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'Licht,
Luft, Sonne' war eine der zentralen Forderungen der klassischen Moderne.
Sie war aus der Kritik an der Großstadt des 19. Jh. hervorgegangen.
Die seit 1870 von Medizinern und Hygienikern durchgeführten Untersuchungen
der Wohnverhältnisse von Arbeitern hatten gezeigt, das die hochverdichtete
Bauweise der Mietskasernenstadt die Gesundheit der Bewohner beeinträchtigte
und vielfach zu Krankheit und Tod führte. Die kleinen Wohnungen in
den vielgeschosssigen Häusern lagen an nur 5,3 m x 5,3 m großen
Hinterhöfen und waren daher völlig unzureichend belichtet und
besonnt, ohne Querlüftung und zudem mit mangelhaften Sanitär-
und Heizungsanlagen ausgestattet. Oft verfügte eine vielköpfige
Familien nur über ein einziges Zimmer, meist schliefen mehrere Menschen
in einem Bett. Um die teure Miete zahlen zu können, hatte manche
Familie bis zu fünf Schlafgängern.
Das Leben in einer solchen engen, überbelegten Wohnung wurde zum
Nährboden für unzählige organische und psychische Erkrankungen.
Tausende starben aufgrund der schlechten hygienischen Verhältnisse
an Cholera und Ruhr. Die mangelhaft belüfteten und belichteten Wohnungen
förderten die Verbreitung von Tuberkulose, Rachitis, Lungenentzündung,
Grippe und Diphterie. Die Ofenheizung erwies sich als weiterer Faktor
für die Verbreitung der Krankheiten, denn sie lieferte keine gleichmäßige
Erwärmung der Wohnung. Oft konnten die Familien aufgrund ihrer wirtschaftlichen
Situation oder wegen Kohlenknappheit nicht genügend heizen, so daß
die Wohnung zu kalt und damit auch zu feucht blieben.
Bereits
im 19. Jahrhundert formulierten die Städtebaureformer R. Baumeister
und J. Stübben Planungsanforderungen an den Städtebau, die eine
übermäßige Verdichtung und die daraus resultierenden Mißstände
unterbinden sollten. Mit ihren Ideen blieben sie aber Außenseiter.
Die Diskussion wurde von romantischen Städtebauern wie Camillo Sitte
geprägt, die einen Städtebau nach künstlerischen Gesichtspunkten
forderten und sich für derartig praktische Fragen nicht interessierten.
Die eigentliche Städtebaupraxis wurde zudem von den Interessen der
privaten Bauherren dominiert, denen der wirtschaftsliberalistische Staat
eine nahezu uneingeschränkte Baufreiheit und Planungshoheit eingeräumt
hatte und denen nur an einer maximalen Überbauung ihrer Grundstücke
gelegen war. So änderten sich die Wohnverhältnisse bis zum Ende
des 1. Weltkriegs nicht.
Anfang der 20er Jahre enstand mit dem 'Neuen Bauen' eine Architekturrichtung,
die den Gebrauchswert von Architektur und Städtebau zu ihrem zentralen
Maßstab erhob. Neben einer funktionalen Raumorganisation und der
Anwendung rationeller Bauweisen wurde die Forderung nach gesunden Wohnverhältnissen
- nach 'Licht, Luft, Sonne' - zu dem zentralen Thema dieser Architekturbewegung.
Städtebau sollte nicht mehr nach künstlerischen Gesichtspunkten
und kapitalistischen Verwertungsinteressen erfolgen, sondern vor allem
gesunde und behagliche Lebensverhältnisse garantieren. Daher wurde
die Gewährleistung einer guten Besonnung, Belichtung und Belüftung
zur wesentlichen Aufgabe des Städtebaus. Ziel war es, jeder Wohnung
ein Maximum an Licht, Luft und Sonne zukommen zu lassen. Durch offene
Bauweise wurden geschlossene, ungenügend durchlüftete Hinterhöfe
vermieden. Die Forderung nach Querlüftung und gleichmäßiger
Besonnung aller Wohnungen führte zum Zeilenbau. Damit alle Räume
der Wohnung das ganze Jahr über Sonne erhielten, wurden die Zeilen
vorzugsweise Nord-Süd ausgerichtet und die Wohnungen somit Ost-West
orientiert. So konnte zwar die intensive Südsonne nicht genutzt werden,
aber es gab auch keine unbesonnten Nordräume. Um die Besonnung dem
Tagesverlauf der Bewohner anzupassen, wurden die Schlafräume zur
Morgensonne (Osten), die Wohnräume zur Abendsonne (Westen) orientiert.
