Philipp Oswalt | 1998
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Implantationen | Natur in der zeitgenössischen Architektur

Die fortschreitende Entschlüsselung der Konstruktionsprinzipien des Lebendigen macht es dem Menschen möglich, in den Bauplan von Lebewesen gezielt einzugreifen, vorhandene Lebewesen nach eigenen Vorstellungen zu verändern und - zumindest theoretisch - neue Lebewesen zu konzipieren. Gleichzeitig erhalten technische Konstruktionen des Menschen zunehmend Eigenschaften, die bisher dem Lebendigen vorbehalten waren. Dazu gehören Selbstreperatur, Selbststeuerung, Lernfähigkeit, Selbstreproduktion und künstliche Evolution. Durch diese Entwicklungen verschwimmen die Grenzen zwischen 'Natürlichem' und 'Künstlichem'. Beide Sphären beginnen sich zu durchdringen und miteinander zu verschmelzen (was nicht heißt, daß sich zugleich jegliche Widersprüche auflösen oder Probleme  vermindert würden). Natur ist heute meist nicht mehr etwas Gegebenes, sondern etwas Gemachtes. Dieser kulturelle Prozeß bildet den Hintergrund, vor dem 'Natur' in der zeitgenössischen Architektur auf neue Weise thematisiert wird  - wie in den Arbeiten von Jean Nouvel, Francis Soler, Francois & Lewis, O.M.A., MVRDV und Herzog & deMeuron. In einer Vielzahl von Projekten der letzten Jahre ist 'Natur' ein konstituierendes Element. Es kommt zu einer Verschmelzung von Naturelementen und Architektur, der keine nostalgische Haltung eines 'Zurück zur Natur', sondern vielmehr ein radikal modernes Verständis zugrundeliegt. Natur wird als gleichermaßen künstliches wie künstlerisches Element verstanden. Diese Ideen und erste Entwürfe dazu entstanden in der frühen Postmoderne. Exemplarisch dafür ist das Projekt No-Stop-City von Archizoom Associati von 1970: In einem endlosen, künstlich klimatisierten Innenraum befinden sich zeltende Camper zwischen Felsbrocken. Ein analoges Konzept für den Außenraum verfolgten Haus Rucker & Co mit ihrem Projekt für die Braunschweiger Innenstadt: Sie sahen vor, in den öffentlichen Raum der Stadt Rekonstruktionen von Bergen und Bergspitzen zu implantieren, die mit Seilen am Boden festgezurrt sind: 'Die Berge als Inbegriff des Ewigen und Unverrückbaren waren beweglich geworden und die vermeintlich wegräumbaren Baulichkeiten in die Rolle der Berge getreten. Stürzen Berge, so stürzt auch die Wahrnehmung, die sie als Fixpunkte einer dauerhaften Ordnung hatte.' [ 1 ] Bereits in der Nachkriegsmoderne Kaliforniens gab es frühe Beispiele für die Integration von Naturelementen in das Innere des Gebäudes. Am radikalsten ist das eigene Wohnhaus von Albert Frey aus den Jahren 1963/64. Ein großer Felsbrocken bildet das Zentrum des Gebäudes: Er liegt im Schnittpunkt von Schlaf-, Wohn - und Eßbereich; zugleich durchdringt er die Fassade und verbindet somit Innen und Außen.[ 2 ] Basierend auf einem radikalen Gebrauchsdenken, dem experimentellen Umgang mit Technologie und der Idee des fließenden Raums wurden hier eine Vielzahl tradierter Architekturkategorien überwunden, doch die Idee von Natur blieb gleichwohl konventionell: Sie galt als etwas Gegebenes, das vorgefunden wurde und in die Arbeit integriert wird.

Dekontextualisierung
Demgegenüber thematisieren die heutigen Arbeiten die Künstlichkeit von Natur und damit die Möglichkeit, Natur manipulieren, transformieren und an jeglichem Ort reproduzieren zu können. Die Reproduzierbarkeit ermöglicht es unter anderem, daß Natur und Vegetation - ursprünglich ebenso wie die Architektur an den Erdboden gebunden - sich von diesem emanzipieren und Autonomie gewinnen. Le Corbusier verfolgte diesen Ansatz bereits bei seiner Idee des Dachgartens,[ 3 ] wobei er das Dach noch als eine Reproduktion des ursprünglichen Grundstücks ansah. Eine Reihe von Architekturphantasien setzen das Potential der Reproduktion und Vervielfältigung von Natur konsequent um. So schildert Rem Koolhaas in seinem Buch 'Delirious New York' einen Entwurf von 1907, bei dem ein ganzes Hochaus lediglich aus der Stapelung von Gärten mit Landhäusern besteht. [ 4 ] Die gleiche Idee verfolgten auch SITE mit 'Highrise of Homes' (1981), Gaetano Pesce mit einem Projekt  für einen  Zwillingturms  in San Paolo (1987-89), West 8 mit dem Projekt eines 'Vertikalen Parks' für das Seagram Building (1996) und MVRDV mit ihrem Niederländischen Pavillon für die Expo 2000 in Hannover, wobei letzteres das erste Projekt dieser Art sein dürfte, das auch ausgeführt werden soll. Der