Ulla Hömberg im Gespräch mit Philipp Oswalt | 2001
 
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   Interview mit Philipp Oswalt

Schwierigkeiten hinsichtlich der Qualitätssicherung von Architektur

Die größten Probleme bei der Umsetzung von qualitätvoller Architektur lägen in der Verteilung der Kompetenzen bei der Vergabe von Projekten durch den Auftraggeber, vor allem dem Öffentlichen. Außerdem könnten Budgetprobleme oder zeitliche Verzögerungen qualitätsmindernd wirken. 'Die Zerfledderung von Kompetenzen' sei auch der Grund dafür, dass die behördliche Unterstützung in der Umfrage der Initiative so schlecht beurteilt wurde.

Instrumente der Qualitätssicherung

Was das Wettbewerbswesen als Instrument der Qualitätssicherung in der Architektur betreffe, so sei dieses aufgrund der zu hohen Teilnehmerzahl zur Zeit in der Krise. Gleichwohl sind Architekturwettbewerbe ein wichtiges Mittel der Qualitätssicherung und der Auftragsvergabe an junge Architekten. Private Bauherren sollten verstärkt bei größeren Bauvorhaben zu Wettbewerben bzw. konkurrierenden Gutachterverfahren angehalten werden. Als weitere funktionierende Instrumente der Qualitätssicherung seien denkbar ein 'Staatsbaurat' oder 'Reichsbaumeister', der nach holländischem Modell als Berater für Architekturqualität fungiere.

Der private Bauherr

Um den privaten Bauherrn für das Thema 'Architektur und Baukultur' zu begeistern, müsse man eine öffentliche Diskussion über Baukultur fördern. Denn dies sei eher eine Frage von kultureller Vermittlung und kultureller Aufwertung, was das Beispiel die Niederlande zeige. Dort könne man mit jeder beliebigen Person in der Straßenbahn über ein neues Gebäude unterhalten, was bei uns nicht möglich sei.

Veränderte Berufsbilder für Architekten

Deutschland gleiche sich zunehmend dem angelsächsischen Berufsbild an. Dies bedeute die Zweiteilung des Berufsstandes: Zum einen die Architektur als Dienstleistung, in Großunternehmen organisiert und mit Zweigstellen und hunderten von Angestellten versehen, zum anderen die 'Künstlerarchitekten', die den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Unterricht und Vorträge legen . Diese Tendenz zeige eine zunehmende Verdrängung des klassischen mittelständischen Büros, was einerseits mit der 'Kostenschraube' und andererseits mit der Aufspaltung der Architekten in unterschiedliche Berufsgruppen zusammenhänge. So kämen immer mehr Architekten im Medienbereich, im Installationsbereich wie im Messebau unter. Die Ausstellungsarchitektur werde eine zunehmende Einkommensbranche der Architekten.

Aufgaben des Städtebaus

Ein wichtiges Handlungsfeld des Städtebaus sei die Zersiedelung am Stadtrand. Hier gäbe es Strategien wie z.B. von Martin Wagner in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, bestimmte Flächen der Nichtbebauung vorzusehen. Als Instrument der Qualitätssicherung sei diese Maßnahme auch für Berlin angemessen. Zudem sei es sehr wichtig, die Stadt als Ganzes im Blick zu haben. Kritik zu üben sei deshalb am weit verbreiteten 'Inselurbanismus'. Hierbei handle es sich um Planungen für bestimmte Inseln im Stadtgebiet, wobei der Investor oder Auftraggeber über beträchtliche Kontrollmechanismen verfüge und der Staat es längst aufgegeben habe, das Stadtgebiet als Ganzes betrachten. Dies sei eine Stadtplanungspolitik, die gesamtgesellschaftliche Entwicklung vernachlässige. Ein klassisches Negativbeispiel sei die Verfolgung des 'Planwerks Innenstadt' für Berlin. Hierbei werde nur die Innenstadt berücksichtigt und 90 Prozent des Stadtgebietes vernachlässigt. Eine sinnvolle Möglichkeit, dem Einhalt zu gebieten, sei die Stärkung der Regionalverbände. Dazu gehöre die Einsicht, dass Städte heute keine abgeschlossenen Siedlungsinseln mehr seien, sondern Agglomerationsräume, die sich miteinander vernetzen. Man sollte die Planungsverbände mit Werkzeugen ausstatten, damit sie ihre Kompetenzen auch durchsetzen können.