Neue Bebauungsformen
Während
der Nord-Süd-Zeilenbau die kompromislose und konsequenteste Umsetzung
hygienischer Erkenntnisse in den Städtebau war, erforderte die Berücksichtigung
stadträumlicher und wirtschaftlicher Anforderungen vielfach andere
Bebauungsformen. Unter Berücksichtigung von Sonneneinfallswinkeln
und Luftzirkulation entstanden im Laufe der 20er Jahre eine Vielzahl von
Vorschlägen für unterschiedlichste Arten offener und geschlossener
Bauweisen, die ebenfalls eine gute Besonnung, Belichtung und Belüftung
garantierten.
Einige der interessantesten Ideen dieser Art stammen von Alexander Klein.
Er war einer der konsequentesten Vertreter des Funktionalismus gewesen
und hatte sich sein ganzes Leben fast ausschließlich mit dem Wohnungsbau
beschäftigt. Klein sah in der Verringerung der Baukörpertiefe
von den damals üblichen 12-13 m auf 8-10 m eine unabdingbare Vorraussetzung
für eine gute Besonnung und Belichtung der Räume. Zudem waren
seiner Auffassung nach nur so gute Raumproportionen und eine funktionale
Raumgruppierung der damals benötigten Kleinwohnungen möglich.
Um die von ihm geforderten geringen Gebäudetiefen wirtschaftlich
zu machen, entwickelte er neue Baukörpertypen, die trotz geringer
Tiefe und guter Belichtung und Belüftung eine hohe Ausnutzung des
jeweiligen Grundstücks ermöglichten. Einer seiner Lösungen
für dieses Problem bestand in einer gefalteten Zeilenbebauung aus
Zweispänner, die eine größere Anzahl von Wohnungen bei
gleich großem Grundstück erlaubte als eine konventionelle Zeilenbebauung.
Ein anderer Entwurf sah eine sägezahnförmige Zeilenbebauung
mit Vierspännern vor, bei der alle Wohnungen durch ihre versetzte
Anordnung über zweiseitige Belichtung und Belüftung verfügten.
Ein weiterer Vorschlag war eine wabenförmige Bebauung, die auf der
Addition eines Y-förmigen Haustypen beruhte. Mit diesem Dreispänner-Typ
konnten tiefe Baugrundstücke flächendeckend mit hoher Dichte
bebaut werden. Trotz Hofbildung und Blockrandschließung hatten alle
Wohnungen Querlüftung und gute Lichtverhältnisse und erhielten
zumeist auch Südbelichtung.
Neben den Versuchen, durch eine höhere Ausnutzung den Anteil der
Grundstückskosten zu verringern, verfolgte Klein auch das Konzept,
durch einer Verringerung der Erschließungsflächen im Gebäude
die Kosten zu minimieren. So entwickelte er statt der damals üblichen
Zweispänner auch Vierspänner, die er als freistehende H-Form
ausbildete, um Querlüftung und gute Belichtung aller Wohnung zu ermöglichen.
Ein weiteren Versuch dieser Art stellen seine Entwürfe für Laubenganghäuser
dar, von denen er 1929 in Bad Dürrenberg einige realisieren konnte.