Pavillon besteht aus einer Stapelung niederländischer Landschaften, die von 'natürlich' (Meer, Wald) bis vollkommen 'synthetisch' (Tomatenplantage, Multi-Media-Kino) reichen. In letzter Konsequenz führt die Autonomie der Vegetation vom Boden auch zur Infragestellung der Horizontalität von Vegetation und Landschaft. Der französische Botaniker Patrick Blanc, der auch als Berater bei Jean Nouvels französischer Botschaft für Berlin mitgearbeitet hat, entwickelte in den letzten Jahren ein System für senkrechte Gärten - von ihm 'vegetal walls' genannt -, bei dem Pflanzen ohne Bodensubstrat, lediglich durch eine zirkulierende Nährflüssigkeit versorgt, auf senkrechten Flächen wachsen. Diese vorfabrizierbaren und transportablen 'Wände' können in jeder Neigung angebracht werden - selbst über Kopf. Eine ähnliche Idee verfolgte O.M.A. bei dem Projekt für die Modernisierung des Kaufhauses Breuninger in Stuttgart: Eine der Fassaden soll als ein vertikaler, begehbarer Park ausgebildet werden. Die Idee des Gartens oder Parks löst sich völlig von einer Vorstellung von 'Boden' und ebenso scheint Gravitation keine Rolle mehr zu spielen. Vegetation wird zu einem 'Material', das dekontextualisiert und in verfremdeter Weise in der Architektur eingesetzt wird. Andere Natursubstanzen wie Gestein und tote Pflanzenteile werden von de Architekten Herzog & deMeuron  und Francois & Lewis verwendet. Herausgelöst aus seinem ursprünglichen Kontext soll das unbearbeitete Naturmaterial in neuer Weise wahrgenommen werden. Konventionelle Wahrnehmungsmuster werden in Frage gestellt  und neue Qualitäten als Möglichkeiten des Materials entdeckt. Exemplarisch dafür ist Herzog & de Meurons  Dominus Weingut im Nappa Valley (1995/97): Die Wände sind aus Drahtkörben gebildet, die mit Geröll in unterschiedlicher Dichte gefüllt sind. Trotz ihrer Schwere sind diese Wände transparent und lassen Licht in das Innere. Bei dem Projekt für die Renovierung eines Bürogebäudes in Rouen (1995) von Francois & Lewis werden in den Zwischenraum der Doppelverglasung Kiefernnadeln aus dem umgebenden Kieferwald geschüttet. Bei diesen Projekten wird Material vor allem in Hinblick auf seine visuelle Erscheinung und Wahrnehmung eingesetzt. Dabei spielt es keine Rolle, ob es natürlich oder künstlich ist. So haben Herzog & de Meuron industrielle Produkte in gleicher Weise eingesetzt - man denke an die Kupferbänder des Stellwerks in Basel oder die Gußeisenelemente für das Wohnhaus Schützenstraße in Basel. Charakteristisch ist vielmehr, daß ein vorhandenes Material aufgegriffen und in einem neuen Kontext verwendet wird, wobei es neue Qualitäten gewinnt. Natur verkörpert hier kein Ideal, sondern eine Gegebenheit wie auch die technische Zivilisation. Es ist vollkommen gleichgültig und zuweilen unentscheidbar, ob das Material natürlich oder künstlich ist. Die einzige Differenz mag darin bestehen, das die 'natürlichen' Materialien zumeist ein anderes Vokabular in Hinsicht auf Taktilität, Form und Geruch bilden.

Intensivierung
Während die zuletzt genannten Beispiele das Potential von Naturmaterial vor allem in neuartigen Plazierungen (und Kontexten) ästhetisch erkunden, eröffnet die konzeptionelle Einbeziehung von Natur in Architektur  ein weites Feld von Möglichkeiten. So lag MVRDVs Projekt für den niederländischen Pavillon die Frage zugrunde, auf welche Weise Natur komprimiert werden, und wie ihre Gebrauchs- und Erlebnisqualität intensiviert werden kann. Das Büro entwickelte dieses Thema in mehrerer Weise:
1. Das Gebäude besteht aus einer Stapelung völlig unterschiedlicher Landschaften. Diese Heterogenität wird durch die Veränderbarkeit einiger Landschaften maximiert. Durch ihre Unabhängigkeit vom 'Boden' sind die 'Regenetage' und das Stockwerk mit der Tomatenplantage mobil und können jederzeit neu konfiguriert werden.
2. Die Landschaftselemente haben nicht nur gestalterische Aufgaben, sondern sind zugleich funktional eingebunden: Pflanzen gewinnen Biomasse als Treibstoff, Pflanzen erzeugen Lebensmittel, Pflanzen reinigen Wasser. In ihrer Gesamtheit bilden die verschiedenen Biotope ein künstliches Ökosystem. Sie sind in einen Wasser- und Energiekreislauf integriert und werden damit zur Haustechnik des Gebäudes.
3. Programm und Landschaft werden miteinander fusioniert: Das Wassergeschoß dient der Filmvorführung, die Waldetage wird für Büros und Ausstellungszwecke genutzt und in der Gemüseplantage befinden sich Konferenz- und VIP-Räume.