'Berlin - Stadt ohne Form'

Ein Thema des Buches sei der 'automatische Urbanismus'. Dieser Begriff bezeichne alle Dinge, die Einfluss auf die Stadtgestalt hätten, aber außerhalb der Kontrolle eines Stadtplaners lägen. So sei z.B. die Zersiedlung am Stadtrand nicht Idee eines Stadtplaners, sondern die Folge von Verfügbarkeit von Grundstücken, von Mobilität und Eigenheimbildung. Als Architekt könne man auf solche Entwicklungen Einfluss nehmen, indem man seine Forderungen an einzelne Politikfelder stelle. Dazu gehöre die Diskussion über den Preis von Mobilität oder über die Verfügbarkeit von Grund und Boden. Auch wenn man nicht erwarten könne, Mehrheiten in der Bevölkerung für diese Themen zu begeistern, müsse man solche Fragen auch in Architekturdiskussionen stellen. Solange für eine Änderung der Rahmenbedingungen keine politischen Mehrheiten zu erzielen sind, soll der Architekt Wege finden, den ungeplanten Entwicklungen Qualität einzuschreiben.

Bürgerbeteiligungsverfahren

Der Bürgerbeteiligung am Baugeschehen stehe er eher skeptisch gegenüber. Denn zum einen könnte dieses Instrument auch dazu missbraucht werden, Verantwortung abzugeben und zum anderen handle es sich hier um eine indirekte Möglichkeit der Einflussnahme, bei der die Entscheidungskraft letztlich nicht bei den Bürgern liege. Gleichzeitig könne die Bürgerbeteiligung für das eigentliche Verfahren erhebliche Probleme verursachen.

Hierbei müsse man allerdings zwischen Architektur und städtebaulichen Arbeiten unterscheiden. Die Architektur eines Gebäudes sei ein Statement eines bestimmten Bauherrn und dieser sollte, wenn er die gesellschaftlichen Belange und den städtebaulichen Kontext beachte, die Freiheit haben nach seinem Gutdünken zu bauen. Im Städtebau hingegen gehe es um bauliche Qualitäten, die vor der 'reinen Ästhetik' zu beachten wären. Hier sei es durchaus berechtigt, die Bevölkerung stärker einzubinden.

Wichtig wäre es zudem, neben finanstarken Investoren auch Menschen ohne oder nur mit geringen Kapitalmitteln Möglichkeiten zu einer eigenständigen, aktiven Gestaltung von Stadträumen einzuräumen. Hierfür sei die Nutzung von kostenfreien oder billigen brachliegenden Immobilien im Berlin der 90er Jahre durch die Kunst-, Kultur- und Clubszene exemplarisch. Die Verfügbarkeit von nahezu kostenfreien Räumen habe einen für Stadtkultur und urbanes Leben wesentlichen Innovationsschub generiert.

Architekturexport

Deutsche Ingenieure exportieren fast ihre ganze Leistung ins Ausland, Architekten stehen ihnen in dieser Hinsicht bedeutend nach. Dies könnte an der Qualität der Architektur liegen. Nazideutschland habe zu einem beispiellosen kulturellen Exodus geführt, von dem sich das Land nur sehr langsam erholt habe. Deutschland leide deshalb heute unter seiner Provinzialität und dem Drang zur 'Innenansicht'. Um den 'Architekturexport' zu fördern, müsse man Architekten auffordern, neue Ideen zu entwickeln und diese auch nach außen darzustellen.

Unser 'ökologisches Denken' als typisch deutschen Inhalt ins Ausland zu verkaufen sehe er kritisch, da er das, was Architekten als ökologisches Bauen verkaufen, in der Regel nicht für ökologisch halte. Oft sei das nur ein Label, um Architektur zu vermarkten.

