wurden die Schlafräume zur Morgensonne (Osten), die Wohnräume zur Abendsonne (Westen) orientiert.

Neue Bebauungsformen

Während der Nord-Süd-Zeilenbau die kompromislose und konsequenteste Umsetzung hygienischer Erkenntnisse in den Städtebau war, erforderte die Berücksichtigung stadträumlicher und wirtschaftlicher Anforderungen vielfach andere Bebauungsformen. Unter Berücksichtigung von Sonneneinfallswinkeln und Luftzirkulation entstanden im Laufe der 20er Jahre eine Vielzahl von Vorschlägen für unterschiedlichste Arten offener und geschlossener Bauweisen, die ebenfalls eine gute Besonnung, Belichtung und Belüftung garantierten.

Einige der interessantesten Ideen dieser Art stammen von Alexander Klein. Er war einer der konsequentesten Vertreter des Funktionalismus gewesen und hatte sich sein ganzes Leben fast ausschließlich mit dem Wohnungsbau beschäftigt. Klein sah in der Verringerung der Baukörpertiefe von den damals üblichen 12-13 m auf 8-10 m eine unabdingbare Vorraussetzung für eine gute Besonnung und Belichtung der Räume. Zudem waren seiner Auffassung nach nur so gute Raumproportionen und eine funktionale Raumgruppierung der damals benötigten Kleinwohnungen möglich. Um die von ihm geforderten geringen Gebäudetiefen wirtschaftlich zu machen, entwickelte er neue Baukörpertypen, die trotz geringer Tiefe und guter Belichtung und Belüftung eine hohe Ausnutzung des jeweiligen Grundstücks ermöglichten. Einer seiner Lösungen für dieses Problem bestand in einer gefalteten Zeilenbebauung aus Zweispänner, die eine größere Anzahl von Wohnungen bei gleich großem Grundstück erlaubte als eine konventionelle Zeilenbebauung. Ein anderer Entwurf sah eine sägezahnförmige Zeilenbebauung mit Vierspännern vor, bei der alle Wohnungen durch ihre versetzte Anordnung über zweiseitige Belichtung und Belüftung verfügten. Ein weiterer Vorschlag war eine wabenförmige Bebauung, die auf der Addition eines Y-förmigen Haustypen beruhte. Mit diesem Dreispänner-Typ konnten tiefe Baugrundstücke flächendeckend mit hoher Dichte bebaut werden. Trotz Hofbildung und Blockrandschließung hatten alle Wohnungen Querlüftung und gute Lichtverhältnisse und erhielten zumeist auch Südbelichtung.

Neben den Versuchen, durch eine höhere Ausnutzung den Anteil der Grundstückskosten zu verringern, verfolgte Klein auch das Konzept, durch einer Verringerung der Erschließungsflächen im Gebäude die Kosten zu minimieren. So entwickelte er statt der damals üblichen Zweispänner auch Vierspänner, die er als freistehende H-Form ausbildete, um Querlüftung und gute Belichtung aller Wohnung zu ermöglichen. Ein weiteren Versuch dieser Art stellen seine Entwürfe für Laubenganghäuser dar, von denen er 1929 in Bad Dürrenberg einige realisieren konnte. Beim Laubenganghaus kann für eine größere Zahl von Wohnungen die Anzahl der Treppen wesentlich verringert werden, ohne daß sich Belüftung und Belichtung verschlechtern. Vielmehr können sogar alle Aufenthaltsräume nach Süden orientiert werden, was bei Gebäuden mit reiner Treppenerschließung nicht möglich ist.