Bereits bei dem Bürogebäude VPRO in Hilversum verknüpfte MVRDV Landschaft und Programm: Der Dachgarten ist Teil der Bürolandschaft, hier gibt es eine Stromversorgung und Anschlüsse ans Computernetzwerk und die Telekommunikation. Die Landschaft wird zum 'setting' für verscheidenste Programme wie Büros, Bibliothek, Konferenzraum etc., die gewöhnlich nur im Innenraum unter Ausschluß von 'Natur' existieren. Eine analoge Verdichtung von Landschaft sowie ihre Fusion mit Programm hat sich in der Freizeitindustrie mit den 'Center Parcs' ausgebildet. Bei diesem neuen Gebäudetypus für den Kurzurlaub unter Glas finden sich auf kleinstem Raum eine Vielzahl künstlicher Landschaften: Dschungel,  Felsen, Wildwasserbahn, Kletterwand, Bambuswald, Skipiste, Meer mit Sandstrand und Palmen, Lagunen und Korallenriffs.[ 5 ] Zur Intensivierung des Erlebnisses sind in diese 'Natur' Attraktionen wie Riesenrutschen, finnische Sauna, türkisches Dampfbad, Rebirthing, Kräuterbad, Whirlpools und Beauty Center  integriert. Die Landschaft ist komprimiert und intensiviert. Center Parcs scheinen damit der äußeren Natur überlegen zu sein. So heißt es in einem Pressebericht: 'So viel Spaß wie bei Center Parcs können Sie Ihren Kindern im heimischen Wald niemals bieten.'[ 6 ] An die Stelle von Authenzität und Ursprünglichkeit tritt der Wunsch nach maximaler Erlebnisintensität.

Verschwinden von Authenzität
Künstliche Natur ist überall verfügbar, wetterunabhängig, komfortabel und sicher. So wurden in den letzten Jahrzehnten eine Unzahl von Wellenbädern, Indoor-Skipisten und Kletterhallen errichtet, um eine von Standort und Jahreszeit unabhängige Ausübung landschaftbezogener Sportarten zu ermöglichen. Die künstlichen Landschaften sind nicht nur sicherer und komfortabler als ihre natürlichen Vorbilder. Sie sind auch veränderbar: So kann z.B. in Kletterhallen die Neigung der Wänden (und damit der Schwierigkeitsgrad) hydraulisch variiert werden und durch die Veränderung der Paneelkonfiguration eine Vielzahl unterschiedlicher Kletterrouten auf kleinstem Raum generiert werden (ganz analog zu den Rekonfigurationsmöglichkeiten der Etagen im niederländischen Pavillon). Künstlichen Landschaften sind aufgrund ihrer guten Erreichbarkeit sowie ihres maximierten Gebrauchswerts zu sozialen Orten geworden, wo sich insbesondere Jugendliche treffen. Im deutschprachigen Raum gibt es bereits ca. 500 Kletterhallen, die nicht mehr nur zur Vorbereitung des Kletterns in den Bergen aufgesucht werden, sondern zu einem eigenständigen Freizeitprogramm geworden sind. In der Tourismusforschung hat man festgestellt, daß sich die Erwartungshaltung der Konsumenten verändert und sich ein neuer Typus des Touristen entwickelt hat. Der sogenannte 'Post-Tourist' 'weiß, daß Tourismus ein Spiel oder eine Serie von Spielen ist, in dem es keine Authenzitätsvorgaben gibt. Der Post-Tourist ist selbstbewußter Teilnehmer an diesem Spiel (....). Er hat die Naivität des nach authentischer Erfahrung suchenden Touristen abgelegt, der enttäuscht ist, wenn er Inauthenzität vorfindet. Las Vegas, Disney World oder die postmoderne Shopping Mall werden den nach Authenzität fahndenden Touristen enttäuschen, während sie für den Post-Touristen höchst attraktiv sein können.'[ 7 ] Das Verschwinden der Authenzität hat auch der Ausstellungsmacher Jeffrey Deitch anläßlich einer Ausstellung über 'Artificial Nature' thematisiert : 'Wahrheit ist heute obsolet geworden. Über Jahrhunderte hinweg - in Kunst, Philosophie, Poesie - war die Suche nach 'Wahrheit' essentiel, sowohl moralisch wie ästhetisch. (...) Heute, wo sich die Naturwissenschaften der Erschaffung künstlichen Lebens widmen, und Computer virtuelle Realitäten erzeugen, wo es mehr um Image als um Substanz geht und wo alles vermarktet wird - vom Automobil bis zum Politiker - , ist die Suche nach Wahrheit vielleicht obsolet geworden. Es gibt keine absolute Realität mehr, aber die Möglichkeit von multiplen Realitäten, jede von diesen so 'real' oder künstlich wie die anderen. Es gibt nicht mehr die absolute Wahrheit der Natur. Das Ende der Moderne trifft nicht nur zusammen mit dem Ende der 'Natur', sondern auch mit dem Ende der Wahrheit.'[ 8 ] Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß in einer Reihe von architektonischen Projekten die Künstlichkeit von Natur nicht verschleiert, sondern bewußt thematisiert wird. So immitierte O.M.A. Natursteinmauerwerk mit schwarz gefärbtem Beton bei der Congexpo in Lille sowie dem Wohnungsbau in Fukuoka. Bei Herzog & deMeurons Projekten der Spitalapotheke in Basel sowie der Tate Gallery in London werden Teile der Fassade bzw. Vordächer aus einem Gemisch von Plastikpflanzen und lebenden Pflanzen gebildet. Analog zum 'tissue engineering' bildet dabei das Kunststoffefeu das Stützgewebe für die Efeupflanzen. Bei MVRDVS Bürogebäude RVU in Hilversum sind einige der Lavasteine des Steingartens aus Kunststoff gegossen, von innen beleuchtet und scheinen somit vor Hitze zu glühen. Diese bewußten Artikulationen von Nichtauthenzität gehen über ein postmodern-ironisches Spiel mit Imitation und Fälschung hinaus. Es kommt zu einer Fusion von Natur und Künstlichkeit.

