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Zur Zeit sind wir Zeugen eines zivilisatorischen Umbruchs: die Industriegesellschaften
wandeln sich in Dienstleistungsgesellschaften; das mechanische Zeitalter
wird vom Informationszeitalter abgelößt. Uns Architekten stellt
sich die Frage, in welcher Weise sich die Architektur dadurch verändert.
Die Brisanz dieser Fragestellung zeigt sich, wenn wir bedenken, wie groß
die Auswirkungen der Industrialisierung und Technisierung des 19. Jahrhunderts
auf die Architektur waren. Im Rahmen dieses Aufsatzes möchte ich
mich mit dem Thema befassen, wie sich der architektonische Raum verändert,
welche neuen Raumkonzeptionen der Einzug der Informationstechnik in die
Architektur ermöglicht.
Reyner Banham unterscheidet in seinem Buch 'the architecture of the welltempered
environment' zwei Arten der Raumbildung: die konstruktive und die energiegestützte
Lösung. Unser Architekturverständnis ist bisher von der konstruktiven
Lösung geprägt: Für uns werden Räume durch Wände,
Decken und Böden gebildet. Der Raum entsteht durch seine physische
Abgrenzung von der Umgebung. Er ist in sich homogen.
Daneben gibt es seit Menschengedenken ein zweites Konzept der Raumbildung:
Statt durch Abgrenzung werden Räume mit Hilfe von Energie gebildet,
wie z.B. bei einem Lagerfeuer, das Wärme und Licht spendet. Der Raum
entsteht nicht durch Abgrenzung, sondern durch die Modulation von Energiefeldern.
Die Raumgrenzen sind vage, der Raum in Zonen unterschiedlicher Helligkeit
und Wärme differenziert.
Ein solcher
energetisch gebildeter Raum zeichnet sich durch vier Charakteristiken
aus:
1.) Er ist nicht homogen, sondern ein Feld unterschiedlicher Dichte und
Intensität.
2) Der Raum ist kein abgegrenztes, isoliertes Gebilde. Er ist Teil seiner
Umwelt. Er geht in den Umraum über.
3.) Er wird durch die Umweltbedingungen und durch die Nutzung verändert.
Er existiert nicht autonom, sondern er entsteht erst in Relation zu Umwelt
und Nutzung
4.) Der energetisch erzeugte Raum ist wandelbar. Er wird durch einen Energiefluß
gebildet. Der Energiefluß ist steuerbar.
Die Dynamisierung des Raums
Traditionell
versteht man Architektur als die Gestaltung statischer, unveränderlicher
Objekte. Die mit Hilfe von Energie gebildeten Räume verändern
sich jedoch über die Zeit. Durch das Aufkommen der elektrischen Beleuchtung
wurden die Architekten der Moderne erstmals mit diesem Thema konfrontiert.
In den
20er Jahren begannen Architekten wie Erich Mendelsohn und die Gebrüder
Luckhardt über die unterschiedlichen äußeren Erscheinungen
eines Gebäudes am Tag und in der Nacht nachzudenken. Durch den Einsatz
elektrischen Lichts erzeugten sie ein vom Tagbild abweichendes nächtliches
Erscheinungsbild des Gebäudes, entwarfen also eine zweiphasige Architektur.
Entwürfe wie Mendelsohns Kaufhaus Schocken (Chemnitz 1928/29, Stuttgart
1926-28) sind Ausdruck einer neuen Vorstellung von Architektur: Gebäude
werden nicht mehr als etwas Statisches angesehen, sondern als dynamische
Raumkörper, deren unterschiedliche Zustände entworfen werden.
Diese andere
Auffassung von Architektur findet man Ende der 20er Jahre auch bei der
Gestaltung von Innenräumen. Le Corbusiers erste Projekte in dieser
Hinsicht waren die Wohnhäuser Stuttgart-Weissenhof (1927) und das
Maison Loucheur (1929): Tagsüber dient die ganze Wohnung als ein
Wohnraum, nachts verwandeln Schiebetüren und Klappbetten den Einraum
in mehrere Schlafkammern. So wird die knapp bemessene Wohnfläche
optimal genutzt. Die Wohnung existiert in den zwei Zuständen der
Tages- und Nachtphase.
