Philipp Oswalt im Gespräch mit Massimiliano Fuksas | 1991
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Gebäudehüllen

Arch+: Sie haben öfters davon gesprochen, dass Sie die Fassade verschwinden lassen wollen. Was meinen Sie damit?
Fuksas: Ich bin gegen Fassaden und ich bin gegen Details. Wichtig ist das Konzept und nicht die Form. Weder Fassade noch Detailkönnen das Konzept ersetzen. Sie sind keine Lösung der Architektur. In den letzten 20 Jahren waren die Leute sehr formalistisch und wir haben dadurch viele Dinge verloren, politische Dinge, persönliche Beziehungen, Natur, Kontext ect.Heute brauchen wir mehr Konzept als Form. Wir müssen mehr denkenals zeichnen. Daher zeichne ich nicht, sondern mache Gemälde. Ein Gemälde braucht 20 Minuten, eine Zeichnung mehrere Stunden.
Ich beginne ein Projekt mit Gemälden oder erkläre meine Idee mit Worten und Gesten. Danach bauen wir Modelle. Und dann erst beginnen wir zu zeichnen, zuerst den Schnitt. Viele Jahre lang haben die Leute Fassaden und Grundrisse gezeichnet, wenig Schnitte. Wir machen keine Fassaden. Natürlich müssen wir eines Tages eine Fassade entwickeln. Doch die Fassade kommt zu uns, wir suchen sie nicht. Sie entwickelt sich aus dem Schnitt. Manchmal kann ein Schnitt durch das Gebäude zur Fassade werden.Und wenn sie nicht gut ist, ist das Projekt nicht gut.

Eine Fassade beeinflusst die Atmoshäre des Innenraums,dessen Klima und Licht. Inwieweit spielen diese Eigenschaften bei Ihren Fassaden eine Rolle?
In meiner Architektur arbeite ich viel mit Licht, mit natürlichem wie künstlichem. Le Corbusier benutzte Licht, um mit den Volumen zu spielen. Ich benutze Licht, um das Volumen immaterielle werden und verschinden zu lassen. Es ist wie bei einem Fernseher. Ist er ausgeschaltet, siehst du den Fernseher. Wenn du ihn anstellst, siehst du etwas anderes. Das fasziniert mich.

Wenn man den Fernseher anstellt, verschwindet der Bildschirm und das Bild erscheint.
Vorher war das Sichtbare materiell, war realistisch und nun ist es magisch.

Das frühste Projekt von Ihnen in dieser Art war das Sportzentrum Anagni 1979. Die Fassade besteht aus einer transparenten Glashaut mit eingesetzten Elementen aus reflektierendem, transluzenten Glas. Nach Innen projeziert die Fassade ein Spiel aus Licht und Schatten. Nach Aussen stellt die Fassade eine Vielzahl von Fassaden dar, imitiert wie ein Bühnenbild eine Stadtlandschaft.
Damals war ich am suchen. Ich hatte noch keine Lösung für dieses Problem. Schritt für Schritt gelang es mir, die bekannte'Fassade' hinter mir zu lassen. Ich machte vier oder mehr verschiedene Entwürfe. Ich wollte keine Fassade machen, deswegen machte ich viele Fassaden; auf einer Seite gibt es sieben, acht unterschiedliche Fassaden. Die Korrospodenz zwischen Innen und Aussen verschwand. Wenn du das Gebäude von Aussen siehst, fragst du dich, was Innen drin ist. Du kannst es dir nicht vorstellen.

Die Fassade erzählt nichts über das Innere.
Ja, ich wollte, dass es einen kräftigen Knall macht, wenn du nach Innen kommst, das etwas völlig anderes zu sehen ist - wie in der Architektur des Barocks.

Paul Virillio spricht davon, dass der moderne Mensch mit dem Kinoblick die ganzheitliche Anschauungsweise verloren hat. Der Blick ist fragmentarisiert, die einzelnen Sequenzen unabhängig voneinander. Sie versuchen in Ihrer Architektur, die Sequenzen des Innen und Aussen unabhängig voneinander zu entwickeln. Dieses Thema wird bei Ihrer Mediathek in Reze-Nantes noch deutlicher. Von Aussen ist es eine richtige black box, eine massive Schachtel ohne Öffnungen. Aber wenn man hineingeht, verschwinden die Wände durch das künstliche Licht. Du siehst das Licht und fühlst nicht mehr die Grenzen des Raums.
Von Aussen ist es ein quadratischer Betonblock. Wenn du nach Innen gehst, siehst du sehr viel Licht, obgleich das Gebäude von Aussen völlig undurchsichtig ist.

