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n der Architekturentwicklung der letzten fünf Jahre läßt
sich eine Tendenz zu einfachen, reduzierten Formen feststellen. Und dies
nicht nur bei denen, die eine 'Neuen Einfachheit' propagieren und einem
Minimalismus huldigen. Auch näherte sich die 'high-tech'-Architektur
nach ihrer techno-expressiven und der Pop-Art verpflichteten Phase einer
kühlen, ruhigen Sachlichkeit von 'slick-skin' Gebäuden an, während
sich die Arbeit von O.M.A. und ihren Nachfolgern von Gebäudecollagen
(z.B. Dans Theater Den Haag) zu monolithisch anmutenden Gebäudekörpern
(z.B. Congrexpo, ZKM oder die Bibliotheken für Paris) entwickelte.
Hans Kollhoff schließlich wandte sich von seinen früheren expressiven
Großformen ab und verpflichtete sich einem 'Konventionalismus'.
Nach einer Ära des formalen Experimentierens, des Eklektizismus und
der Fragmentierung, die mit der Postmoderne begann und mit der Dekonstruktion
ihren Höhepunkt (und vielleicht auch vorläufigen Abschluß)
gefunden hat, entwickelt sich die heutige Architektur offenbar in entgegengesetzter
Richtung. So entstehen die heute am meisten diskutierten Architekturen
in zwei Ländern, an denen die Postmoderne nahezu spurlos vorübergegangen
ist: In der Schweiz und in Holland. Im Gegensatz zur postmodernen Collage,
aber auch konträr zum modernen Konzept der Zerteilung, Elementierung
und Schichtung gibt es ein architektonisches Bestreben nach monolithischer
Kohärenz. Interessanterweise scheint dies trotz allen regionalen
und architekturtheoretischen Unterschiedlichkeiten - eine allgemeine Tendenz
zu sein, die wir in diesem Text mit dem Begriff der 'Formlosigkeit' umschreiben.
Damit meinen
wir die Suche nach Formen, die eigenschaftslos sind: sie haben keine Bedeutung,
verfolgen keine (vordergründige) Ambition oder Intention, sind ungerichtet,
artikulieren kein oben/unten, vorne/hinten, sind nicht individuell oder
spezifisch, sondern erscheinen im höchsten Maße allgemein.
Dies ist
zunächst die Box oder der Kubus mit seinen gleichwertigen Seiten,
das 'Blob' mit seiner kontinuierlichen, homogenen Oberfläche. Formlos
kann jedoch auch das Auffüllen vorhandener Resträume sein, das
Extrudieren des Baugrundstücks, die Faltung einer Fläche oder
jeder andere automatische Prozeß, aus dem sich eine Form ohne ästhetische
Ambition, ohne Formwollen ergibt.
Die Formlosigkeit, welche die Postmoderne abzulösen und zu überwinden
scheint, ist zugleich ohne die Postmoderne undenkbar. Sie basiert auf
kulturellen und ökonomischen Veränderungen, die gemeinhin der
Postmoderne als Epoche (nicht als Stil) zugerechnet werden:
Architektur als Konsumprodukt: Die Inflation der Bilder
So wie
die Moderne eng verknüpft war mit der Ökonomie einer produktionsorientierten
Gesellschaft und damit der Optimierung des Produktionsprozesses (Fordismus),
so ist die Postmoderne Ausdruck einer Konsumgesellschaft . Durch den Wechsel
von einer produktions- zu einer konsumorientierten Gesellschaft haben
sich auch die ökonomischen Erwartungen an die Architektur entscheidend
verändert: Im gleichen Maße wie die wirtschaftliche Erwartung
an die Architektur als Mittel zur Steigerung der Produktivität abnahm,
erhöhte sich der ökonomische Druck auf die Architektur, als
Marktprodukt zu funktionieren. Um Konsum zu optimieren, mußte dem
ästhetischen Anspruch einer postmodernen Gesellschaft Genüge
getan werden, was zur formalen Diversifizierung der Produkte führte.
Die Verpackung der Ware wurde hierbei zu einem zentralen Bestandteil des
ökonomischen Wettbewerbs. Während in der Moderne die Funktion
im Vordergrund stand (form follows function), gewann in der Postmoderne
der Effekt entscheidend an Bedeutung. Frivole Kombinationen
von Formen und Farben wurden möglich und ebenso jegliche Geometrien.
