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'Berlin - Stadt ohne Form' lautet der Titel eines kürzlich im
Prestel Verlag, München, erschienenen Buches des Architekten und
Planers Philipp Oswalt. Vehement wendet sich der Autor darin gegen die
aktuelle Berliner Stadtplanungspolitik, wie sie sich insbesondere am
'Planwerk Innenstadt' manifestiert. Im folgenden Gespräch erläutert
Philipp Oswalt seine sowohl historisch wie auch ökonomisch begründete
Kritik und zeigt für die alte neue deutsche Hauptstadt 'Strategien
einer anderen Architektur' auf.
Herr
Oswalt, der Architekturhistoriker Leonardo Benevolo fand in seiner berühmten
'Geschichte der Stadt' Berlin nicht einmal der Erwähnung wert.
Worin unterscheidet sich Berlin von anderen Weltstädten Europas?
Oswalt:
Berlin befand sich lange Zeit am Rande der kulturellen und politischen
Entwicklung Zentraleuropas. Schon der Architekt Karl Scheffler hob 1910
in seinem Buch 'Berlin - ein Städteschicksal' die periphere Lage
Berlins hervor.
Bis 1870 war die Stadt relativ klein. Sie war im Barock die Hauptstadt
Preußens geworden. Aber anders als Metropolen wie London, Paris,
Rom oder Barcelona verfügte sie über keine lange Tradition
und war auch in die wesentlichen politischen Entwicklungen des Deutschen
Reiches und des übrigen Europas nicht eingebunden.
Mit der Industrialisierung um 1850 setzte allerdings ein enormer Entwicklungsschub
ein. Die Stadt explodierte in ähnlicher Weise, wie wir das heute
bei den chinesischen Städten erleben. Innerhalb weniger Jahrzehnte
verfünffachte sich die Stadt. Insofern ist Berlin eine Stadt der
Moderne, nicht im Sinne eines architektonischen Stils, sondern im Sinne
einer Epoche, die die Stadt prägte, ihr europäische und internationale
Bedeutung verlieh und die Grundlage für das Berlin legte, wie wir
es heute kennen.
Wie spiegelt
sich diese Entwicklung im architektonischen Stadtbild?
Oswalt:
Aufgrund der Tatsache, dass Berlin kein großes Bürgertum
besaß und nur eine schwache kulturelle Tradition aufwies - was
es an preußischer Kultur gab, wurde von diesem extrem schnellen
Boom überrollt -, war die Stadt sehr offen für das Neue. Sie
absorbierte auch viele Einflüsse. Bezeichnenderweise hieß
es, der typische Berliner sei der Zugereiste. Das heißt, die Stadt
wuchs nicht aus sich heraus, sondern durch die Menschen, die nach Berlin
kamen, seien es die Hugenotten zur Zeit Friedrichs des Großen
oder die Ostjuden, Pommer und Schlesier zur Zeit der Industrialisierung,
die in Berlin eine Chance suchten, sich wirtschaftlich zu entwickeln.
Dieser ständige Zuzug gab der Stadt etwas Unfertiges. Sie befand
sich immer im Aufbruch und das schlug sich auch in der städtebaulichen
Entwicklung nieder.
Anders als viele Metropolen ist Berlin weder von einem Idealplan noch
von einem organischen Anwachsen geprägt. In Barcelona zum Beispiel
gab es die Planung eines Rasters, der bis heute den zentralen Bereich
der Stadt prägt. Der historische Kern von Amsterdam hingegen ist
exemplarisch für ein konzentrisches, organisches Wachstum. Aber
selbst Städte wie Paris oder London, die ebenfalls eine komplexe
Geschichte durchlebten, weisen doch eine kontinuierliche Entwicklung
auf. Im Fall von Paris wurde durch einen entscheidenden Eingriff von
Haussmann dann das Gewachsene noch einmal strukturiert. Zwar gab es
auch in Berlin immer wieder solche Versuche, die Stadt neu zu strukturieren.
Doch blieben diese bereits in ihren Ansätzen stecken.
Worin
sehen Sie die Ursache für dieses Scheitern?
Oswalt:
Vielfach an der utopischen Radikalität der Pläne, vorallem
aber am schnellen Wechsel der Ideologien und gesellschaftlichen Verhältnisse.
Bevor sich eine Konzeption entfalten konnte, wurde sie von einer neuen
abgelößt. Der schnellen Folgen von Plänen und Eingriffen
gelang es nie, einen konsistenten Stadtkörper zu entwickeln. So
entstand über die Zeit ein seltsames Konglomerat verschiedener
Fragmente.