Beim Laubenganghaus kann für eine größere Zahl von Wohnungen
die Anzahl der Treppen wesentlich verringert werden, ohne daß sich
Belüftung und Belichtung verschlechtern. Vielmehr können sogar
alle Aufenthaltsräume nach Süden orientiert werden, was bei
Gebäuden mit reiner Treppenerschließung nicht möglich
ist. Die
hier kurz dargestellte Vielfalt neuer Bebauungsformen und Gebäudetypen
enstand aus der gleichzeitigen Berücksichtigung gebäudeklimatischer
wie wirtschaftlicher Anforderungen. Charakteristisch für Kleins Entwurfsmethode
war, daß er die verschiedenen Anforderungen nicht isoliert betrachtete,
sondern in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu optimieren versuchte.
Er war bestrebt, Wohnungstypen von - wie er sagte -'maximaler Leistung'
zu entwickeln. Mit einem Minimum an Aufwand suchte er einen maximalen
Nutzen zu realisieren. Leistungskriterien für ihn waren dabei neben
niedrigen Herstellungskosten und gesundem Raumklima die optimale Nutzbarkeit
und eine harmonische Raumgestaltung der Wohnung. Die raumklimatischen
Anforderungen beschrieb er folgendermaßen: 'Die Lage der Zimmer
in bezug auf die Himmelsrichtungen und die Lage, Form und Abmessungen
der Fenster müssen derart sein, daß die Räume die denkbar
günstigste Beleuchtung erhalten, was vom hygienischen Standpunkt
für die Behaglichkeit und damit für die günstige Beeinflussung
unserer Psyche äußerts wichtig ist... Es ist wünschenswert,
nach Möglichkeit die Schlafzimmergruppe nach Osten und die Wohngruppe
nach Westen zu legen, um die Morgensonne in den Schlafzimmern und die
Nachmittagssonne in den Wohnzimmern zu haben, so daß die Bewohner
in der Lage sind, den Sonnenschein am weitgehendsten auszunutzen. Auch
ist eine Lage der Schlafzimmer nach Westen wegen des späten Sonnenuntergangs
im Sommer ungünstig, da die erwärmten Außenwände
ihre Wärme allmählich der Zimmerluft mitteilen, wobei die Temperatur
der letzteren zur Nacht steigt, wenn die Schlafenszeit eintritt.' Später
ergänzt er die Forderungen nach Besonnung und Belichtung um Fragen
der Belüftung und Beheizung. Er fordert eine 'Größe und
Lage der Öffnungen, die eine direkte und ausreichende Belüftung
aller Räume gewährleistet'. Ebenso verlangt er, das die 'Form
und Lage des Baukörpers und auch die Größe und Lage der
Öffnungen eine sparsame Beheizung zuläßt und keinen Zug
und Kälteerscheinungen verursacht (z.B. gegenüberliegende Fenster,
Fenster auf nicht besonnter Seite)'.
Besonnungs- und Belüftungsanalysen
Um die
Qualität von Grundrißlösungen bereits im Entwurfsstadium
beurteilen zu können, entwickelt Klein Analysemethoden, die deren
Leistungsfähigkeit offenlegen sollten. Aus einer Entwurfszeichnung
ist nicht unmittelbar ersichtlich, welche Gebrauchsqualität der betreffende
Entwurf aufweist. Klein versucht daher, die nicht sichtbaren Qualitäten
durch grafische Verfahren zu veranschaulichen. Dabei geht es ihm zunächst
vor allem um funktionelle Bewegungsabläufe, Weiträumigkeit und
harmonischen Raumeindruck. Er analysiert die Grundrisse durch Darstellung
von Ganglinien und Bewegungsflächen, von Blickbeziehungen, Raumproportionen
sowie Licht- und Schattenwirkung. Für die Beurteilung der raumklimatischen
Qualitäten hält er zunächst die Einhaltung der oben genannten
Grundprinzipien für ausreichend.