Die Mediatisierung der Gesellschaft beschleunigte den Eklektizismus. Mit
der Mediatisierung des Alltags haben sich Politik, Kultur und Architektur
verbildert. Mit zunehmender Geschwindigkeit verkürzt sich die Umschlagzeit
der Architekturprodukte und ihre Bildervermarktung. Zugleich verlieren
diese Bilder durch die Schnellebigkeit von ästhetischen und kulturellen
Werten an Signifikanz. Das Problem des Architekturproduktes ist, daß
es wie jede Mode ständig nach stilistischer Erneuerung verlangt,
daß aber durch die schnelle Weiterentwicklung der Mode(n) das Gebaute
nicht mehr 'up to date' ist und veraltet erscheint. Durch die Trennung
von Form und Inhalt und die exponentielle Beschleunigung der Moden sind
Formen trivial und bedeutungslos geworden. Daher entstand der Wunsch,
Architektur mit 'No style' zu bauen.
Von der Standardisierung zum Eigenschaftslosen (Generic)
Mit der
Postmoderne änderte sich ebenfalls die Bauherrenschaft: War in der
klassischen Moderne sowie in der Nachkriegsmoderne der sozialdemokratische
Staat der wichtigste Auftraggeber, verschob sich seit den 70er und 80er
Jahren die Initiative mehr und mehr zu privaten Bauherren, von sozialistischen
und sozialdemokratischen Wirtschafts- und Staatsformen zu einem freien
Kapitalismus globaler Märkte. Die neuen Bauherren bauten nicht mehr
für ihren eigenen Gebrauch, sondern als Developer für anonyme
Nutzer. Dies führte zu einer neuen Nachfrage nach eigenschaftslosen
Gebäuden. Während in der klassischen Moderne Gebäude aus
produktionstechnischen Gründen (Massenfertigung, Fertigbauweise)
und sozialreformerischen Gründen (gleicher Standard für alle)
gleich sein sollten und daher standardisiert und genormt wurden, sind
nun 'formlose' Gebäude gefragt, die auf dem freien Markt von den
potentiellen Mietern möglichst flexibel genutzt werden können
und somit die allgemeinsten, durchschnittlichen Bedürfnisse (Nachfrage)
befriedigen sollen.
Dieses Phänomen umschreibt Rem Koolhaas mit dem Begriff des 'generic'.
Das englische Wort 'generic' leitet sich aus dem lateinischen Wortstamm
'gener-' bzw. 'genus'ab, der mit Geburt, Art oder Klasse übersetzt
wird. Als Charakterisierung von Produkten meint 'generic', daß diese
nicht durch ein spezielles Handelszeichen geschützt sind, d.h. keinen
übergeordneten Repräsentationsanspruch ('Image')
erzeugen. Dem Websters Dictionary zufolge ist 'generic' etwas, das unterschiedlichen
Erfordernissen (hinsichtlich Verwendung, Form oder Größe) angepaßt
oder anpaßbar und damit auch umfassend breit oder vielseitig anwendbar
ist. Generisch, bezogen auf die Architektur ist das lokal ungebundene,
unspezifische Produkt einer globalen Ökonomie, das potentiell
in jedem kulturellen Kontext auftreten kann, ob in Europa, Amerika oder
Asien.
Diese beiden Entwicklungen - die Bedeutungslosigkeit von Bildern durch
die Bilderflut der Postmoderne und der ökonomische Trend zum eigenschaftslosen
Gebäude - haben zu einer Architektur der Formlosigkeit geführt.
Hinter diesem allgemeinen Trend verbergen sich jedoch mehrere Strategien,
die - von einem ähnlichen Punkt ausgehend - völlig gegensätzliche
Ambitionen verfolgen. Wir konzentrieren uns in diesem Artikel auf drei
zeitgenössische Strömungen: den vor allem in der Nordschweiz
vorherrschenden 'Minimalismus', die von uns mit dem Begriff 'Konventionalismus'
bezeichneten Arbeiten der Berliner Szene sowie den 'Subversiven Realismus'
von O.M.A./Rem Koolhaas und der holländischen Schule. Ebenso ließen
sich jedoch auch die Arbeiten von Jean Nouvel, Toyo Ito, Kazuyo Sejima
oder Norman Foster unter dem Aspekt der 'Formlosigkeit' analysieren.