Die hier kurz dargestellte Vielfalt neuer Bebauungsformen und Gebäudetypen enstand aus der gleichzeitigen Berücksichtigung gebäudeklimatischer wie wirtschaftlicher Anforderungen. Charakteristisch für Kleins Entwurfsmethode war, daß er die verschiedenen Anforderungen nicht isoliert betrachtete, sondern in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu optimieren versuchte. Er war bestrebt, Wohnungstypen von - wie er sagte -'maximaler Leistung' zu entwickeln. Mit einem Minimum an Aufwand suchte er einen maximalen Nutzen zu realisieren. Leistungskriterien für ihn waren dabei neben niedrigen Herstellungskosten und gesundem Raumklima die optimale Nutzbarkeit und eine harmonische Raumgestaltung der Wohnung. Die raumklimatischen Anforderungen beschrieb er folgendermaßen: 'Die Lage der Zimmer in bezug auf die Himmelsrichtungen und die Lage, Form und Abmessungen der Fenster müssen derart sein, daß die Räume die denkbar günstigste Beleuchtung erhalten, was vom hygienischen Standpunkt für die Behaglichkeit und damit für die günstige Beeinflussung unserer Psyche äußerts wichtig ist... Es ist wünschenswert, nach Möglichkeit die Schlafzimmergruppe nach Osten und die Wohngruppe nach Westen zu legen, um die Morgensonne in den Schlafzimmern und die Nachmittagssonne in den Wohnzimmern zu haben, so daß die Bewohner in der Lage sind, den Sonnenschein am weitgehendsten auszunutzen. Auch ist eine Lage der Schlafzimmer nach Westen wegen des späten Sonnenuntergangs im Sommer ungünstig, da die erwärmten Außenwände ihre Wärme allmählich der Zimmerluft mitteilen, wobei die Temperatur der letzteren zur Nacht steigt, wenn die Schlafenszeit eintritt.' Später ergänzt er die Forderungen nach Besonnung und Belichtung um Fragen der Belüftung und Beheizung. Er fordert eine 'Größe und Lage der Öffnungen, die eine direkte und ausreichende Belüftung aller Räume gewährleistet'. Ebenso verlangt er, das die 'Form und Lage des Baukörpers und auch die Größe und Lage der Öffnungen eine sparsame Beheizung zuläßt und keinen Zug und Kälteerscheinungen verursacht (z.B. gegenüberliegende Fenster, Fenster auf nicht besonnter Seite)'.

Besonnungs- und Belüftungsanalysen

Um die Qualität von Grundrißlösungen bereits im Entwurfsstadium beurteilen zu können, entwickelt Klein Analysemethoden, die deren Leistungsfähigkeit offenlegen sollten. Aus einer Entwurfszeichnung ist nicht unmittelbar ersichtlich, welche Gebrauchsqualität der betreffende Entwurf aufweist. Klein versucht daher, die nicht sichtbaren Qualitäten durch grafische Verfahren zu veranschaulichen. Dabei geht es ihm zunächst vor allem um funktionelle Bewegungsabläufe, Weiträumigkeit und harmonischen Raumeindruck. Er analysiert die Grundrisse durch Darstellung von Ganglinien und Bewegungsflächen, von Blickbeziehungen, Raumproportionen sowie Licht- und Schattenwirkung. Für die Beurteilung der raumklimatischen Qualitäten hält er zunächst die Einhaltung der oben genannten Grundprinzipien für ausreichend.

Für das Problem der Grundrißform entwickelt Klein ein weitergehendes Verfahren, mit dem er deren Leistungsfähigkeit in Hinsicht auf sparsamen Flächenverbrauch nicht nur überprüfen, sondern auch optimieren kann. Mit Hilfe einer grafischen Methode variiert er die Grundrißgeometrie solange, bis er für ein gefordertes Wohnprogramm eine minimale Fläche bei zugleich angenehmen Raumproportionen und funktionaler Raumgruppierung erhält. Das Problem der optimalen Gebäudegeometrie ist auch für die Anpassung eines Gebäudes an unterschiedliche Klimabedingungen entscheidend. Aber erst viel später wendet Klein ein solches Verfahren für gebäudeklimatische Fragen an, zunächst nutzt er es ausschließlich dazu, durch Flächenminimierung die Baukosten zu senken.