Es gibt das mittelalterliche Berlin. Dann setzte sich das barocke Berlin
daneben, ohne einen Bezug zu dieser mittelalterlichen Stadt aufzubauen.
Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte der Landschaftsarchitekt Peter
Joseph Lenné die infolge der Industrialisierung entstandene ungeplante
und unbeabsichtigte Zersiedelung gestalterisch zu fassen, scheiterte
jedoch. Nur Fragmente seiner Planung wurden umgesetzt. In einem sehr
pragmatischen Ansatz erarbeitete in der Folge Baumeister James Hobrecht
einen Bebauungsplan, indem er einfach neues Terrain erschloss. Eine
neue Form verlieh er der Stadt damit nicht.
Auch im 20. Jahrhundert gab es wiederholt Anläufe, des Neue zu
strukturieren, die aber nur partiell realisiert und dann aufgegeben
wurden. Man muss bedenken, dass Berlin als Hauptstadt gerade in den
letzten hundert Jahren extreme politische Turbulenzen durchmachte. Es
erlebte den Niedergang von vier deutschen Staaten. So ist es in gewisser
Weise auch die Hauptstadt der Ideologien, die sich jeweils in ihren
städtebaulichen Konzepten niederschlugen. Mit jedem Ideologiewechsel
setzte ein neuer Versuch ein. Nach der Speerschen Planung zur Zeit des
Nationalsozialismus kam in den fünfziger Jahren die Autobahnplanung,
gefolgt von der Planung der Großsiedlungen in den sechziger und
siebziger Jahren.
Welchen
Stellenwert nimmt Berlin im internationalen Diskurs von Stadtentwicklungen
und architektonischen Konzepten heute ein?
Oswalt:
In der internationalen Debatte fällt Berlin zur Zeit eine sehr
seltsame Sonderrolle zu. Indem eben doch wieder der Versuch unternommen
wurde, eine Art Masterplan zu entwerfen, bleiben viele aktuelle Entwicklungen
außen vor. Das 'Planwerk Innenstadt' etwa ist bereits von seinem
Verständnis her einem klassisch modernen Denken verpflichtet, einem
Planungspositivismus mit der Vorstellung, urbane Entwicklungen total
kontrollieren zu können. Ein solches Konzept mutet nach den Erfahrung
mit Stadtplanung in den letzten hundert Jahren unglaublich naiv an.
Das Planwerk geht davon aus, ein ideales Bild von Stadt zu kennen und
versucht, das mit aller Macht umzusetzen. Entwicklungen neuer stadtplanerischer
Strategien, wie sie zum Beispiel in Barcelona umgesetzt wurden, wo man
die Planung für die Olympiade 1992 zum Anlass nahm, die bestehende
Stadt mittels gezielter Interventionen weiterzuentwickeln, wurden nicht
aufgegriffen.
Verleiht
aber nicht gerade dieses Festhalten am Überkommenen der Stadt ihr
charakteristisches Gepräge?
Oswalt:
In der Tat stellt der Berlinische Konventionalismus eine markante eigenständige
Entwicklung dar. Er beinhaltet durchaus konzeptionelle und intellektuelle
Qualitäten. Und obwohl das Konzept in der internationalen Debatte
auf manche eine Faszination des Grauens ausübt, wird es durchaus
ernstgenommen. Bestehen bleibt aber diese Ignoranz gegenüber wichtigen
Fragen der Stadtentwicklung.
Wir haben es hier mit einer Art Generationenkonflikt zu tun. Die Generation,
die nach wie vor die Baupolitik und die architektonische Entwicklung
in Berlin prägt, stammt zum größten Teil aus dem Westberlin
der siebziger und achtziger Jahre und hat da ihre gedankliche und kulturelle
Prägung erfahren. Man denke etwa an Hans Stimmann als Senatsbaudirektor
oder an die Architekten Hans Kollhoff, Josef Paul Kleihues und Jürgen
Sawade. Daneben gibt es aber durchaus Berliner Architekten, die ihre
prägende Zeit im Ausland verbrachten und nicht so sehr den alten
Wahrnehmungen verhaftet sind. Sie haben einen anderen Blick auf die
Stadt und ich denke, dass diese neue Perspektive sich mittelfristig
durchsetzen wird. Die alten Strukturen sind aber doch noch sehr etabliert.