Minimalismus: Reduktion und Ästhetisierung
Der Schweizer
Architekturtheoretiker Martin Steinmann analyisiert und beschreibt seit
Jahren die Intention der Nordschweizer Architektur. Er sieht in
den Arbeiten der Minimalisten den Versuch, den medialen Bildern der Medienwelt
(der Ansteckung der Dinge durch die Bilder) durch eine Architektur vor
den Bildern zu entkommen. Seiner Ansicht nach vermeide die Architektur,
Zeichen zu sein. Sie wolle nichts bedeuten, nicht auf anderes verweisen,
sondern nur sie selbst sein, ganz im Sinne der Minimal Art. 'Was man sieht,
ist alles was man sieht' sagt Judd um - so Steinmann - 'auszudrücken,
daß sich die Werke der Minimal Art auf sich selber beziehen, genauer
auf die Erfahrung, die der Betrachter an ihnen macht: eine Erfahrung,
deren Gegenstand die Erfahrung selber ist.'. Die Dinge bedeuten nichts
mehr, sie verweisen nicht mehr auf etwas anderes, sondern sie sind nur
sie selber und können so unmittelbar erfahren werden. Bedeutung setze
eine Konvention voraus, sie sei eine Erfahrung, die durch eine Konvention
vermittelt werde. In der minimalistischen Architektur hingegen gehe es
um eine vorsemiotische Erfahrung. Erst durch die Befreiung von einer Bedeutung
sei das architektonische Objekt als solches wahrnehmbar.
In diesem Sinne beschreiben auch Herzog&deMeuron ihre eigene Arbeit:
'Das Material ist dazu da, den Bau zu bestimmen und das Gebäude ist
gleichermaßen dazu da, das Material zu zeigen, sichtbar zu machen,
aus dem es hergestellt ist. [...] Wir treiben das Material, das wir verwenden,
an einen äußersten Punkt, an dem es von allen anderen Aufgaben
als 'zu sein' befreit ist.' Durch die Befreiung von einer Bedeutung wird
das Material bzw. das Objekt als solches wahrnehmbar. So ist z.B. die
'Wahrheit' der Konstruktion kein Anliegen. Sie ist verborgen oder zeigt
sich als ungerichtetes visuelles Muster (Gitter) in einer Ebene mit der
Ausfachung und läßt das Ganze monolithisch erscheinen. Ebenenso
wird Glas nicht wegen seiner Transparenz eingesetzt (um andere, dahinterliegende
Dinge zu zeigen), sondern um das Material Glas zu zeigen, und so erscheint
es transluzent oder gar opak. Die Gebäude sind maßstablos,
sie vermeiden jeden Bezug zum menschlichen Maßstab und sind so auch
in dieser Hinsicht ohne Referenz nur auf sich selbst bezogen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein solches Haus zu sehen. Sie
schließen einander nicht aus, sondern existieren gleichzeitig nebeneinander.
Sie sind die Möglichkeiten des Objektes. Das Objekt, das sind die
Möglichkeiten, es zu sehen.
Die abstrakte Form tritt zurück hinter der temporären Wahrnehmung
der Oberfläche. Sie changiert mit dem Licht, dem Standort des Betrachters
und seiner Lesart. Das Objekt wird zur undurchlässigen Projektionsfläche,
zum Reflektor des Betrachters, des Lichts oder der Umgebung.
Statt einer objektiven Bedeutung stellt der Minimalismus die von Zeitlichkeit
gekennzeichnete Wahrnehmung des Betrachters in den Vordergrund. Der Betrachter
schafft sich seine eigene, subjektive Bedeutung.
Grundlegend für den Minimalismus ist ein radikaler Reduktionismus,
der nahezu alles außer dem Material selbst zum Schweigen bringt:
Nicht nur jede From konventioneller Architektursprache (Eingang, Sockel,
Abschluß, Konstruktion, Herstellung, etc.) sondern auch die Spuren
des Gebrauchs und der Nutzung. Dadurch gewinnen die Gebäude eine
Aura, die sie dem Alltäglichen entzieht. Letzlich geht es um die
Erzeugung neuer Bilder, oder besser gesagt, eines neuen Bildes, das in
seiner Erscheinung oszilliert. Dieser Wunsch der Bilderzeugung ist postmodern,
wobei hier die Bilder nicht mehr aus der Historie zitiert oder aus komplexen
Theorien (Dekonstruktion) entwickelt werden, sondern aus dem Material
des Gebäudes selbst, mitunter durchaus mit Bezug auf den Ort oder
die Funktion.