Universitäre Lehrinhalte

Die Aufspaltung des Berufsstandes in Dienstleistungsunternehmen und 'Künstlerbüros' sei anhand der Lehrinhalte an den Hochschulen bereits heute feststellbar. So könne man inzwischen an der Technischen Universität Berlin Architektur 'recht abgehoben' studieren. In Cottbus hingegen verfolge man noch eine relativ klassische Ausbildung. Grundsätzlich sei die Hochschule seines Erachtens in erster Linie ein Ort des freien Denkens, wo man Ideen entwickeln und verfolgen könne. Wenn man praktisch arbeiten wolle, sollte man besser in ein Architekturbüro gehen. Kritisch sehe er die Fixierung der Lehre auf den Entwurf. Es müsse an der Hochschule auch noch andere Qualifikationen geben. Die Verstärkung der interdisziplinären Ausbildung der Architekten an den Hochschulen solle man fördern, wenn es sich vom Projekt her anbiete, diese jedoch nicht zum allgemein gültigen Gesetz für alle Hochschulen deklarieren. Eine Interaktion zwischen Ausführenden und Planenden, z.B. Zimmerleuten und Architekten, sei jedoch sehr interessant und in der universitären Praxis gut umsetzbar. Die Vermittlung von Methoden der Arbeitsorganisation und PR an den Hochschulen, wie wirtschaftliches Arbeiten, Management und Marketing, halte er nicht für zwingend notwendig, da man sie sich besser im praktischen Arbeitsleben aneignen könne. Dies wäre eher eine Aufgabe einer berufsbgeleitenden Ausbildung. Ohnehin würden sich die Grenzen zwsichen Ausbildung und Berufstätigkeit immer stärker verwischen. Wichtiger wäre es, wenn die einzelnen Hochschulen im Hauptsudium Spezialisierungsmöglichkeiten und inhaltiche Vertiefungsbereiche (etwa auch gekopplet an Matsrestudiengänge) anbieten würden, ob dies z.B. Projektentwicklung, Medienarchitektur, Baune im Bestand oder Architekturtheorie sei.

Fachjournalismus

Eine Möglichkeit, das Thema 'Architektur' über das Medium 'Zeitung' an die breite Öffentlichkeit zu bringen, zeige die englische Zeitschrift 'Wallpaper', ein Lifestylemagazin mit hoher Auflage, das neben Musik, Mode und Parfums auch über neueste Architektur berichte. In Deutschland seien Zeitschriften wie 'Bauwelt' oder 'db' Architekturzeitschriften mit einer höheren Auflage; auch die schweizer Publikumszeitschrift 'DU' beschäftige sich ab und zu in Sonderheften mit Architektur.
Ein Reich-Ranicki der Baukultur könne Martin Pawley sein.

Mögliche Aufgaben des Bundes

Da Architektur eine 'kulturelle Produktion' sei, müsse man sie staatlich fördern, um sie auch als kulturelle Leistung zu stimulieren. Eine Möglichkeit wäre Architekturförderung, wie sie in unseren Nachbarländern, in Österreich, in der Schweiz, in den Niederlanden, in Frankreich und in Spanien existiere. Als Moderator und Förderer von Baukultur sollte der Bund Geldmittel, beispielsweise in Form einer unabhängigen Stiftung, zur Verfügung stellen und experimentelles Arbeiten fördern, damit das Thema Baukultur in die Bevölkerung getragen werde. Hierzu könnten etwa Studienaufträge oder Ideenwettbewerbe zu grundsätzlichen städtebaulichen und architektonischen Fragestellungen gehören, die nicht gleich an einen existierenden Realisierungswunsch gebunden sein.

Um Architekten im Ausland bekannt zu machen, würden sie dort auch wirtschaftlich gefördert und ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre Architektur zu exportieren. Hierzu gehörten Stipendien- und Gutachtenvergabe, Ausstellungsorganisation, Publikationen, also sowohl die Förderung von öffentlicher Präsenz als auch von inhaltlichem Arbeiten und von Forschung.

Er halte es nicht für angebracht, dem Staat die alleinige Befugnis über die Definition von Architekturqualität zuzugestehen. Sehr wichtig sei jedoch, dass der Staat den Berufsstand der Architekten stütze und die Honorarordnung stelle.


 
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