Sie werden
also die städtebauliche Entwicklung, die sich in Berlin seit der
Wiedervereinigung vollzog, insgesamt kritisch beurteilen?
Oswalt:
Im Wesentlichen ging es um eine nachholende Entwicklung. Sowohl Ost-
wie Westberlin waren sehr spezifische Orte: Westberlin, ein fast sozialistisches
Gebilde im Sinne eines nicht funktionierenden Kapitalismus, das als
Schaufenster des freien Westens durch starke Subventionen am Leben erhalten
wurde und keine normale kapitalistische Entwicklung vollzog. Und Ostberlin
als Verwaltungswasserkopf der DDR.
In beiden Stadtteilen bestand ein großes Defizit, was die zeitgenössischen
Bedürfnisse des privaten Lebens und Wirtschaftens betrifft. Die
Entwicklung vollzog sich in zwei Richtungen. Zum einen konnte man eine
extreme Suburbanisierung beobachten, wie wir das aus allen westlichen
Städten kennen. Am Berliner Stadtrand entstanden etwa 100 000 Eigenheime,
eine Entwicklung, die von niemandem geplant wurde, keinerlei steuernde
Eingriffe erfuhr und aus meiner Sicht sehr problematisch ist. Zum anderen
ging es vor allem im Ostteil der Stadt um eine nachholende Modernisierung
im Sinne von Dienstleistungsangeboten für Büroflächen
sowie modernen Formen des Einkaufens und Amüsierens.
Während das europäische Modell an sich immer das Ziel verfolgte,
privatwirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen in ein Gleichgewicht
zu bringen, fand eine solche Ausbalancierung in Berlin nicht statt,
sondern es kam im Zuge einer Hypermodernisierung zu einer Art Amerikanisierung.
Was die Mauer als antikapitalistischer Schutzwall verhindern sollte,
prägte sich nach dem Mauerfall extrem aus. Heute gibt es am Berliner
Stadtrand und auch in Ostberliner Innenstadtbereichen diese Megamalls
und Multiplexkinos, also große introvertierte kommerzielle Funktionen,
die nicht mehr in den Stadtkörper eingebunden sind.
Wie hätte
man Ihrer Auffassung nach mit der baulichen Hinterlassenschaft der DDR
im Ostteil Berlins verfahren sollen?
Oswalt:
Seit 1989 wird in Berlin eine Politik umgesetzt, die im Sinne der klassischen
Moderne tabula rasa veranstaltet. Das ganze Ostberliner Zentrum unterliegt
einem radikalen Umgestaltungsprozess, der auch so weitergehen wird,
wenn man sich die Planung des Alexanderplatzes ansieht, die demnächst
umgesetzt wird. Auch hier soll durch einen Totalabriss und Neuaufbau
völlig neu gestaltet werden.
Ich halte ein solches Vorgehen für sehr problematisch. Im Grunde
handelt es sich dabei um eine symbolische Politik des für Berlin
sehr typischen kontinuierlichen Vatermordes. Mit unheimlicher Emotionalisierung
wird alles, was die vorhergehende Generation schuf, abgelehnt und ausradiert.
Was die Hauptstadt der DDR ausmachte, wird innerhalb weniger Jahre im
Stadtgebiet nicht mehr erfahrbar sein. Diese Haltung ist äußerst
fragwürdig, ginge es doch vielmehr darum, sich mit der eigenen
Geschichte und Identität auseinanderzusetzen. Auch sind die neuen
Bebauungen qualitativ keineswegs immer besser als die alten. Geradezu
komisch mutet es an, das in Namen von Geschichte das geschichtlich hergebrachte
der Simulation eines fiktiven historischen Bildes weichen muß.
Es gibt also nicht die Vision von Zukunft, sondern die Vision einer
anderen Vergangenheit, die man durch diesen Eingriff erzeugen will.
Ich denke, dass sehr wohl Möglichkeiten vorhanden sind, eine Stadt
zu modernisieren und weiterzuentwickeln, ohne den alten Baubestand,
der auch architektonische Qualitäten besitzt, völlig zu zerstören.
Man kann Vorhandenes weiterentwickeln und nachhaltig neue Programme
einbringen, die ein komplexes städtisches Gefüge erzeugen
und den Stadtbereich beleben. Der Entwurf des Architekten Daniel Libeskind
für den Um- und Weiterbau des Alexanderplatzes, der im Planungswettbewerb
allerdings nur den zweiten Platz belegte und daher nicht realisiert
wird, zeigt auf eindrückliche Weise, wie man interessant und intelligent
mit Vorgefundenem umgehen kann, auch wenn es eine schwierige Geschichte
repräsentiert.