Die Trennung zwischen den Funktionen des Innenraums und der äußeren
Hülle erreicht im Minimalismus seine Perfektion: Während neutrale,
konventionelle Grundrisse das Innere organisieren, wird die Außenhülle
durch ihre Ästhetisierung zum eigentlichen architektonischen Projekt.
Mit minimalem Aufwand (der Oberflächengestaltung) wird der größtmögliche
architektonische Effekt erreicht. Die ökonomische Umgangsweise mit
dem architektonischen Produkt entspricht in optimaler Weise den Anforderungen
des heutigen Marketings: Während der Innenraum absolute Flexibilität
verspricht, lockt das Äußere durch bildhafte Effekte. Die Fetischisierung
der Oberfläche führt zu schnell konsumierbaren Effekten, visuellen
Reizen, die wie beim TV-Zappen schnell verstanden und rezipiert werden
können. Der Effekt erschließt sich unmittelbar, ist verständlich
und leicht konsumierbar.
Konventionalismus: Normal und Moral
Für
die Konventionalisten ist die Banalität heutiger Bauaufgaben Ausgangspunkt
ihrer Arbeit: So sagt Hans Kollhoff: 'Machen wir uns nichts vor, oder
besser, die Architekten sollten aufhören, dem Publikum etwas vorzumachen:
Bürohäuser, die heute auf dem Markt bestehen wollen, sehen im
wesentlichen gleich aus: um die 3,60m Geschoßhöhe, Wandrastermaß
zwischen 1,25 und 1,45m, zweihüftiger Grundriß mit einer Baukörpertiefe
von etwa 14m [...]'. Und daher ist für Kollhoff die Konvention 'in
der Regel auch das kostengünstige, dauerhafte und bequeme Bauen'.
Die Standardisierung und Normalität wird - wie bei den Minimalisten
- akzeptiert. Doch anders als bei diesen wird die Banalität nicht
ästhetisch verbrämt, mit einer Hülle gesuchter und besonderer
Materialität verpackt und mystifiziert, sondern sie wird gezeigt.
Die entwaffnende Zurschaustellung des Konventionalismus scheint zunächst
progressiv zu sein, indem sie das Wesen der Sache offenlegt. Doch dabei
bleibt es nicht. Auch die Konventionalisten wollen das Banale überwinden,
nur auf andere Weise. Bei ihnen wird das Normale moralisch aufgeladen,
zum ethischen Wert erhoben, zum Ausdruck des Kollektiven, Gemeinschaftlichen.
'Es tritt eine Rückbesinnung auf Werte ein, die lange Zeit verzichtbar
erschienen.' (Kollhoff). Aus der Baugeschichte konstruieren sie eine 'Konvention',
die vermeintlich Ausdruck eines kollektiven, allgemeinen Willens ist.
Kollhoff beschreibt dann auch, wie sich ein Baukörper oder eine Fassadengliederung
quasi automatisch aus diesem Regelwerk der 'Konvention' ergibt, aus der
Anwendung eines klischeehaften, klassizistischen Architekturvokabulars
(Dach, Sockel, Ecke, Tektonik, Vorderseite, Eingang etc.). Die Architektur
scheint ihre Autonomie (und Integrität) gegenüber der heutigen
Medien- und Warenwelt nur durch ihr eigenes Klischee retten zu können.
Formlosigkeit
ist hier nicht die Offenheit und Unbestimmtheit einer Form, sondern im
Gegenteil, die überindividuelle, allgemeingültige, absolute
Form. Das Alltägliche, das Generische wird zum Vorwand der Entindividualisierung,
zur Propagierung von Gemeinschaft und Kollektiv. Die Bildlichkeit ist
eindeutig und formelhaft. Formlosigkeit wird überführt in eine
'allgemeingültige', eindeutige Form.