Für
das Problem der Grundrißform entwickelt Klein ein weitergehendes
Verfahren, mit dem er deren Leistungsfähigkeit in Hinsicht auf sparsamen
Flächenverbrauch nicht nur überprüfen, sondern auch optimieren
kann. Mit Hilfe einer grafischen Methode variiert er die Grundrißgeometrie
solange, bis er für ein gefordertes Wohnprogramm eine minimale Fläche
bei zugleich angenehmen Raumproportionen und funktionaler Raumgruppierung
erhält. Das Problem der optimalen Gebäudegeometrie ist auch
für die Anpassung eines Gebäudes an unterschiedliche Klimabedingungen
entscheidend. Aber erst viel später wendet Klein ein solches Verfahren
für gebäudeklimatische Fragen an, zunächst nutzt er es
ausschließlich dazu, durch Flächenminimierung die Baukosten
zu senken.
Mit der Weiterentwicklung seiner Analysemethoden rückt für Klein
die Frage der Besonnung, Belichtung und Belüftung zunehmend in den
Vordergrund. Anfang der 30er Jahre entwickelt er eine grafische Untersuchungsmethode,
mit der er feststellen konnte, welche Raumbereiche zur einer bestimmten
Tages- und Jahreszeit von Sonne beschienen werden. Die Methode basierte
auf einer einfachen Schattenkonstruktion anhand allgemein bekannter Sonnenstandswinkel.
1931 wendet er dieses Verfahren erstmals bei dem Entwurf für ein
erweiterbares Billigwohnhaus an. Klein hatte sich bei diesem Entwurf eines
Anbauhauses - wie er selber sagte - 'die Ausnutzung der Sonne als Licht-
und Wärmequelle zum besonderen Teil der Aufgabe gemacht.' Anhand
der detaillierten Analyse der Besonnungsverhältnisse zu unterschiedlichen
Tages- und Jahreszeiten zeigt er, daß der von ihm vorgeschlagene
südorientierte, gestaffelte Grundriß in Frühjahr, Herbst
und Winter eine gute Besonnung aller Räume bot und im Sommer die
unerwünschte Sonneneinstrahlung weitgehend abhielt. Im Vergleich
mit von ihm ebenfalls analysierten Alternativen in der Orientierung und
Form des Baukörpers sowie in der Anordnung der Fenster zeigten sich
die Vorzüge seiner Lösung. Das grafische Verfahren der Besonnungsanalyse
war ihm so wichtig, das er dessen Erläuterung bei der Veröffentlichung
der Arbeit mehr Platz einräumte als der Darstellung des eigentlichen
Entwurfes. Es erlaubte ihm erstmalig, präzise Angaben über die
Besonnung von Innenräumen zu machen. So konnte er die Vor- und Nachteile
verschiedener Alternativen beurteilen und den Entwurf optimieren.
Das gleiche
Verfahren wendet er auch an bei seiner Analyse der Ergebnisse des vom
Berliner Messeamt ausgeschriebenen und dem Berliner Stadtbaurat Martin
Wagner 1932 organisierten Wettbewerbs unter dem Motto 'Licht, Luft und
Sonne für Alle'. Er überprüfte die prämierten Entwürfe
für ein wachsendes Haus auf gute Besonnung, Belichtung, Belüftung
sowie Heizenergieeinsparung. Für die Analyse der Besonnung wendet
er seine grafische Untersuchungsmethode an. Zur präzisen Beurteilung
der Tageslichtausleuchtung läßt er von einem Fachmann die Tageslichtquotienten
ermitteln. Die Analyse der Arbeiten zeigt bei den meisten gravierende
Mängel auf, so daß Klein zum Schluß kommt: 'Kein Licht!
Keine Luft! Keine Sonne! und Kein Haus für Alle!'.
Klein wendet seine grafische Besonnungsanalysen wenig später auch
bei städtebauliche Fragen an. 1934 untersucht er die gegenseitige
Verschattung benachbarter Gebäude für verschiedene Jahres- und
Tageszeiten. Daraus zieht er Schlußfolgerungen für eine günstige
städtebauliche Anordung von Einfamilienhaussiedlungen.
Sein Interesse bleibt nicht auf Fragen der Besonnung und Belichtung begrenzt.