Mit der Weiterentwicklung seiner Analysemethoden rückt für Klein die Frage der Besonnung, Belichtung und Belüftung zunehmend in den Vordergrund. Anfang der 30er Jahre entwickelt er eine grafische Untersuchungsmethode, mit der er feststellen konnte, welche Raumbereiche zur einer bestimmten Tages- und Jahreszeit von Sonne beschienen werden. Die Methode basierte auf einer einfachen Schattenkonstruktion anhand allgemein bekannter Sonnenstandswinkel. 1931 wendet er dieses Verfahren erstmals bei dem Entwurf für ein erweiterbares Billigwohnhaus an. Klein hatte sich bei diesem Entwurf eines Anbauhauses - wie er selber sagte - 'die Ausnutzung der Sonne als Licht- und Wärmequelle zum besonderen Teil der Aufgabe gemacht.' Anhand der detaillierten Analyse der Besonnungsverhältnisse zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten zeigt er, daß der von ihm vorgeschlagene südorientierte, gestaffelte Grundriß in Frühjahr, Herbst und Winter eine gute Besonnung aller Räume bot und im Sommer die unerwünschte Sonneneinstrahlung weitgehend abhielt. Im Vergleich mit von ihm ebenfalls analysierten Alternativen in der Orientierung und Form des Baukörpers sowie in der Anordnung der Fenster zeigten sich die Vorzüge seiner Lösung. Das grafische Verfahren der Besonnungsanalyse war ihm so wichtig, das er dessen Erläuterung bei der Veröffentlichung der Arbeit mehr Platz einräumte als der Darstellung des eigentlichen Entwurfes. Es erlaubte ihm erstmalig, präzise Angaben über die Besonnung von Innenräumen zu machen. So konnte er die Vor- und Nachteile verschiedener Alternativen beurteilen und den Entwurf optimieren.

Das gleiche Verfahren wendet er auch an bei seiner Analyse der Ergebnisse des vom Berliner Messeamt ausgeschriebenen und dem Berliner Stadtbaurat Martin Wagner 1932 organisierten Wettbewerbs unter dem Motto 'Licht, Luft und Sonne für Alle'. Er überprüfte die prämierten Entwürfe für ein wachsendes Haus auf gute Besonnung, Belichtung, Belüftung sowie Heizenergieeinsparung. Für die Analyse der Besonnung wendet er seine grafische Untersuchungsmethode an. Zur präzisen Beurteilung der Tageslichtausleuchtung läßt er von einem Fachmann die Tageslichtquotienten ermitteln. Die Analyse der Arbeiten zeigt bei den meisten gravierende Mängel auf, so daß Klein zum Schluß kommt: 'Kein Licht! Keine Luft! Keine Sonne! und Kein Haus für Alle!'.

Klein wendet seine grafische Besonnungsanalysen wenig später auch bei städtebauliche Fragen an. 1934 untersucht er die gegenseitige Verschattung benachbarter Gebäude für verschiedene Jahres- und Tageszeiten. Daraus zieht er Schlußfolgerungen für eine günstige städtebauliche Anordung von Einfamilienhaussiedlungen.

Sein Interesse bleibt nicht auf Fragen der Besonnung und Belichtung begrenzt. Bereits Ende der 20er Jahre hatte Klein bei seinem Entwurf für die Versuchssiedlung Haselhorst begonnen, darüber nachzudenken, wie im Städtebau die Hauptwindrichtung berücksichtigt werden sollte, um eine gute Durchlüftung zu erzielen. Neben der Besonnung spielt bei seinem Entwurf die Durchlüftung eine wesentliche Rolle. Windschneisen in Hauptwindrichtung (West) durchziehen die Siedlung. In der Mitte bildet eine großzügige ebenfalls ost-west-ausgerichtete Grünanlage ein 'Frischluftzentrum im Herzen der Siedlung', das zudem mit dem westlich angrenzenden Grüngebiet, von Klein als 'Frischluftreservoire' bezeichnet, verbunden ist.