Welche
Auswirkungen zeitigt die Spekulation auf die Stadtentwicklung Berlins?
Oswalt:
Berlin ist mit der Spekulation groß geworden. Das starke Wachstum
während der Industrialisierung war eine hochspekulative Entwicklung,
wo man die Immobilie als Geldanlage ansah, ohne auf die Interessen der
eigentlichen Bewohner zu achten. Damals war das eine sehr problematische
Entwicklung, langfristig aber muss Spekulation sich nicht negativ auswirken.
Was das aktuelle Berlin betrifft, ist der erwartete Boom aber ausgeblieben.
Es gibt Enklavenbildung, soziale Segmentierung, das Abwandern von Bevölkerung,
Stadtteile, die zu verslumen drohen usw. Diese Gefahren sind aber nicht
spezifisch für Berlin, sondern charakteristisch für jede urbane
Entwicklung.
Daneben vollzog sich in Berlin jedoch noch eine andere interessante
Entwicklung. Gerade durch die Abwesenheit marktwirtschaftlicher Strukturen
in der Nachkriegszeit gab es viele Bereiche in der Stadt, die brachlagen,
wo die Immobilien keinen ökonomischen Wert hatten und die deshalb
als vakanter Raum für wenig Geld in Anspruch genommen werden konnten.
Darin liegt ein interessantes Potenzial von Berlin, dass sich über
ein solches Raumangebot neue Kulturen und auch neue Ökonomien entfalten
könnten. Die gesamte Kulturentwicklung der neunziger Jahre in Berlin-Mitte
basierte auf solchen brachliegenden Bauten. Insofern könnte man
diskutieren - und wir beginnen an der TU-Berlin gerade ein Forschungsprojekt
zu diesem Thema -, wie es möglich ist, solche vakanten Räume
für eine Stadtentwicklung einzusetzen, die sich nicht nur auf das
Investment von oben stützt, sondern auch andere Gruppen einbezieht.
Nun erwies
sich Berlin in der Vergangenheit als besonders geeignet für Versuche
einer Realisierung extrem utopischer Entwürfe. Ist dieses utopische
Denken aus den heutigen Vorhaben verschwunden?
Oswalt:
Ironisch könnte man sagen, dass die jetzige Stadtplanungspolitik
einen solchen utopischen Versuch darstellt. Grundlegende Idee ist eine
Blockbebauung, die als Berlinische Architektur bezeichnet wird und nun
auf jede Situation, ob es sich um einen mehr oder weniger vorhandenen
Block handelt, eine Zeilenbebauung aus den Fünfziger Jahren oder
eine heterogene Brache, in gleicher Weise zur Anwendung kommt. Das heißt,
es wird ein sehr simples und im Wesentlichen nur ästhetisch gesetztes
Bild formuliert.
Diese komische Gleichzeitigkeit von ästhetischer Reglementierung
einerseits und ökonomischem laisser-faire andererseits zeigt exemplarisch
die Geschichte des Potsdamer Platzes. Ein großes städtisches
Areal wurde unter Marktpreisen an drei Großkonzerne verkauft,
die dafür das Programm eines Entertainment-Centers entwickelten.
Der Einfluss der Stadt richtete sich nun nicht auf das Konzept, kommerzielle
Formen, die bisher eher an der Peripherie zu finden waren, in die Innenstadt
zu verpflanzen, sondern einzig auf das ästhetische Erscheinungsbild.
Durch die Umsetzung einer Blockstruktur soll das Bild einer europäischen
Stadt geschaffen werden. Ähnliches findet man an vielen Orten,
insbesondere im Ostteil der Stadt.
Aus meiner Sicht ist es absurd, dass man zwar architektonisch formell
das Erscheinungsbild reglementiert, dass man aber die Dinge, die für
ein städtisches Leben entscheidend sind, dem freien Spiel der Marktkräfte
überlässt. In gewissem Sinne könnte man von einer konservativen
Revolution sprechen, einer Utopie, die versucht, sich durch Geschichte
zu legitimieren.
Befindet
sich Berlin auf der Suche nach einer Pseudohistorie?