Bereits Ende der 20er Jahre hatte Klein bei seinem Entwurf für die
Versuchssiedlung Haselhorst begonnen, darüber nachzudenken, wie im
Städtebau die Hauptwindrichtung berücksichtigt werden sollte,
um eine gute Durchlüftung zu erzielen. Neben der Besonnung spielt
bei seinem Entwurf die Durchlüftung eine wesentliche Rolle. Windschneisen
in Hauptwindrichtung (West) durchziehen die Siedlung. In der Mitte bildet
eine großzügige ebenfalls ost-west-ausgerichtete Grünanlage
ein 'Frischluftzentrum im Herzen der Siedlung', das zudem mit dem westlich
angrenzenden Grüngebiet, von Klein als 'Frischluftreservoire' bezeichnet,
verbunden ist.
Anfang
der 40er Jahre greift Klein das Thema wieder auf. 1933 war er nach Haifa
(Israel) emigriert. Das dortige subtropisch-heiße Klima veranlaßte
ihn, darüber nachzudenken, wie durch eine optimierte Durchlüftung
ein angenehm kühles Raumklima erzeugt werden kann. Um unterschiedliche
Lösungen besser beurteilen zu können, entwickelt er analog zu
seiner Methode der Besonnungsanalyse ein grafisches Analyseverfahren,
das das jeweilige Ausmaß der Durchlüftung aufzeigen soll. Er
geht dabei davon aus, daß die Windströmung wie Sonnenstrahlen
geradlinig in das Gebäude eindringt, was jedoch nicht den Tatsachen
entspricht. Auf Grundlage dieser vereinfachenden Annahme unterscheidet
er zwischen belüfteten und nicht belüfteten Flächen. In
einem Diagramm untersucht er die Durchlüftung eines Zweispänners
in Hinsicht auf jede beliebige Stellung zum Wind. Er variiert den Grundriß
so, daß für die jeweilige Orientierung die bestmöglichste
Durchlüftung gewährleistet ist, d.h. möglichst alle Aufenthaltsräume
auf der windzugewandten Seite liegen. Steht das Gebäude parallel
zum Wind, werden die meisten Räume so gut wie nicht durchlüftet.
Steht das Gebäude hingegen quer zum Wind, werden alle Hauptaufenthaltsräume
(Wohn- und Schlafzimmer) optimal durchlüftet und gekühlt. Aus
den Ergebnissen dieser gebäudeklimatischen Untersuchungen ergibt
sich für Klein der optimale Siedlungsplan: Er empfiehlt, für
das Klima von Haifa Nord-Süd-orientierte Zeilen zur Grundlage des
Städtebaus zu machen.
Vom hygienischen zum klimagerechten Bauen
Alexander
Kleins intensive Beschäftigung mit gebäudeklimatischen Fragen
führen dazu, daß er die ursprüngliche Forderung der klassischen
Moderne - gesunde Wohnverhältnisse zu garantieren - weiterentwickelt
und Grundzüge einer klimagerechten Architektur formuliert. Im Gegensatz
zu vielen anderen, die den Ruf nach 'Mehr Luft, mehr Licht' ins Extreme
trieben, bezieht Klein - neben vielem anderen - auch die Aspekte Kälte
und Wärme in seine Überlegungen mit ein und lehnt eine Festlegung
auf vereinfachte Standardlösungen - wie z.B. den Zeilenbau - ab.
Immer wieder von neuem untersucht er die Bedingungen des jeweiligen Bauprogramms
und kommt so zu differenzierten Lösungen. Daher sind die Entwürfe,
bei denen sich Klein mit gebäudeklimatischen Problemen beschäftigt,
in ihren verschiedenen Aspekten gut abgestimmt auf das lokale Klima und
somit Beispiele einer 'wohltemperierten Architektur'. Sie sind nicht im
heutigen Sinne energiesparend, aber sie nutzen nahezu alle Möglichkeiten,
mit einfachen, passiven Mitteln das Gebäudeklima günstig zu
beeinflussen.