Anfang der 40er Jahre greift Klein das Thema wieder auf. 1933 war er nach Haifa (Israel) emigriert. Das dortige subtropisch-heiße Klima veranlaßte ihn, darüber nachzudenken, wie durch eine optimierte Durchlüftung ein angenehm kühles Raumklima erzeugt werden kann. Um unterschiedliche Lösungen besser beurteilen zu können, entwickelt er analog zu seiner Methode der Besonnungsanalyse ein grafisches Analyseverfahren, das das jeweilige Ausmaß der Durchlüftung aufzeigen soll. Er geht dabei davon aus, daß die Windströmung wie Sonnenstrahlen geradlinig in das Gebäude eindringt, was jedoch nicht den Tatsachen entspricht. Auf Grundlage dieser vereinfachenden Annahme unterscheidet er zwischen belüfteten und nicht belüfteten Flächen. In einem Diagramm untersucht er die Durchlüftung eines Zweispänners in Hinsicht auf jede beliebige Stellung zum Wind. Er variiert den Grundriß so, daß für die jeweilige Orientierung die bestmöglichste Durchlüftung gewährleistet ist, d.h. möglichst alle Aufenthaltsräume auf der windzugewandten Seite liegen. Steht das Gebäude parallel zum Wind, werden die meisten Räume so gut wie nicht durchlüftet. Steht das Gebäude hingegen quer zum Wind, werden alle Hauptaufenthaltsräume (Wohn- und Schlafzimmer) optimal durchlüftet und gekühlt. Aus den Ergebnissen dieser gebäudeklimatischen Untersuchungen ergibt sich für Klein der optimale Siedlungsplan: Er empfiehlt, für das Klima von Haifa Nord-Süd-orientierte Zeilen zur Grundlage des Städtebaus zu machen.

Vom hygienischen zum klimagerechten Bauen

Alexander Kleins intensive Beschäftigung mit gebäudeklimatischen Fragen führen dazu, daß er die ursprüngliche Forderung der klassischen Moderne - gesunde Wohnverhältnisse zu garantieren - weiterentwickelt und Grundzüge einer klimagerechten Architektur formuliert. Im Gegensatz zu vielen anderen, die den Ruf nach 'Mehr Luft, mehr Licht' ins Extreme trieben, bezieht Klein - neben vielem anderen - auch die Aspekte Kälte und Wärme in seine Überlegungen mit ein und lehnt eine Festlegung auf vereinfachte Standardlösungen - wie z.B. den Zeilenbau - ab. Immer wieder von neuem untersucht er die Bedingungen des jeweiligen Bauprogramms und kommt so zu differenzierten Lösungen. Daher sind die Entwürfe, bei denen sich Klein mit gebäudeklimatischen Problemen beschäftigt, in ihren verschiedenen Aspekten gut abgestimmt auf das lokale Klima und somit Beispiele einer 'wohltemperierten Architektur'. Sie sind nicht im heutigen Sinne energiesparend, aber sie nutzen nahezu alle Möglichkeiten, mit einfachen, passiven Mitteln das Gebäudeklima günstig zu beeinflussen.

Alexander Kleins erste Arbeit in dieser Hinsicht - wenn man von dem bereits erwähnten Entwurf für das Anbauhaus von 1931 absieht - ist sein Konzept für das südorientierte Einfamileinhaus, das er in seinem 1934 erschienenen Buch 'Der Südtyp: Das Einfamilienhaus mit Südorientierung' vorstellt. In diesem Buch formuliert er die wesentlichen, noch heute gültigen Prinzipien des solaren Bauens - Südorientierung, Zonierung in unterschiedlich temperierte Bereiche, Maximierung der sonnenzugewandten Flächen und Minimierung der Außenoberfläche zur Vermeidung von Wärmeverlusten: 'Die Berücksichtigung hygienischer Forderungen und die Erkenntnis von dem günstigen Einfluß der Sonne auf die seelischen Kräfte des Menschens haben zur Bevorzugung einer Grundrißanordnung geführt, die eine weitgehende Ausnutzung der Südsonne gewährleistet... Der Südtyp hat nicht allein den Vorzug, daß er die nicht häufige und daher besonders wertvolle Herbst- Winter- und Frühjahrssonne weit in die nach Süden gelegten Räume hereinläßt, er hindert auch die lästige sommerliche Mittagssonne, allzu tief einzufallen... Der Wunsch, die Sonnenlage vor allem den Wohn- und Schlafräumen zugute kommen zu lassen, führt zur Anordnung zweier Trakte: Dem Südtrakt, der die Wohn- und Schlafräume umfaßt, und dem Nordtrakt, in dem die Nebenräume: Küche, Flur, Treppe, W.C. usw. untergebracht sind.' Im folgenden weist er darauf hin, daß durch einen langgestreckten Baukörper mit großer Südfront die Sonneneinstrahlung maximiert werden kann, wobei dieser Vorteil gegenüber dem Nachteil höherer Wärmeverluste aufgrund der vergrößerten Außenwandfläche abgewogen werden muß. Klein hält ein Verhältnis von 2:1 zwischen Frontlänge und Bautiefe für das günstigste, und ebenso ein Verhältnis von Süd- zu Nordzone von 2:1.