Hybridisierung
Natur und Technik werden heute nicht mehr als Gegensätze aufgefaßt. In Science Fictions gibt es bereits seit Jahrzehnten mit der Figur des Cyborgs die Idee einer Synthese von Natur und Technik. In der Medizin hat sich die schon seit Jahrhunderten verfolgte Substitution von Körperfunktionen durch technische Hilfsmittel (Prothesen, Pharmazeutika) in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Inzwischen werden nicht nur ganze Organe durch mechanische Apparate, wie das künstliche Herz, nachgebildet. Es wurden bereits erste elektronische Bauteile wie das künstliche Ohr erfolgreich in das menschliche Nervensystem integriert.[ 9 ] Auch in anderen Gebieten vollzieht sich eine Synthese von Natur und Technik. Die in den 70er Jahren enstandene 'Industrielle Ökologie' verfolgt das Ziel, die vom Menschen generierten Stoff- und Energieströme in die natürlichen Kreisläufe einzufügen. Dabei geht es nicht um eine möglichst naturnahe Produktion, sondern um die Idee, technische Zivilisation und Natur in ein Gesamtsystem zu integrieren. [ 10 ] Diese Fusion von Biologie und Technik beschreibt der Amerikaner Kevin Kelly in seinem Buch 'Out of Control':  'Die Sphäre des Geborenen - alles, was Natur ist - und die Späre des Gemachten - alles was vom Menschen konstruiert ist - werden eins. Maschinen werden biologisch und das Biologische wird zur technischen Konstruktion."[ 11 ] Bei der Einführung von Natürlichem in die Architektur kommt es zu einer wechselseitigen Durchdringung und Verschmelzung der beiden Bereiche; die Gegensätze von Stadt und Landschaft, von Architektur und Natur lösen sich auf. So verstehen auch Jacques Herzog und Pierre deMeuron ihre Arbeit mit Natur: 'Wir sehen künstliche und natürliche Prozesse als eine Einheit, als ein Kontinuum. Wir glauben nicht mehr, daß Natur und Gesellschaft, Natur und Stadt dialektisch gegenüberstehen.'[ 12 ] Und weiter heißt es: 'Wir glauben, daß Architektur mit dem Leben verschmelzen sollte, das Künstliche mit dem Natürlichen, das Mechanischen mit dem Biologischen.' Ihre Absicht ist es daher, in der architektonischen Forschung 'Techniken zu entdecken oder zu erfinden, um Architektur lebendig zu machen (...), um die künstlichen und natürlichen Prozesse in unserem Leben zusammenzubringen und miteinander zu verschmelzen.' [ 13 ] So entwickeln Herzog & deMeuron Pflanzenvorhänge für die Projekte der Hypo-Passagen in München und dem neuen Bürogebäude für Ricola in Laufen. Die Pflanzenschleier definieren Räume. Der architektonische Raum entsteht  gleichermaßen aus pflanzlichen Elementen wie klassischen architektonischen Mitteln (wie  z.B. massive Wände und Decken). Der ehemalige Gegensatz von Totem und Lebendigen, Technischen wie Natürlichem löst sich in dieser völligen Synthese auf.

Verlandschaftlichung
Die Fusion von Landschaft und Architektur erfolgt in der zeitgenössischen Architektur auf vielfältige Weise. Neben dem unmittelbaren Einbeziehen organischer und lebendiger 'Materialien' gibt es seit einigen Jahren eine Tendenz zur Verlandschaftlichung von Gebäuden, wie sie sich in den Arbeiten von O.M.A. (Projekte wie Kongreßzentrum Agadir 1990, Bibliotheken Jussieu 1993), MVRDV (z.B. Sloterparkbad Amsterdam 1994 und das bereits erwähnte Bürogebäude VPRO 1993-97), FOA (Fährterminal Yokohama 1994) Peter Kulka/Ulrich Königs (Sportstadium Chemnitz 1995) oder Enric Miralles (Eurythmiezentrum Alicante 1993/94) abzeichnet.[ 14 ] Intention dabei ist es, die für Landschaft charakteristische Qualität eines kontinuierlichen und zugleich in sich heterogenen Raumes in Architektur umzusetzen. Durch Krümmung, Faltung und Verformung der Bodenplatte entsteht ein kontinuierlicher Raum mit lokal differierenden Qualitäten - wie in einer natürlichen Landschaft, die mit ihren Hügeln und Tälern, mit Bewaldung und Wasser einen kontinuierlichen, doch lokal äußerst unterschiedliche Raum bildet. Während der fließende Raum der klassischen Moderne neutral und homogen gedacht war, wird heute mittels künstlicher Topographie ein heterogenes Kontinuum gebildet. Exemplarisch dafür ist O.M.A.s Projekt für ein Kongreßzentrum in Agadir, bei dem die Dünenlandschaft der umgebenden Wüste mit architektonischen Mitteln im Gebäude fortgesetzt wird. Die topographisch verformten Boden- und Deckenplatten des offenen Erdgeschoß' bilden einen heterogenen Raum, der bruchlos in die Umgebung übergeht. Mendes de Rocha hatte bereits für den brasilianischen Pavillon auf der Expo in Osaka 1970 ein anaolges Konzept verfolgt und umgesetzt. Der Pavillon, der eine Synthese von Natur und Artefakt verkörpern sollte, bestand aus einem wellenförmigen Betonboden, der eine künstliche Topographie bildete, mit einem darüberschwebenden Dach, das Schatten spendete. So entstand ein Raum ohne definierte Grenzen, in dem innen und außen ineinander fließen und der in sich vielfältig ist. Für Rem Koolhaas besteht die Qualität eines solchen Raums darin, daß "auf diese Weise programmatische Elemente in einer architektonischen Landschaft ohne Umfassung oder konventionelle Definition frei positioniert werden können.'[ 15 ] Das Gebäude ist kaum mehr als ein Terrain, das zu besiedeln ist. Durch seine topographische Ausbildung erhält das Terrain eine Vielfalt unterschiedlicher Bereiche, die den Raum diversifizieren und 'settings' für verschiedene Programme bilden. Die für 'Natur' typische Abwesenheit von hermetischen Grenzen und Klassifizierungen sowie ihre charakteristische Mannigfaltigkeit und Dynamik werden somit in die Architektur übertragen.[ 16 ]