Alexander
Kleins erste Arbeit in dieser Hinsicht - wenn man von dem bereits erwähnten
Entwurf für das Anbauhaus von 1931 absieht - ist sein Konzept für
das südorientierte Einfamileinhaus, das er in seinem 1934 erschienenen
Buch 'Der Südtyp: Das Einfamilienhaus mit Südorientierung' vorstellt.
In diesem Buch formuliert er die wesentlichen, noch heute gültigen
Prinzipien des solaren Bauens - Südorientierung, Zonierung in unterschiedlich
temperierte Bereiche, Maximierung der sonnenzugewandten Flächen und
Minimierung der Außenoberfläche zur Vermeidung von Wärmeverlusten:
'Die Berücksichtigung hygienischer Forderungen und die Erkenntnis
von dem günstigen Einfluß der Sonne auf die seelischen Kräfte
des Menschens haben zur Bevorzugung einer Grundrißanordnung geführt,
die eine weitgehende Ausnutzung der Südsonne gewährleistet...
Der Südtyp hat nicht allein den Vorzug, daß er die nicht häufige
und daher besonders wertvolle Herbst- Winter- und Frühjahrssonne
weit in die nach Süden gelegten Räume hereinläßt,
er hindert auch die lästige sommerliche Mittagssonne, allzu tief
einzufallen... Der Wunsch, die Sonnenlage vor allem den Wohn- und Schlafräumen
zugute kommen zu lassen, führt zur Anordnung zweier Trakte: Dem Südtrakt,
der die Wohn- und Schlafräume umfaßt, und dem Nordtrakt, in
dem die Nebenräume: Küche, Flur, Treppe, W.C. usw. untergebracht
sind.' Im folgenden weist er darauf hin, daß durch einen langgestreckten
Baukörper mit großer Südfront die Sonneneinstrahlung maximiert
werden kann, wobei dieser Vorteil gegenüber dem Nachteil höherer
Wärmeverluste aufgrund der vergrößerten Außenwandfläche
abgewogen werden muß. Klein hält ein Verhältnis von 2:1
zwischen Frontlänge und Bautiefe für das günstigste, und
ebenso ein Verhältnis von Süd- zu Nordzone von 2:1.
Nach diesen Prinzipien hatte Klein bereits im Jahre 1927 zwei Einfamilienhäuser
in Berlin-Dahlem realisiert. Die Gebäude sind entsprechend den Himmelsrichtungen
und der Sonneneinstrahlung in zwei Bereiche zoniert. Die Haupträume
(Wohn- und Schlafräume) sind nach Süden zum Garten hin orientiert,
die Nebenräume (Treppe, Küche, Bad) nach Norden. Bei einem anderen
von ihm ebenfalls in Berlin-Dahlem realisierten Einfamilienhaus liegt
die Südfassade zur Straße. Aus Besonnungsgründen sind
auch hier alle Aufenthaltsräume nach Süden hin orientiert, wobei
Klein in Kauf nimmt, das sich das Haus vom Garten abwendet. Die zum Garten
liegende Nordfassade ist sehr geschlossen. Einzig das Speizezimmer liegt
zum Garten, kann aber durch Klapptüren zur Halle hin an der Südsonne
teilhaben.
In dem
Buch 'Der Südtyp' weist Klein auch auf die Wichtigkeit von Größe,
Form und Lage von Fensteröffnungen hin und macht dazu einige detaillierte
Vorschläge. Er fordert für eine bessere Tageslichtausleuchtung
größere Fensteröffnungen als damals üblich (lediglich
1/8 bis 1/10 der Grundfläche), spricht sich aber wegen der höheren
Heizenergiekosten auch gegen eine völlige Auflösung der Wand
zur Glashaut aus. Um eine tiefe und gleichmäßigere Ausleuchtung
des Raumes zu erzielen, schlägt er hochliegende Fensterstürze
und eine lichtstreuende Verglasung bzw. Vorhänge vor. Ebenso weist
er darauf hin, das durch die Reflektion des Lichtes an Wänden und
Decken dieses tiefer in den Raum gelenkt werden kann.
Methoden passiver Klimaregulation
Klein entwickelt
diese Ideen weiter und veröffentlicht 1942 eine Studie, die sich
ausschließlich mit Fragen der passiven Temperierung befaßt.