Nach diesen Prinzipien hatte Klein bereits im Jahre 1927 zwei Einfamilienhäuser in Berlin-Dahlem realisiert. Die Gebäude sind entsprechend den Himmelsrichtungen und der Sonneneinstrahlung in zwei Bereiche zoniert. Die Haupträume (Wohn- und Schlafräume) sind nach Süden zum Garten hin orientiert, die Nebenräume (Treppe, Küche, Bad) nach Norden. Bei einem anderen von ihm ebenfalls in Berlin-Dahlem realisierten Einfamilienhaus liegt die Südfassade zur Straße. Aus Besonnungsgründen sind auch hier alle Aufenthaltsräume nach Süden hin orientiert, wobei Klein in Kauf nimmt, das sich das Haus vom Garten abwendet. Die zum Garten liegende Nordfassade ist sehr geschlossen. Einzig das Speizezimmer liegt zum Garten, kann aber durch Klapptüren zur Halle hin an der Südsonne teilhaben.

In dem Buch 'Der Südtyp' weist Klein auch auf die Wichtigkeit von Größe, Form und Lage von Fensteröffnungen hin und macht dazu einige detaillierte Vorschläge. Er fordert für eine bessere Tageslichtausleuchtung größere Fensteröffnungen als damals üblich (lediglich 1/8 bis 1/10 der Grundfläche), spricht sich aber wegen der höheren Heizenergiekosten auch gegen eine völlige Auflösung der Wand zur Glashaut aus. Um eine tiefe und gleichmäßigere Ausleuchtung des Raumes zu erzielen, schlägt er hochliegende Fensterstürze und eine lichtstreuende Verglasung bzw. Vorhänge vor. Ebenso weist er darauf hin, das durch die Reflektion des Lichtes an Wänden und Decken dieses tiefer in den Raum gelenkt werden kann.

Methoden passiver Klimaregulation

Klein entwickelt diese Ideen weiter und veröffentlicht 1942 eine Studie, die sich ausschließlich mit Fragen der passiven Temperierung befaßt. In dieser Untersuchung mit dem Titel 'Der Einfluß des Klimas auf die organische Gestaltung von Grundriß und Ansicht' legt er da, wie ein Gebäudetyp je nach Klima verändert werden muß, um mit passiven Mitteln ein angenehmes Innenraumklima zu erzeugen. Klein war im Laufe seines Lebens durch rassistische Verfolgung zweimal zur Emigration gezwungen worden, weshalb er seinen Beruf als Architekt in drei verschiedenen Klimazonen ausgeübt hat (Petersburg = kalte Zone, Berlin = gemäßigte Zone, Haifa = subtropische Zone). Die genannte Studie zieht Schlußfolgerungen aus seinen dabei gemachten Erfahrungen mit dem Bauen in unterscheidlichen Klimata.