Den eigentlichen Schritt zu einer völligen Dynamisierung des Raumes
vollzog Le Corbusier dreißig Jahre später, als er den Philips-Pavillon
für die Weltausstellung Brüssel 1959 entwarf. Dieser Ausstellungsbau
ist eine sich ständig ändernde Rauminszenierung, die erste elektronisch
gesteuerte Architektur. Le Corbusier erläutert seine Intention: 'Ich
werde keinen Philips-Pavillon bauen, sondern ein elektronisches Gedicht.
Es wird sich alles im Inneren abspielen - Ton, Licht, Farbe und Rhythmus.
Das Gedicht wird acht Minuten dauern.'
Corbusier interessiert sich nicht für den Entwurf des Baukörpers,
für die 'Hardware' - das überläßt er seinem Mitarbeiter
Iannis Xenakis. Er konzipiert die 'Software', die immaterielle Inszenierung
des Innenraums.
Dafür setzt er Diaapparate mit rotierenden Farbscheiben, hunderte
von farbigen Leuchtstoffröhren und Lampen, mehrere Filmprojektoren,
bewegliche Spiegel, die die Projektionsbilder im Raum verteilen, sowie
hunderte von Lautsprechern ein.
Der Raum verändert sich kontinuierlich, in einem atemberaubenden
Tempo. Die Steuerung erfolgt elektronisch, mit Hilfe eines 15-spurigen
Magnetbandes, das bis zu 180 Schaltbefehle in einem Augenblick abgeben
kann und über Verstärker und Servomotoren die Licht- und Klangereignisse
steuert. Was damals eine Pioniertat war, ist heute in der Bühnentechnik
üblich geworden: Heutige Bühnenbilder und Theaterbeleuchtungen
werden mit Hilfe von vorprogrammatierten Computern gesteuert.
Die Dynamik einer solchen Rauminszenierungern ist nicht mehr bestimmt
von dem natürlichen Tages- und Jahresrythmus. Eine synthetische Zeit,
Eigenzeit, tritt an ihre Stelle. Der natürliche Zeitverlauf kann
komprimiert oder gedehnt, oder durch eine völlig synthetische Zeit
ersetzt werden. So wird im Philips-Pavilion die Geschichte der Menschheit
in 8 Minuten erzählt.
Das Entwerfen von Szenarien
Ein dynamischer
Raum läßt sich nicht mehr mit den traditionellen Mitteln architektonischer
Darstellung - Grundriß, Schnitt ect. - entwerfen. Der Architekt
muß andere Methode ersinnen, um den Raum beschreiben zu können;
Methoden, die die Verwandlung des Raums über die Zeit und das Zusammenwirken
seiner verschiedenen Parameter veranschaulichen.
Erste Ansätze dazu finden sich in den 20er und 30er Jahren, wie z.B.
bei Le Corbusiers Ausstellungspavillon für die Exposition International
Paris 1937. Er entwirft den Pavillon nicht als ein Objekt, sondern als
ein Weg. Eine Handskizze Corbusiers legt das eigentliche Entwurfsthema
dar: Die vom Besucher zu durchschreitende Raumfolge im Inneren des Pavillons.
Mit dem Entwurf des Weges werden die einzelnen inszenierten Räume
in Zusammenhang gebracht. Corbusier entwirft die Raumsequenz.
Auch beim Philips-Pavillon ist die Entwurfsaufgabe eine Sequenz von Ereignissen.
Doch stellt sich diese nicht erst durch die Bewegung des Betrachters her,
sondern es ist der Raum selbst, der sich wandelt. Zudem muß eine
Vielzahl paralleler Ereignisse koordiniert werden. Corbusier entwirft
dieses 'Elektronische Gedicht'; mit Hilfe von Partituren und Storyboards.
Er greift somit Methoden aus Film, Theater und Musik auf, und überträgt
sie auf die Architektur. Dabei ist er nicht der erste. Moholy Nagy und
Hirschfeld-Mack führten in den 20er Jahren am Bauhaus räumliche
Experimente durch, für die sie Partituren schrieben (wie z.B. Moholy-Nagys
Partitur zu einer mechanischen Bühnenexzentrik für die Bühne
am Bauhaus).