In dieser Untersuchung mit dem Titel 'Der Einfluß des Klimas auf
die organische Gestaltung von Grundriß und Ansicht' legt er da,
wie ein Gebäudetyp je nach Klima verändert werden muß,
um mit passiven Mitteln ein angenehmes Innenraumklima zu erzeugen. Klein
war im Laufe seines Lebens durch rassistische Verfolgung zweimal zur Emigration
gezwungen worden, weshalb er seinen Beruf als Architekt in drei verschiedenen
Klimazonen ausgeübt hat (Petersburg = kalte Zone, Berlin = gemäßigte
Zone, Haifa = subtropische Zone). Die genannte Studie zieht Schlußfolgerungen
aus seinen dabei gemachten Erfahrungen mit dem Bauen in unterscheidlichen
Klimata.
Als Untersuchungsgegenstand wählt er einen dreigeschossigen Zweispänner
mit sechs Zwei-Zimmer-Wohnungen für eine nord-süd-gerichtete
Zeilenbebauung. Dieser Haustyp wird von ihm an die unterschiedlichen Klimabedingungen
vier verschiedener Standorte angepaßt, die er aus eigener Erfahrung
kannte. Er untersucht die Auswirkung des Klimas auf die Form des Baukörpers,
auf Raumhöhe, Fensteranordnung und Fenstergröße, auf Anordnung
der Nutzungen, auf Ausbildung der Balkonbrüstungs- und Fensterdetails.
Der erste
in der Studie analysierte Standort - die Stadt Haifa - liegt in der subtropischen
Zone. In diesem Klimagebiet kommt es vor allem darauf an, einer Überhitzung
der Gebäude entgegenzuwirken; eine wirksame Durchlüftung und
Verschattung sind deshalb wichtige passive Maßnahmen. Ein kühlender
Wind weht von West bis Nord-West, Tag und Nacht. Um eine angenehme Durchlüftung
zu bewirken, sind Schlaf- und Wohnzimmer, Küche und Loggia nach Westen
orientiert. Die Nebenräume - Treppenhaus, Bad und WC - liegen hingegen
an der Ostfassade. Da in bestimmten Jahreszeiten ein warmer und trockener
Wind von Osten weht - Chamsin genannt -, sind die Fenster der Ost-Fassaden
klein gehalten, womit eine Erwärmung des Rauminneren vermieden wird.
Der Grundriß, 18,40 m lang und 7,90 m tief, bildet ein längliches
Viereck, dessen lange Westfassade zum Wind exponiert ist. Die Räumhöhe
ist mit 3,25m recht groß, womit eine gute Luftzirkulation gewährleistet
ist und die erhitzte Luft oberhalb des Aufenthaltsbereich aufsteigen kann.
Zudem dienen die verhältnismäßig großen Wandoberflächen
als kühlende Speichermasse. Die Fenster sind klein, um die Sonneneinstrahlung
zu reduzieren.
Auch der
zweite untersuchte Standort - die Stadt Tel Aviv - liegt in der subtropischen
Zone. Der Wind weht hier tagsüber vom Westen her und kommt nachts
vom Osten. Daher sind die Schlafräume nach Osten (nächtliche
Kühlung) und Wohnzimmer, Küche und Balkon nach Westen (Kühlung
am Tage) ausgerichtet. Der Grundriß bildet mit 15,60 m Länge
und 9,60 m Tiefe ein längliches Viereck wie im vorigen Beispiel,
auch die Raumhöhe ist mit 3,00 m vergleichbar hoch und die Fenster
sind ebenfalls klein. So ergibt die Gebäudegeometrie die gleichen
klimatischen Vorteile. Aus der größeren Gebäudetiefe ergeben
sich zwei Loggien, eine nach Osten und eine nach Westen, wodurch neben
dem Wohnkomfort große Lüftungsöffnungen und eine Verschattung
der Fassaden erreicht werden. Die Brüstungen der Loggien sind aus
Gittern, um die dahinter liegenden Räume besser zu durchlüften.