Als Untersuchungsgegenstand wählt er einen dreigeschossigen Zweispänner mit sechs Zwei-Zimmer-Wohnungen für eine nord-süd-gerichtete Zeilenbebauung. Dieser Haustyp wird von ihm an die unterschiedlichen Klimabedingungen vier verschiedener Standorte angepaßt, die er aus eigener Erfahrung kannte. Er untersucht die Auswirkung des Klimas auf die Form des Baukörpers, auf Raumhöhe, Fensteranordnung und Fenstergröße, auf Anordnung der Nutzungen, auf Ausbildung der Balkonbrüstungs- und Fensterdetails.

Der erste in der Studie analysierte Standort - die Stadt Haifa - liegt in der subtropischen Zone. In diesem Klimagebiet kommt es vor allem darauf an, einer Überhitzung der Gebäude entgegenzuwirken; eine wirksame Durchlüftung und Verschattung sind deshalb wichtige passive Maßnahmen. Ein kühlender Wind weht von West bis Nord-West, Tag und Nacht. Um eine angenehme Durchlüftung zu bewirken, sind Schlaf- und Wohnzimmer, Küche und Loggia nach Westen orientiert. Die Nebenräume - Treppenhaus, Bad und WC - liegen hingegen an der Ostfassade. Da in bestimmten Jahreszeiten ein warmer und trockener Wind von Osten weht - Chamsin genannt -, sind die Fenster der Ost-Fassaden klein gehalten, womit eine Erwärmung des Rauminneren vermieden wird. Der Grundriß, 18,40 m lang und 7,90 m tief, bildet ein längliches Viereck, dessen lange Westfassade zum Wind exponiert ist. Die Räumhöhe ist mit 3,25m recht groß, womit eine gute Luftzirkulation gewährleistet ist und die erhitzte Luft oberhalb des Aufenthaltsbereich aufsteigen kann. Zudem dienen die verhältnismäßig großen Wandoberflächen als kühlende Speichermasse. Die Fenster sind klein, um die Sonneneinstrahlung zu reduzieren.

Auch der zweite untersuchte Standort - die Stadt Tel Aviv - liegt in der subtropischen Zone. Der Wind weht hier tagsüber vom Westen her und kommt nachts vom Osten. Daher sind die Schlafräume nach Osten (nächtliche Kühlung) und Wohnzimmer, Küche und Balkon nach Westen (Kühlung am Tage) ausgerichtet. Der Grundriß bildet mit 15,60 m Länge und 9,60 m Tiefe ein längliches Viereck wie im vorigen Beispiel, auch die Raumhöhe ist mit 3,00 m vergleichbar hoch und die Fenster sind ebenfalls klein. So ergibt die Gebäudegeometrie die gleichen klimatischen Vorteile. Aus der größeren Gebäudetiefe ergeben sich zwei Loggien, eine nach Osten und eine nach Westen, wodurch neben dem Wohnkomfort große Lüftungsöffnungen und eine Verschattung der Fassaden erreicht werden. Die Brüstungen der Loggien sind aus Gittern, um die dahinter liegenden Räume besser zu durchlüften.

Das dritte Beispiel - die Stadt Berlin - liegt in der gemäßigten Zone. Hier kommt es weniger auf eine Vermeidung von Überhitzung als auf die Ausnutzung der Sonnenwärme an. Die Fenster der Aufenthaltsräume sind groß und reichen bis zur Decke, wodurch der Lichteinfall maximiert wird. Die Schlafräume sind nach Osten ausgerichtet, um die Morgensonne aufzufangen. Wohnzimmer, Küche und Balkon sind nach Westen orientiert und nutzen die Nachmittagssonne. Der Grundriß, 13,10 m lang und 11,00 m tief, ist fast quadratisch; die Raumhöhen betragen 2,60 m. Damit ist die Oberfläche des Gebäudes relativ klein, die Wärmeverluste sind minimiert. Die Raumhöhe reicht für eine angemessene Luftzirkulation aus, der Heizbedarf ist durch das kleinere Luftvolumen minimiert. Die Balkonbrüstungen sind massiv ausgebildet, um vor Wind zu schützen.