Inversion
Durch die Verlandschaftlichung des Innenraums wird die klassische Vorstellung von innen und außen unterlaufen. Noch deutlicher wird dies in Arbeiten der 'Land Art', die Erdmaterialien in Innenräumen einsetzen, womit es zu einer Inversion von Innen- und Außenraum kommt: Walter de Marias verteilte für seinen 'Erdraum' von 1968 45 Kubikmeter frischer Erde in den Räumen der Galerie Heiner Friedrich, München. Für die Ausstellung  'Earth Art' an der Cornell University (1969) schüttete Hans Haacke in einem Raum ein etwa ein Meter hohen Biotop auf, in das er schnellwachsendes Gras säte. Günther Ueckers Installation bestand aus eineinhalb Tonnen Sand, aus dem zwei Stahlplatten emporragten, die - von einem nicht sichtbaren Motor angetrieben - langsam rotierten.[ 17 ] All diese Arbeiten - ob es sich nun um Erde, Sand oder Gras handelt - implantieren Landschaft, also Außenraum, in den Innenraum. Auf noch komplexere Weise stellt der niederländische Pavillon von MVRDV unser klassisches Verständnis von innen und außen in Frage: Der Pavillon ist eine gestapelte Landschaft. Der Außenraum wird zum Innenraum. Zugleich sind klassische Innenraumaktivitäten - wie z.B. Bibliothek, Konferenzräume oder Büros - in die Landschaft integriert: Innenraum wird zu Außenraum. Die Naturelemente verweisen auf eine außerhalb des Gebäudes liegende Realität. Sie stellen die Abgeschlossenheit und Vollständigkeit des Raums in Frage, erweitern ihn nach außen. Der amerikanische 'land art'-Künstler Robert Smithson hat diese Idee in seiner Konzeption von Sites/ Non-Sites Ende der 60er Jahre entwickelt: 'Site' ist für Smithson ein vorhandener Freiraum, eine weiträumige Landschaft, während 'Non-Site' eine künstlerische Darstellung, Repräsentation oder Kartierung eines solchen  'Site' in einer Galerie oder einem Museum meint.[ 18 ] Die in den 'Sites' vorgefundenen Materialien wurden von Smithson seit 1968 in einer Reihe von 'Non-Sites' organisiert. Dabei werden die unbearbeiteten Naturmaterialien wie z.B. Stein oder Sand in den Ausstellungsräumen aufgeschüttet oder in offene Behälter gefüllt. Sie verweisen damit auf einen außerhalb des Raumes liegenden anderen Raum. Diese Sites-Nonsites können vielleicht im Sinne von Michel Foucault als 'Heterotopie' gelesen werden, als (im Gegensatz zu Utopien) reale Räume, die dennoch den kulturellen Setzungen widersprechen: '... wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplazierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind...'.[ 19 ]

Formlosigkeit
Die Fusion von Architektur und Natur - sei es durch Einbeziehen von Material aus der Natur, sei es durch die Übersetzung landschaftlicher Qualitäten in Architektur - markiert die Abwendung vom mechanischen Zeitalter, das die Architektur der klassischen Moderne geprägt hat. Diese Abkehr von der Architektur einer 'Neuen Sachlichkeit' geht weit über die Gegenentwürfe einer organischen Architektur (wie F.L.Wright, Hugo Häring oder Hans Scharoun) oder einer dekonstruktivistischen Architektur (wie Daniel Libeskind oder Peter Eisenman) hinaus: Die Einführung von Natur stellt nicht nur das Exakte, Rechtwinklige, Standardisierte und Homogene in Frage, sondern ebenso das Hygienische, Harte, Glatte, Feste und Konstruierte. Sie entdeckt das Amorphe, Weiche, Feuchte, Lebendige, Unberechenbare, Dreckige, Rauhe und Formlose für die Architektur. Es kommt zu einer Ausweitung des programmatischen, thematischen wie formalen Kanons, der heute ebenso durch technische Konstruktionen - man denke nur an 'Artificial Life', fraktale Geometrien oder Smart Materials - wie durch 'natürliche' Substanzen realisiert werden kann. Bereits in der Architektur des Barocks und Manierismus wurde ein etablierter Kanon durch die Einführung von Naturelementen aufgebrochen, wie z.B. bei der Fontana di Trevi in Rom mit ihren Felsbrocken oder den Wucherung des Dekors im spanisch-lateinamerikanischen Barock.[ 20 ] Damals wie heute vollzieht sich in der Architektur eine antiklassische Wendung, eine Infragestellung des Ewigen und Absoluten, der Abgrenzung und Kontrolle. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in der zeitgenössischen Kunst feststellen, wie sie Rosalind Krauss und Yve-Alain Bois mit der Ausstellung 'L'inform' am Centre Pompidou 1996 aufgezeigt haben. Ausgehend von Georges Batailles Artikel 'L'inform' stellten sie Methoden der Deklassierung und Entklassifizierung in der Kunst da. Im Katalog wird Batailles Idee des Formlosen am anschaulichsten in einer Passage von Michel Leiris erläutert: 'Ausgehend von der Tatsache, daß Sprache und Speichel die identische Quelle haben (das Organ Mund), kann jeder philosophische Diskurs legitimer Weise mit dem Bild des spuckenden Redners vorgestellt werden. Spucke ist durch ihre Inkonsistenz, ihre unbestimmte Kontur, die relative Ungenauigkeit ihrer Farbe und ihrer Feuchtigkeit schlechthin das Symbol des Formlosen, des Nicht-Beweisbaren, des Nichthierarchischen.'