Das dritte
Beispiel - die Stadt Berlin - liegt in der gemäßigten Zone.
Hier kommt es weniger auf eine Vermeidung von Überhitzung als auf
die Ausnutzung der Sonnenwärme an. Die Fenster der Aufenthaltsräume
sind groß und reichen bis zur Decke, wodurch der Lichteinfall maximiert
wird. Die Schlafräume sind nach Osten ausgerichtet, um die Morgensonne
aufzufangen. Wohnzimmer, Küche und Balkon sind nach Westen orientiert
und nutzen die Nachmittagssonne. Der Grundriß, 13,10 m lang und
11,00 m tief, ist fast quadratisch; die Raumhöhen betragen 2,60 m.
Damit ist die Oberfläche des Gebäudes relativ klein, die Wärmeverluste
sind minimiert. Die Raumhöhe reicht für eine angemessene Luftzirkulation
aus, der Heizbedarf ist durch das kleinere Luftvolumen minimiert. Die
Balkonbrüstungen sind massiv ausgebildet, um vor Wind zu schützen.
Der vierte untersuchte Standort - die Stadt Oslo - liegt in der kalten
Zone. Hier gilt es vorwiegend, Wärmeverluste zu verringern. Im Gegensatz
zur gemäßigten Zone sind die möglichen Wärmegewinne
geringer als die Wärmeverluste. Die Fenster sind daher klein gehalten.
Um den Lichteinfall zu verbessern, sind die Laibungen abgeschrägt.
Zur weiteren Verringerung der Wärmeverluste wird die Gebäudeoberfläche
durch den fast quadratischen Grundriß von 12,10 m auf 11,30 m und
einer Raumhöhe von 2,60 m wie im Beispiel zuvor möglichst klein
gehalten. Es gibt keine Balkone, da sie in dieser Klimazone kaum nutzbar
sind und zudem eine unerwünschte Verschattung bewirken würden.
Anhand
der vier Beispiele zeigt Klein, wie ein vorgegebener Gebäudetyp durch
geometrische Transformationen von Gebäudeform, Grundriß und
Fenstergestaltung an die Klimabedingungen seines Standortes angepaßt
werden kann. Er wendet dabei ein Optimierungsverfahren an, das seiner
in den 20er Jahre entwickelten Methode zur Flächenminimierung entspricht.
Durch systematische Transformationsprozesse optimierte er die Gebäudegeometrie
in Bezug auf ein Leistungskriterium. Klein vertritt die Auffassung, daß
die 'richtige' Form nicht auf künstlerisch-subjektive Weise gefunden
werden kann, sondern sich aus dem Bedingungen der jeweiligen Bauaufgabe
ergibt. So will er mit der Studie aufzeigen, daß eine gute Fassadengestaltung
nicht anhand formaler Kriterien, sondern aus den lokalen klimatischen
Anforderungen zu entwickeln ist.
Kleins Arbeiten zeigen exemplarisch, wie die Auseinandersetzung des Funktionalismus
mit gebäudeklimatischen Fragen zu einem modernen Konzept einer klimagerechten
Architektur geführt hat. Aus der Forderung nach 'Licht, Luft, Sonne'
entstanden Konzepte, wie mit Architektur und Städtebau das Gebäudeklima
positiv beeinflußt werden kann, und es wurden Methoden entwickelt,
mit denen die klimatischen Eigenschaften von Gebäuden untersucht
und optimiert werden können. An Kleins Arbeiten wird deutlich, wie
sehr die funktionalistische Architekturauffassung den aktuellen Ansätzen
des energiesparenden Bauens entspricht. Bei aller berechtigten Kritik
am Funktionalsimus muß festgestellt werden, daß die damals
entwickelten Entwurfsmethoden und die Kritik an einem rein formal-ästhetischen
Architekturverständnis sowie an einer nur an privatwirtschaftlichen
Verwertungsinteressen orientierte Architekturproduktion ihre Aktualität
bewahrt haben.
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