Der vierte untersuchte Standort - die Stadt Oslo - liegt in der kalten Zone. Hier gilt es vorwiegend, Wärmeverluste zu verringern. Im Gegensatz zur gemäßigten Zone sind die möglichen Wärmegewinne geringer als die Wärmeverluste. Die Fenster sind daher klein gehalten. Um den Lichteinfall zu verbessern, sind die Laibungen abgeschrägt. Zur weiteren Verringerung der Wärmeverluste wird die Gebäudeoberfläche durch den fast quadratischen Grundriß von 12,10 m auf 11,30 m und einer Raumhöhe von 2,60 m wie im Beispiel zuvor möglichst klein gehalten. Es gibt keine Balkone, da sie in dieser Klimazone kaum nutzbar sind und zudem eine unerwünschte Verschattung bewirken würden.

Anhand der vier Beispiele zeigt Klein, wie ein vorgegebener Gebäudetyp durch geometrische Transformationen von Gebäudeform, Grundriß und Fenstergestaltung an die Klimabedingungen seines Standortes angepaßt werden kann. Er wendet dabei ein Optimierungsverfahren an, das seiner in den 20er Jahre entwickelten Methode zur Flächenminimierung entspricht. Durch systematische Transformationsprozesse optimierte er die Gebäudegeometrie in Bezug auf ein Leistungskriterium. Klein vertritt die Auffassung, daß die 'richtige' Form nicht auf künstlerisch-subjektive Weise gefunden werden kann, sondern sich aus dem Bedingungen der jeweiligen Bauaufgabe ergibt. So will er mit der Studie aufzeigen, daß eine gute Fassadengestaltung nicht anhand formaler Kriterien, sondern aus den lokalen klimatischen Anforderungen zu entwickeln ist.

Kleins Arbeiten zeigen exemplarisch, wie die Auseinandersetzung des Funktionalismus mit gebäudeklimatischen Fragen zu einem modernen Konzept einer klimagerechten Architektur geführt hat. Aus der Forderung nach 'Licht, Luft, Sonne' entstanden Konzepte, wie mit Architektur und Städtebau das Gebäudeklima positiv beeinflußt werden kann, und es wurden Methoden entwickelt, mit denen die klimatischen Eigenschaften von Gebäuden untersucht und optimiert werden können. An Kleins Arbeiten wird deutlich, wie sehr die funktionalistische Architekturauffassung den aktuellen Ansätzen des energiesparenden Bauens entspricht. Bei aller berechtigten Kritik am Funktionalsimus muß festgestellt werden, daß die damals entwickelten Entwurfsmethoden und die Kritik an einem rein formal-ästhetischen Architekturverständnis sowie an einer nur an privatwirtschaftlichen Verwertungsinteressen orientierte Architekturproduktion ihre Aktualität bewahrt haben.


erschienen in : 'Wohltemperierte Architektur' | Hrsg. Philipp Oswalt (unter Mitarbeit von Susanne Rexroth) | Heidelberg | 1994
 
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Weiterführende Literatur :
-Alexander Klein: Der Südtyp: Das Einfamilienhaus mit Südorientierung. Stuttgart 1934
- Alexander Klein: 'Der Einfluß des Klimas auf die organische Gestaltung von Grundriß und Ansicht', in: Journal of the Association of Engineers & Architects, Tel Aviv, Heft 5, Feb. - März 1942 ( in hebräischer Sprache)
- zahlreiche Zeitschriftenveröffentlichungen Alexander Kleins insbesondere in 'Wasmuth's Monatshefte für Baukunst' und in 'Baugilde' aus den Jahren 1927 bis 1932
- Fritz Block (Hrsg.): Probleme des Bauens. Der Wohnbau, Potsdam 1928
- Gerhard Albrecht: Handwörterbuch des Wohnungswesens, Jena 1930
- Ulrich Klaus-Stöhner: Untersuchung über den Beitrag Alexander Kleins zur Entwicklung und Bewertung von Grundrissen im Geschoßwohnungsbau, Dissertation TU Berlin 1976
- Marianne Rodenstein: Mehr Licht, mehr Luft. Gesundheitskonzepte im Städtebau seit 1750, Frankfurt Main 1988