Subversiver Realismus: Das Spezifische im Unbestimmten
Für
Rem Koolhaas bildet das Generic-hafte, Eigenschaftslose und Formlose die
neutrale Basis einer subversiven Architekturstrategie. Er entledigt sich
der herkömmlichen Mittel des architektonischen Ausdrucks, um von
diesem neutralen Grund aus Differenz, Heterogenität, Polarität
und Ereignis zu entwickeln. Koolhaas destilliert die programmatischen
Anforderungen eines Projektes bis hin zu einer allgemeingültigen
Grundsubstanz, d.h. jedes Projekt wird zunächst auf seine allgemeinste
Form reduziert. Was ist eine Universitätsbibliothek, außer
einer Fläche, auf die man Bücherregale stellen kann und einem
Weg, auf dem man die Öffentlichkeit zu ihnen hin führt? Was
ist ein Opernhaus, außer einer Hülle für Theateraufführungen
und einem Platz an dem sich die Öffentlichkeit versammeln kann, um
sie zu sehen? (Jeffrey Kipnis) Im Gegensatz zu Konventionalismus und Minimalismus
benutzt Koolhaas Reduktion als Methodik zum subversiven Disestablishment,
um das Projekt von gängiger Moral, Konvention und Ästhetik zu
befreien. Das Programm und die Organisation eines jeden Projektes wird
von kulturellen, symbolischen, klischeehaften Referenzen gelöst und
neu definiert. Das Generische bei Koolhaas definiert sich zunächst
über realistische Parameter. Aus den Essenzen des Projekts
- Zoning, Grundstück, Programm, Durchwegung, Technik, Konstruktion,
Gebäudehülle - entwickelt Koolhaas eine Architektur (und damit
auch eine Ästhetik) der Differenz. Er reduziert das Programm auf
seine Essenz, um es von dieser aus auf unkonventionelle Weise neu zu interpretieren.
Aus der Essenz wird somit das Spezifische destilliert, Alltäglichkeit
neu inzeniert und das Gewohnte zum Ungewöhnlichen.
Gerade die multiplen Ordnungen der Architektur von O.M.A. erfordern den
neutralen Grund, worin sie sich entfalten und entwickeln können.
Nur das eigenschaftslose, ungerichtete, unbestimmte Volumen kann die
neutrale Voraussetzung für eine nichthierarchische Heterogenität
erstellen und die Mannigfaltigkeit spezifischer Überlagerungen
absorbieren.
In seinem Entwurf für die Grande Bibliotèque de France beispielsweise
nimmt Koolhaas das zunächst 'formlose' Volumen der Buchmagazine,
das die Leseräume als Negativvolumina mit ihren verschiedenen Geometrien
spezifizieren und inszenieren. Ähnlich in seinem neuen Projekt für
das Headquarter von Universal Studios in Los Angeles: Wieder findet eine
inszenierte Symbiose zwischen den unbestimmten Quadratmetern der Bürofläche
als 'generic floors' und den 'specific functions' als artikulierte Formensprache
statt. Während in den Bürogeschossen die (individuelle) Gestaltung
dem zukünftigen Benutzer überlassen bleibt, setzen die formal
differenzierten Volumina die spezifischen Funktionen (Konferenzräume,
Healthclub, Kino) in Szene. In einer spielerischen und zugleich subversiven
Dialektik benutzt Koolhaas das Generische und macht daraus das Spezifische.
So wird das Allgemeine zur Legitimation des Spezifischen, das Alltägliche
als spezifisches Ereignis neu inzeniert.
Subversiver Realismus, Minimalismus und Konventionalismus verfolgen
- von einer ähnlichen Ausgangslage ausgehend und trotz gewisser methodischer
Parallelen - konträre Ambitionen. Dies wird im vorangegangen
klar geworden sein, doch wollen wir es in Hinsicht auf zwei Themenbereiche
genauer untersuchen:
Kritik der Originalität
Nach der
Bilderflut der Postmoderne und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust
von Formen ist die Idee der Originalität in eine Krise geraten. Die
Kritik der Originalität ist heute nahezu zum Allgemeinplatz der Architekturdiskussion
geworden, gleichwohl aus entgegengesetzten Intentionen:
Die Konventionalisten wollen das Subjektive zurückdrängen und
ausschalten, um das ständig Neue, Andere und Individuelle zu verhindern.