[ 21 ] Spucke ist nicht nur in Hinsicht auf ihre Materialität eine Metapher des Formlosen, sondern vor allem auch, weil sie sich der philosophischen Rede entzieht, sich also nicht mit unseren überkommenen Begriffen fassen läßt. Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten wie Robert Rauschenbergs 'Dirt Painting' (1953), Andy Warhols 'Oxidation Painting' (1978) oder Joseph Beuyss 'Fettstuhl' (1964) zeichnen sich meist durch die Verwendung organischer Materialien wie Erde, Pflanzen, verkohltes Holz, Öl, Vaseline, Milch, Honig oder Seifenschaum aus. Noch charakteristischer ist jedoch, daß die Werke nicht komponiert und konstruiert sind, sondern aus Prozessen hervorgehen. Methoden des Verrührens, Auslaufens und Vermischens werden ebenso eingesetzt wie Prozesse des Verwitterns, Verrostens, Schimmelns und Verwesens. Die konkrete Form der Arbeiten  entzieht sich der Kontrolle des Künstlers und bei einigen Arbeiten gibt es nicht einmal mehr ein Werk als fertiges, unveränderbares Objekt.

Arbeitsweisen
In der heutigen Architektur gibt es verschiedene Ansätze, den Entwurf nicht als Konstruktion aufzufassen, sondern ihn aus Prozessen zu entwickeln, die Eigenschaften des Formlosen aufweisen bzw. Elemente des Formlosen einbeziehen.[ 22 ]  So basiert z.B. der Prozeß der Faltung, wie er zur Generierung von Landschaftsgebäuden eingesetzt wird, nicht auf präzisen Festsetzungen, sondern stellt ein Verfahren dar, bei dem die Form aus einem flexiblen Reagieren auf lokale Besonderheiten hervorgeht - sei es der Umgebung oder des Programms. Bei anderen Arbeiten kommen Methoden des Ausschachtens, Aushöhlens oder Ausgrabens zur Anwendung. So ist O.M.A.s H-Projekt (Center for Social Studies & Research, Seoul, 1996/97) ein weitgehend unterirdischer Bau, bei dem das Gebäude aus dem vorhandenen Felsen ausgeschnitten wird, wobei der Fels zugleich das 'Finish' von Boden und Wänden bildet. Jean Nouvels Museum in Salzburg (Wettbewerbsprojekt 1989) ist ein in einen Berg gehauenes Labyrinth unterirdischer Gänge, wobei zumindest in den Verbindungsgängen der Fels roh belassen wird und seine natürliche Unebenheit Teil der Architektur wird. Bereits zuvor wurden die Arbeiten von Herzog/deMeuron und Francois & Lewis erwähnt, die auf der Schüttung rohbelassener Naturmaterialien basieren. Die Methode des Schüttens ist hierbei wesentlich, um die Formlosigkeit des Materials zu bewahren bzw. zu intensivieren. In anderen Arbeiten werden Elemente des Formlosen als 'objets trouvés' einbezogen. Während diese Projekte in ihrer Gesamtheit durchaus konstruiert und komponiert sind, sind einige Teile in der Natur vorgefunden und werden unverändert in das Gebäude integriert. Ihre spezifische Form ist nicht entworfen, sondern geht aus Prozessen hervor, die sich der Kontrolle des Architekten entziehen. Exemplarisch für ein solches Vorgehen sind die roh belassenen Baumstämme, die die Stützen in der unteren Ausstellungshalle der Rotterdamer Kunsthalle von O.M.A. bilden. Bei dem zur Zeit in Bau befindlichen SNU-Museum in Seoul (1996-99) will O.M.A. einen großen Findling als Stütze für das schwebende Ausstellungsgeschoß verwenden.  Die Integration solcher 'objets trouvés' oder Readymades in die Architektur bricht die Homogenität des Gebäudes auf. Die Objekte verweisen auf etwas Anderes, etwas außerhalb des Gebäudes (und der Architektur). Die abgeschlossene Ganzheit des Projekts wird zerstört. Die aufgeführten Arbeitsweisen ermöglichen es, Naturelemente in die Arbeit einzubeziehen und zugleich ihre Formlosigkeit zu bewahren. Doch werden diese Prozesse nach wie vor vom Entwerfenden kontrolliert, der damit auch die endgültige Erscheinungsform des Gebäudes bestimmt. Einige der zuvor genannten künstlerischen Arbeiten und Techniken - wie z.B. Andy Warhols Oxidation Painting oder Robert Smithons Arbeiten mit Enthropie - sind in ihrem Ansatz radikaler, da sie Prozesse in die Arbeit integrieren, die sich ihrer Kontrolle entziehen und diese kontinuierlich verändern. Einem solchen Konzept des Formlosen kommt die Arbeit von Herzog & de Meuron mit Regenwasser am nächsten. Bei ihrem Fabrikgebäude für Ricola in Mulhouse-Brunstatt (1992/93) ebenso wie bei dem Projekt für die Kunstkiste in Bonn läuft das Regenwasser an Betonwänden hinunter, wobei sich Moose und Flechten bilden und der Beton sich durch die Verunreinigungen des Regenwassers braun verfärbt. 'Das herunterlaufende Wasser bildet auf der Wand einen feinen pflanzlichen Film, eine Art natürlicher Zeichnung.'[ 23 ] Jaques Herzog erläuterte diese Idee in einem Interview: 'Ein oder zwei Tage nach dem Regen läuft immer noch Wasser langsam die Fassade hinab, fast wie in einem 24h Video von Douglas Gordon... Und wenn es trocknet, wird es modrig, aber es ist noch schön.'