Le Corbusier beschreibt in seinen ersten Skizzen den zirkularen Ablauf
der achtminütigen Inszenierung mit einem Kreis. Die Ausarbeitung
erfolgt dann als lineares Band wie bei einer Partitur. Le Corbusier schreibt
dazu: ”Wie müssen die Befehle erteilt werden? Wir mußten
ein Werkzeug erfinden, das die Gedankenübertragung erlaubt. Das Gedicht
wurde in Drehbuchalben aufgezeichnet. Es hatte vertikale Kolonnen und
die Zeiteinteilung geschah in horizontalen Streifen von je einer Sekunde.
(...) Die Partitur synchronisierte hunderte von Elementen (Reihenfolge,
Simultanität usw.).'
Die Anwendung musikalischer und filmischer Entwurfsmethoden offenbart
die Wandlung des Raumverständnis: Anstelle starrer Körper tritt
eine sich wandelnde Inszenierung immaterieller Räume. Doch zugleich
ist auch der Ablauf der Inszenierung festgelegt wie bei einem Theaterstück
oder einem Film. Im Gegensatz zu einem intelligenten Gebäude ist
das Gebäude unfähig zu reagieren. Es ist kein intelligentes
Gebäude, sondern sein konzeptioneller Vorläufer: Das automatisierte
Gebäude - bereits computergesteuert, aber nicht interaktiv.
Den letzten Schritt zum intelligenten Gebäude vollzog der 'Vater'
von Archigram und dem Centre Pompidou - der britische Architekt Cedric
Price mit seinem Projekt Generator. 1976 entwarf er den 'Generator' weniger
als eine Anordnung von Baukörpern im Raum sondern als eine Software,
die die Wechselbeziehung zwischen Nutzer, Standort und vorhandenen Ressourcen
regelt. Das Programm ist nicht mehr ein vorbestimmter Ablauf, sondern
eine offene Struktur, die auf die Nutzerwünsche reagiert. Die Aufgabe
der Architektur ist, dem Nutzer zu dienen und ihm bei seinen Aktivitäten
zu stimulieren. Wenn der Computer von einer langen Passivität des
Nutzers 'gelangweilt' ist, nimmt er selbstätig Veränderungen
im Gebäude vor. Dies ist eine Umkehrung des Konzepts eines automatisierten
Gebäudes: Statt Entscheidungsfreiheit und Phantasie der Menschen
einzuschränken, wird sie geradezu provoziert.
Die Idee
ist, daß das Gebäude nicht eine Abfolge von Zuständen
festlegt, sondern zu einem Werkzeug für den Nutzer wird und ihm Wahlmöglichkeiten
eröffnet. Um ein solches Gebäude zu entwerfen, ist die Szenarientechnik
unzureichend, da sie einen bestimmten Verlauf festschreibt. Sie erlaubt
nicht, auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren. Ihr liegt ein Automatismus
zugrunde, der äußere Einflüsse ignoriert.
Die Dynamik eines intelligenten Gebäudes hingegen beruht darauf,
daß es auf Veränderung in der Umgebung reagiert. Der Raum ensteht
aus dem Wechselspiel von Umwelt, Nutzung und Gebäude. Das Gebäude
wird zu einem offenen System, daß auf äußere Einflüsse
reagiert und somit die unterschiedlichen Kräfte in ein Gleichgewicht
bringt. Dem Entwurf eines intelligenten, interaktiven Gebäudes liegt
die Analyse und Gestaltung dieses Kräftspiels zu Grunde. In den letzten
20 Jahren wurden Computerprogramme entwickelt, die anhand mathematischer
Modelle dynamische Energieflüsse wie Luft-, Licht-, Klang- und Wärmeströme
beschreiben. Somit kann das Verhalten eines Gebäudes am Computer
simuliert und auch entworfen werden.
Die Entwicklung vom automatisierten zum intelligenten Gebäude finden
wir nicht nur in den avantgardistischen Konzepten, sondern - mit einer
Zeitverzögerung von 10 - 20 Jahren - auch in der kommerziellen Bauproduktion
wieder. In den späten 60er Jahren wurde die Gebäudeautomatisation
eingeführt: Bei dieser ersten Form von Computerisierung von Gebäuden
wurde die Haustechnik zentral und nach einem fixen Schema gesteuert. So
wurde z.B. nach offiziellem Arbeitsschluß Beleuchtung und Klimatiserung
abgestellt: Wer Überstunden machte, saß im Dunklen.