So sagt Kollhoff: 'Wir sollten Schluß machen mit diesem Mythos
des Architekten, der sich an den Tisch setzt und etwas erfindet. Aus dieser
Haltung heraus sind sämtliche Katastrophen unseres Jahrhunderts entstanden.'
Das Individuelle soll durch den 'Rückgriff' auf eine behauptete Tradition
aus dem Entwurfsprozeß herausgedrängt werden. Kollhoff beschreibt
immer wieder Regelwerke, aus denen sich der Baukörper und dessen
Gestaltung quasi automatisch ergibt, wobei klischeehafte 'Konventionen'
von Sockel, Dachabschluß, Eckausbildung, Eingang etc. formbildend
sind. Für
Rem Koolhaas geht es um das genaue Gegenteil: Er will das Subjekt als
Träger konventioneller, überkommener Werturteile und Konventionen
ausschalten, um durch automatische Entwurfsmethoden das Neue zu generieren.
Dies greift die Idee des Automatismus der dadaistischen und surrealistischen
Avantgarde wieder auf: Durch automatische Generierung von Literatur und
Malerei soll das Unbewußte und Verdrängte unmittelbar zum Ausruck
gebracht werden. Der Architekt entwirft keine Form, sondern entwickelt
ein Satz von Regeln, innerhalb derer sich die Form frei entwickelt. Rem
Koolhaas hat dieses Vorgehen am Beispiel von Hugh Ferris utopischen Projekten
in Delirious New York beschrieben, der die Zoning-Gesetze Manhattans unmittelbar
in Architektur umgesetzt hat. Heute gibt es mehrere Ansätze dieser
automatischen Formgenerierung. So wird in einigen Arbeiten des holländischen
Büros MVRDV systematische Daten herangezogen, die Formen generieren.
Die Architekten begreifen die Stadt als eine Art Datenlandschaft ('datascape').
Durch Quantifizierung performativer Kriterien wie beispielsweise Verkehrsflüsse,
Lichtverhältnisse, Dichte und Benutzungsstrukturen sowie deren rigide
Anwendung werden Formen generiert.
Hierbei wird ein rationalistischer Datenverabeitungsprozeß in Gang
gesetzt, der, losgelöst von subjektiver Wertung, eine neue artifizielle
Stadtlandschaft generieren soll. Der ideologische Hintergrund dieser Forschungen
beruht auf der Zurückweisung der ästhetischen Diskurse und strebt
eine neue Art des Funktionalismus an. Dieser 'automatische' Prozess fordert
dazu auf, moralische und ästhetische Vorurteile zu suspendieren,
um so das 'unbekannte Neue' zu generieren.
Die Minimalisten sprechen sich gegen Konvention und eine Beschwörung
von Tradition aus. Doch was sie suchen, sind vor allem neue, zeitgemäße
Bilder, während Fragen des Programms und der Nutzung außen
vor bleiben.
Exklusiv versus Inklusiv
Im Gegensatz
zur klassischen Moderne, die in ihrer Raumkonzeption eine fließende
Kontinuität zwischen Innen- und Außenraum, privatem und öffentlichem
Bereich anstrebte, suchen die Minimalisten nach einer eindeutigen Trennung.
Diese Trennung erfolgt aus der Selbstgenügsamkeit der Objekte, ihr
Ablösung aus dem Kontext, dem radikalen Reduktionismus der Architektur
und der Fetischisierung des Materials (womit die Verdrängung der
Nutzung einhergeht). Daraus folgt eine radikale Trennung zwischen äußerer
Erscheinung und dem Geschehen im Inneren (Nutzung). Die Fassade wird zu
einem autonomen Objekt, das in Hinsicht auf seine Bildhaftigkeit und das
monolithische Erscheinen entwickelt wird. In Ihrer Opaziät verschleiert
die Fassade das Innere. Als kontinuierliche Außenhaut schließt
sie das Gebäude von der Umgebung hermetisch ab.
Die Gebäude sind introvertiert, auf sich selbst bezogen. Die Sportanlage
Pfaffenholz in St. Louis vom Architekturbüro Herzog & DeMeuron
ist ein gutes Beispiel dafür. Mitten im Grünen gelegen, finden
alle sportlichen Aktivitäten innerhalb des Gebäudes statt. Fensterlos
ist diese Halle hermetisch von der umliegenden Landschaft abgeschlossen.