[ 24 ] Bei dem Studio für Remy Zaugg in Mulhouse-Pfastatt (Herzog & deMeuron 1995/1997) wird das Regenwasser auf der Dachfläche gesammelt und ist durch die großen, horizontalen Oberlichter sichtbar. Die Luftverunreinigungen von einer benachbarten Industrieanlage verfärben das Wasser und damit auch das Oberlicht. Das Gebäude wird zu einem Indikator der Umweltbedingungen. Prozesse, die bisher als negativ angesehen wurden, weil sie die Reinheit der Architektur (zer-)störten, werden hier zum Ausgangspunkt eines Konzepts - sei es ein Bewuchs mit Algen und Moosen, die Ablagerung von Industrieabgasen oder die Kondensation von Luftfeuchtigkeit, wie bei einem Projekt des Berliner Architekten Jürgen Mayer Hermann. Dieser konzipierte für ein privates Wohnhaus ein Kondensationsfenster, dessen Scheibe bei der hohen Temperatur und Luftfeuchtigkeit des Innenraums häufig beschlägt und damit einen Sichtschutz bildet, der im Inneren eine Intimität erzeugt.[ 25 ] Andere Arbeiten sehen eine Besiedlung des Gebäudes durch Pflanzen oder Tiere vor. Jean Nouvels H-Projekt in Seoul (Museum und International Community Center, 1996/ 97) wird von einer künstlichen Felslandschaft gebildet, in deren mit Dränagen und Bodenbelüftung präparierten Erdmulden sich über die Zeit die Pinienvegetation der umgebenden Landschaft  ausbreiten soll. Die Geröllwände des kalifornischen Weinguts von Herzog & de Meuron bietet Vögeln und Insekten Nistplätze und Unterschlupf und wird somit zu einer lebenden Wand, zu einem Biotop. All diese Projekte verändern sich durch natürliche Prozesse wie Ablagerung, Bewuchs und Besiedlung, die sich einer unmittelbaren Kontrolle des Architekten wie der Nutzer entziehen. Damit gewinnen diese Arbeiten eine Autonomie gegenüber dem Autor, sie erlangen quasi ein Eigenleben. Eine solche 'Lebendigkeit' eines Werkes ist heute nicht mehr auf die Einbeziehung 'natürlicher ' Prozesse angewiesen. Mit dem Aufkommen der Debatte um 'Artifical Life' vollzieht sich in den Computerwissenschaften eine Wende zu Artekfaten, die Qualitäten des Lebendigen wie Fortpflanzung, Mutation, Evolution aufweisen. Seit Ende der 80er Jahre experimentiert der ehemalige Zoologe Tom Ray  mit Computerprogrammen, die sich selbst fortpflanzen, mutieren und auch absterben. Er setzte auf seinem Computer 'Kulturen' von Computerviren an, die in einem evolutionären Prozeß selbstätig Formen von Sexualität und Parasitentum hervorbrachten. Dieses Konzept will er zu einer 'Digitalen Landwirtschaft' weiterentwickeln, um auf evolutionärem Wege neue Computerprogramme zu 'züchten'.[ 26 ] Seit den 60er Jahren verfolgen Wissenschaftler die Idee künstlicher Evolution, aus der bereits erste kommerzielle Anwendungen wie z.B. lernfähige, sich selbst optimierende Programme [ 27 ] oder intelligente Softwareagenten[ 28 ] hervorgegangen sind. Schon früh zeigte sich, daß gewisse mathematische Probleme nicht durch lineare Berechnungen in angemessener Zeit zu lösen sind, sondern eher durch die Generierung eines großen Schwarms unterschiedlicher Lösungsmöglichkeiten, die getestet und selektiert werden. In der Computerwissenschaften vollzieht sich damit ein Paradigmenwechel von linearen Kausalketten zu komplexen Strukturen, vom Konstruieren zur selbsttätigen Evolution. Diese These liegt auch dem bereits erwähnten Buch 'Out of Control' zu grunde, die dessen Autor Kevin Kelly folgendermaßen zusammenfaßt: 'Die Welt des Gemachten wird bald wie die Welt des Geborenen sein: autonom, anpassungsfähig und kreativ, aber konsequenter Weise auch außerhalb unserer Kontrolle.'[ 29 ] Darüber, wie die Biotechnologien unser Dasein verändern, hat der Philosoph Vilem Flusser bereits 1988 spekuliert: 'Sie ist die Kunst, Lebendes künstlich zu machen, und Künstliches lebend zu machen. Kunstwerke herzustellen, die sich erhalten und vermehren, und womöglich weitere lebende Kunstwerke erzeugen. Eine ganz neue Welt von künstlichen Lebewesen und lebenden Kunstwerken ist im Entstehen. (...). Es liegt im Wesen der Sache, daß die Biotechnik in den 'Inhalt' und die 'Form' des Lebens eingreifen wird, und daher ein Leben herstellen wird, von dem wir uns bisher nicht träumen lassen. (...) Damit würde die Kunst tatsächlich 'schöpferisch', nämlich lebensspendend werden, und nicht nur metaphorisch.'[ 30 ] Diese Entwicklung stellt unser Selbstverständnis radikal in Frage. Sie erfordert - so Flusser - ein völliges Umdenken in der Politik, der  Ethik, der Wissenschaft und der Religion: 'Ich bin überzeugt, daß wir alle Kategorien werden umdenken, wenn nicht aufzugeben haben. Es geht dabei keinesfalls um einen Rückfall ins faschistoide biologische Denken der blutigen jüngsten Vergangenheit, weil ja Biologie nicht mehr als das unveränderliche Gegeben, sondern im Gegenteil als das zu gestaltende Gesehen wird.'[ 31 ]
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Fussnoten :
[ 1 ] Haus Rucker & Co, ????, S. 132
[ 2 ] Joseph Rosa: Albert Frey, Architekt. Zürich 1995, S. 119f.