Die innere Fassade soll die Form und das Volumen des Gebäudes dematerialisieren. Die Masse der Wände verschwindet und andere Dinge wie das Licht werden wichtig.
Zugleich haben wir wir die Korrospondenz zwischen Innen und Aussen durchschnitten. Insofern richtet sich dieses Projekt gegen die Moderne mit ihrem Ideal einer Kontinuität zwischen Innen und Aussen. Gleichzeitig ist das Projekt in seiner Verwendung von Licht neomodern.

Sie sagten einst, dass Norman Fosters Willis-Faber-Gebäude in Ipswich zu den wichtigsten Gebäuden unsere Epoche gehört. Was meinen Sie damit?
Am Tag sieht man nichts vom Inneren des Gebäudes, es ist ein vollständige Mysterium, nur das Gegenüber spiegelt sich auf der Fassade. Und in der Nacht - eine wundersame Verwandlung - wird die Fassade transparent, sie verschwindet, man sieht das Innere. Es ist das erste Projekt mit unterschiedlichen Ideen für Tag und Nacht.
Diese magische Qualität des Lichts war auch bei meinem Hamburger Projekt ein zentrales Thema. Die Nacht mit ihrem Licht und ihrer Dunkelheit hat die Kraft alles zu verwandeln und Grenzen zuverwischen.

Bei Ihren Projekten für Hamburg und Nimes benutzen Sie Lochbleche, Metallgitter und bedrucktes Glass in der Fassade. Diese halbtransparenten Materialien bilden eine Art Leinwand, auf die je nach den Lichtverhältnissen von Innen oder Aussen Licht,Schatten und Umrisse projeziert werden. Aussen sieht man nicht mehr das Innere, man erahnt es nur noch. Und ebenso ist von Innen das Aussen nicht mehr zu sehen, sondern nur noch ein abstraktes Bild.
Und wenn du willst, öffnest du das Metallgitter, den Screen, und kannst wieder nach draussen sehen.

Die Fassade wird zu einem Bildschirm, einem Ort der Informationsübermittlung.
Fassade ist Information. Es ist etwas magischeres als Form. Es ist wie ein Traum.

Eine solche Fassade umhüllt und verbirgt das Innere. Das erinnert an die Arbeiten von Christo.
Ich mag Christo sehr. Er inspieriert mich.

Christo sagt, wenn er ein Gebäude umhüllt, verliert es seine Massstäblichkeit. Du bekommst keine Informationen über die Konstruktion, du siehst keine Fenster und Stockwerk. Das ist alles hinter der Stoffhülle verschwunden, aber du fühlst, es gibt etwas dahinter. Die Verhüllung lässt das Dahinterliegende erahnen.
Es ist wie ein Kleid. Du siehst nicht den Körper, aber du erahnst ihn. Zugleich erlaubt eine solche Hülle die grösstmögliche Freiheit im Inneren. Bei dem Hamburger Handelszentrum umhüllten wir das Gebäude mit einer Schale und kümmerten uns dabei nicht um das Innere. Diese Schale ist wie das Gehäuse eines Fernsehers oder Computers. Man weiss, es gibt eine Menge im Inneren und träumt davon, die Schale zu öffnen, um zusehen, was sich dahinter verbirgt.

Die traditionelle Fassade war mit ihren Fenstern, Balkonen, Arkaden und Loggien ein Übergangsraum zwischen Innen und Aussen. Sie verband das Haus mit der Strasse, das Private mit dem Öffentlichen. Wenn die Fassade zu einer Verpackung oder einem Bildschirm wird, dann verliert sie diese Qualität.
In der Peripherie und den Vorstädten gibt es keine Strassen und Plätze mehr. Niemand geht mehr runter auf die Strasse, um Leute zu treffen oder zu schauen, was los ist. Im alten Rom war das Forum der Ort, wo Leute hinkamen, um sich zu informieren. Heute schaltet man den Fernseher an und erfährt viel mehr als früher auf einem Platz. Der Platz heute ist der Fernseher.
Die heutige Stadt ist ein grosser kommerzieller Markt, wo die Leute hingehen, um einzukaufen. Und die Fassade ist dazu da, zu zeigen, was die Leute kaufen, in welcher Weise sie leben, welche Art von Fernsehn sie schauen.

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Philipp Oswalt im Gespräch mit Massimiliano Fuksas

erschienen in : Arch+ 108 | Aachen | 1991
Quelle : http://www.oswalt.de/de/text/interviews/o_fuksas_p.html