Ebenso erscheint ein anderes Projekt der Architekten, die Kunstkiste,
ein neues Museum in Bonn, vollkommen vom städtischen Kontext
gelöst und auf sich selbst bezogen. Von außen ist es nahzu
unmöglich, auch bloß nur zu vermuten, welche Nutzungen hinter
der Fassade verborgen sind.
Die Ästhetisierung der Oberfläche auratisiert die Bauten der
Minimalisten und enthebt sie aus dem Alltag. Sie werden zu elitären,
kunstvollen und damit auch 'unantastbaren' Objekten, die die Banalität
ihres Innenlebens verschleiern.
Koolhaas hingegen führt die moderne Tradition weiter, indem er den
öffentlichen und den privaten Raum ineinander überleitet. Das
Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Raum wird immer
wieder neu verhandelt, durch die Temporalität von Ereignisstrukturen
aktiviert. Das Verhältnis von öffentlichem und privatem Raum
ist nicht apriori festgelegt, wie beim Minimalismus oder beim Konventionalismus,
sondern regelt sich immer wieder von Neuem. Die Instabilität, die
das Verhältnis von öffentlichem und privaten Raum charakterisiert,
wird programmatisch intensiviert. So sind die Biblioteheken von Jussieu
eine Verlängerung und Intensivierung des städtischen Raumes,
quasi ein gefalteter städtischer Boulevard. Beim Cardiff Opera House
wird der öffentliche Raum in das Gebäude hineingezogen und bildet
durch eine Faltung das Auditorium.
Überhaupt verfolgt O.M.A. eine Strategie der Absorption: Die Gebäude
sind gleichsam Behälter, die alles Zeitgenössische in sich aufsaugen,
die Widersprüchliches in sich aufnehmen, die offen sind für
das Banale wie das Erhabene und in denen das Populäre wie das Exclusive
seinen Raum hat. Rem Koolhaas brachte diese Geisteshaltung einmal anhand
seines Leseverhaltens zum Ausdruck: 'Ich bin ein Allesfresser. Ich lese
'Max' ebenso wie den 'Spiegel' oder die 'New York Review of Books'.' (Arch+
117) Die
Architektur der Konventioanlisten ist hingegen weder exklusiv noch inklusiv.
Sie wollen alltäglich erscheinen und nicht als das Besondere. Zugleich
ist ihr Verständnis vom Alltag höchst normativ, geprägt
von der Idee kollektiver und tradierter Konventionen, womit alles zeitgenössische
ausschlossen wird. Sie wollen zeitlos sein und in sind in diesem Sinne
exklusiv. Ihre Gebäude sind nicht so hermetisch verschlossen und
introvertiert wie die der Minimalisten, zugleich wenden sie sich gegen
eine Vermischung von Öffentlich und Privat: So spricht Kollhoff davon,
daß 'öffentliche und private Sphäre heute auf groteske
Art und Weise durcheinandergebracht werden.' Stattdessen erstreben sie
eine klare Trennung zwischen beiden Bereichen, die deren wechselseitige
programmatische Abhängigkeit zugunsten einer eindeutigen Lesbarkeit
der Räume weitgehend vernachlässigt.
Conclusio
Formlosigkeit
in der heutigen Architektur ist keine neue Ästhetik oder formale
Intention, sondern zum einen programmatische Ausgangslage (die Eigenschaftlosigkeit
von Programmen, die Entwertung der Formen), zum anderen eine Methode,
Formalismus zu entgehen und das Projekt auf andere Intentionen als einem
Form- oder Stilwollen zu gründen. Sie formuliert das Paradox der
gleichzeitigen Unmöglichkeit wie Notwendigkeit zur Form. Formlosigkeit
ist eine Gegebenheit, die noch nicht die Frage nach der Intention oder
Ambition eines Projektes, einer Architektur beantwortet. Die von uns hier
skizzierten Startegien stehen exemplarisch für Möglichkeiten,
die Formlosigkeit zum Ausgangspunkt der Arbeit zu machen und nichtsdesto
trotz eine Architektur zu entwickeln.
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