[ 3 ] Le Corbusier, Oeuvre complète 1938-46, Zürich 1946, S.140f.
[ 4 ] Rem Koolhaas: Delirious New York, New York 1994, S. 82ff
[ 5 ] Center Parcs Katalog 97/98 der Center Parcs GmbH, Köln
[ 6 ] Welt am Sonntag 25.6.96
[ 7 ] Heinz-Günter Vester: Authenzität, in: Heinz Hahn, H. Jürgen Kagelmann (Hrsg.): Tourismuspsychologie und Tourismussoziologie, München 1993, S. 123f
[ 8 ] In: Artificial Natur. Katalog zur gleichnahmigen Ausstellung. Deste Foundation for Contemporary Art, Athen 1990
[ 9 ] FAZ, 6.1.1993, S. N4
[ 10 ] Kevin Kelly: Das Ende der Kontrolle, Bollmann 1997, S: 249ff
[ 11 ] Kevin Kelly, a.a.O., S.7f
[ 12 ] Jacque Herzog/ deMeuron im Gespräch mit Alejandro Zaera, El Croquis 60, 1994, S.8
[ 13 ] Jacques Herzog im Gespräch mit Jeffrey Kipnis, El Croquis 84, 1997, S.11ff
[ 14 ]siehe auch Charles Jencks Begriff der Landschaftsgebäude bzw. Architektur als artikulierte Landschaft, in: Die Architektur des springenden Universums, Arch+ 141, Aachen 1998, S. 103ff.
[ 15 ] Rem Koolhaas/ O.M.A.: Erläuterungstext zum H-Projekt (Seoul), Conceptual Design Booklet, 1996. Der Innenraum des H-Projekt ist in anaolger Weise als künstliche Topographie organisiert.
[ 16 ] Siehe auch den Begriff des Glatten Raums bei Gilles Deleuze, Felix Guattari: Mille plateaux, Les Editions de Minuit, Paris 1980
[ 17 ] siehe Patrick Werner, Land Art USA, München 1992
[ 18 ] Robert Smithson: The collected Writings, Berkeley/ London 1996, 100ff, 174 ff
[ 19 ] Michel Foucault: Andere Räume, in: Aisthesis, Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1990, S. 39
[ 20 ] siehe Arch+ 96/97, Aachen 1988, S. 64ff.
[ 21 ] in: Rosalind Krauss, Yve-Alain Bois: L'inform (formless). A User's Guide. New York 1997, S. 18
[ 22 ] siehe Anna Klingmann, Philipp Oswalt: Formlosigkeit, Arch+ 139/149, Aachen 1998
[ 23 ] Arch+ 129/130, 1995 S. 26ff
[ 24 ] Jacques Herzog im Gespräch mit Jeffrey Kipnis, in: El Croquis 84, 1997, S.11
[ 25 ] siehe Daidalos Nr. 68, Berlin 1998, S. 144
[ 26 ] Kevin Kelly, a.a.O., S.391ff, Tom Ray: Evolution as Artist, in: C.Sommer, L.Mignonneau (Hrsg.): Art@Science, Wien 1998, S. 81ff.
[ 27 ] z.B. das Tabellenkalkulationsprogramm 'Evolver' für den Macintosh. Siehe Kevin Kelly, a.a.O., S.401
[ 28 ] Pattie Maes: Agenten. Intelligente Software, in: Schlüsseltechnologien, Spektrum der Wissenschaft Spezial 4, Heidelberg 1995, S. 38ff
[ 29 ] Kevin Kelly, a.a.O., S. 8ff
[ 30 ] Vilém Flusser: Leben und Kunst (Für: 'Spuren'. Hamburg). Manuskript, Flusser Archiv, München.
[ 31 ] Vilém Flusser: Leben und Leben lassen, Spuren Nr. 24, Juli/ August 1988, S. 19ff.

Philipp Oswalt

erschienen in : Arch+ 142 | Aachen | 1998 & Politische …kologie Nr. 71 | Mźnchen / Neuhausen | 2001
Quelle: http://www.oswalt.de/de/text/txt/implant_p.html