Oswalt:
Dieses Bedürfnis nach Geschichte hat zwei Aspekte. Zum einen geht
es wie in allen Großstädten darum, im Sinne von Stadtmarketing
Images zu entwickeln, die Touristen anziehen. Mit der Globalisierung
der Wirtschaft hat das Benutzen von Geschichte als Vermarktungsvorteil
zunehmend an Bedeutung gewonnen. Das Spektrum reicht von der Aufwertung
historischer Orte durch deren Rekonstruktion bis hin zu fiktiven Gebilden.
Zum anderen reflektiert Berlin als Brennpunkt der deutschen Geschichte
natürlich auch das Selbstverständnis der Deutschen. Und was
mich an der städtebaulichen Diskussion vor allem befremdet, das
ist der explizite Versuch, die Geschichte des 20. Jahrhunderts auszublenden
und direkt an das 19. Jahrhundert anzuknüpfen. Zwar mag die radikale
Verdrängung angesichts der Problematik der deutschen Geschichte
verständlich sein, ein angemessener Umgang ist es aber nicht.
Wilhelm von Boddien als Schlossbefürworter formulierte es sehr
deutlich, als er sagte, wir bräuchten das Schloss, um Berlin seine
Identität zurückzugeben. Nicht nur dass Berlin auch heute
schon eine sehr starke Identität besitzt, unglaublich intensiv
und charaktervoll ist, mutet die Idee, Berlin seine Identität zurückgeben
zu wollen, noch in anderer Hinsicht seltsam an. Boddien will die Identität,
die sich im 20. Jahrhundert entwickelt hat, tilgen und zur Überblendung
die Geschichte eines heilen Berlins von 1900 produzieren. Als besonderes
Kuriosum kommt hinzu, dass all die Befürworter des Schlossaufbaus,
die sich verhalten, als ginge es um den Wiederaufbau ihres eigenen Elternhauses,
das Schloss nie gekannt hatten. Es wurde 1950 abgerissen und ist ihnen
daher nur medial vermittelt.
Würden
Sie sagen, dass Berlin in besonderem Maße dem Wahn absoluter Machbarkeit
in Planung und Architektur verfallen ist?
Oswalt:
Für mich ist Berlin ein Prototyp, an dem bestimmte Fragestellungen
des Städtebaus besonders deutlich werden. Wie kaum eine andere
Stadt bündelt es die unterschiedlichen Facetten der Moderne und
bringt damit auch diesen positivistischen Glauben zum Ausdruck, die
Gesellschaft nach einem Idealbild konstruieren zu können.
Heute wissen wir aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, zu welchen
fatalen Folgen die Vorstellung von einer besseren Welt führte.
Diese Naivität, einen Idealplan verwirklichen zu wollen, können
wir vor diesem Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten. Eine Auseinandersetzung
mit Berlin führt daher unweigerlich zu einem neuen Planungsverständnis,
das sich aber in der Bauplanung bisher noch nicht niedergeschlagen hat.
Wie müsste
dieses neue Verständnis aussehen?
Oswalt:
Grundsätzlich brauchen wir ein anderes Entwurfsverständnis,
das versucht, die Prämissen der klassischen Moderne aufzubrechen.
Man spricht auch von einer zweiten Moderne, das heißt von einer
Phase, wo die Modernisierung sich selbst reflektiert. Für die Stadtplanung
geht es damit nicht mehr um das naive 'ich entwerfe', sondern um eine
Reflexion dessen, was stattgefunden hat.
Wenn man sich Berlin ansieht, muss man feststellen, dass vieles von
dem, was die Qualität der Stadt ausmacht, gar nicht intendiert
war. Auf dieses Unbeabsichtigte muss man sich als Stadtplaner einlassen
und darf solche Entwicklungen nicht immer nur als Scheitern werten.
Nicht der ideale Neuentwurf ist es, was die Stadt braucht, sondern eine
Planung, die sich offen zeigt gegenüber dem Gegebenen und in der
Lage ist, auch auf Unvorhergesehenes und Nichtintendiertes einzugehen
und dem eine städtebauliche Qualität einzuschreiben.
Das bedeutet nicht, dass man nicht dennoch strategisch vorausschauend
Einfluss nehmen kann. In der viel verschrieenen klassischen Moderne
gab es zum Beispiel durchaus interessante Ansätze von Regionalplanung.
Denken Sie nur an die Sicherung des Tegler Forstes, des Köpenicker
Forstes und des Grunewaldes. Diese drei großen städtischen
Grüngebiete von Bebauung freizuhalten, war eine der wichtigsten
stadtplanerischen Entscheidungen des letzten Jahrhunderts. Ein solches
vorausschauendes Denken wäre auch heute wünschenswert.
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