In den 70er Jahren wurde diese Technik zur sogenannten intelligenten Gebäudeleittechnik
weiterentwickelt: augestattet mit Sensoren regagieren diese Systeme auf
die tatsächliche Nutzung und geben dem individuellen Nutzer die Möglichkeit,
in das lokale Geschehen einzugreifen.
Der fließende Raum
Doch zurück
zum Raumbegriff: Was ist die Charakteristik eines aus Licht, Klang, Luft,
Wärme, aus Energiefeldern gebildeten Raums? Das Eingangs erwähnte
Beispiel des Lagerfeuers hat einige Eigenschaften bloß gelegt. Das
Feuer strahlt konzentrisch Licht und Wärme aus, der Wind lenkt die
Rauchfahne in eine Richtung: Der Raum ist nicht homogen und reagiert auf
die Umwelteinflüsse.
Doch wie sieht ein mit modernen, technischen Mitteln erzeugter 'immaterieller'
Raum aus? Eines der interessantesten Beispiele dafür sind die von
dem Komponisten und Architekten Iannis Xenakis nach Beendigung seiner
Zusammenarbeit mit Corbusier (1947 bis 1960) entwickelten Licht-Klang-Kompostionen,
die eine Weiterentwicklung des Raumkonzepts des Philips-Pavillon sind.
Er gab diesen von ihm entwickelten Rauminszenierungen, die in den Jahren
1966-78 entstanden, den gemeinsamen Titel 'Polytope'. Das Wort 'Polytop'
setzt sich aus den beiden altgriechischen Wörtern 'poly' = viel und
'topos' = Platz, Ort zusammen. So ist der Titel zu verstehen als eine
Bezeichnung für Rauminszenierungen, bei denen sich zahlreiche Räume
- Räume aus Licht, Farbe, Klang und Architektur - an einem Ort überlagern.
Bei den
Polytopen ist der Akustische Raum wie beim Philips-Pavillon in unterschiedliche
Klangbereiche differenziert: ein räumliches Klangfeld aus im Raum
verteilten Klangquellen. Bei Xenakis ersten Licht-Klang-Inszenierung,
dem Polytop de Montreal von 1966, musizieren vier Orchester auf den unterschiedlichen
Geschoßebenen in einem mehrgeschossigen Raum.
In den folgenden Jahren entwickelt Xenakis ein Konzept der zeitlichen
Diversifizierung des musikalischen Raums, was bei seinem Schlagzeugstück
Psapha (1975) besonders deutlich wird: Im Zeitraum überlagern sich
eine langsame Geschwindigkeit tiefer Töne mit einer mittleren und
einer schnellen Geschwindigkeit hoher Töne. Die Zeit ist nicht mehr
absolut. Mehrere Zeiteinteilungen, verschiedene Tempi existieren nebeneinander,
die Zeit oszilliert.
Dieses Verfahren wendet Xenakis auch bei den Rauminszenierungen der Polytope
an. So ist bei dem Diatop - für die Einweihung des Centre Pompidou
1978 entworfen - die Musik fast statisch, bewegt sich in langsamen Wellen,
während sich Lichtblitze in rasendem Tempo, in Bruchteilen von Sekunden
verändern und die Komposition aus Laserstrahlen wiederum einem eigenen
Tempo folgt. Die Zeit ist nicht mehr eindeutig.
So wie der akustische Raum nicht durch Melodien, sondern durch Klangfelder
unterschiedlicher Dichte geformt ist, gestaltet Xenakis den visuellen
Raum als abstraktes Lichtfeld variierender Intensität und verzichtet
auf die Projektion fotografischer Bilder. War der Philips-Pavillon noch
eine Art Multi-media-Show, ist das Diatop ein räumliches Licht- und
Klangfeld, das sich zudem nach Außen hin öffnet: Die äußere
Raumhülle ist eine halbdurchläßige Membran aus rotem Kunststoff,
die Licht, Klang und Wärme filtert und moduliert. Diese eher passiv-selektive
Membran wird durch eine innere aktive Membran ergänzt - ein Metallnetz,
an dem Licht- und Schallquellen befestigt sind. Eine Gebäudehülle,
die den Raum nicht begrenzt, sondern moduliert. Sollte bei dem Philips-Pavillon
die undurchlässige Betonhaut die Umwelt neutralisieren, den Innenraum
abgrenzen und verdunkeln, so ist die zweischichtige Membran des Diatop
halbdurchlässig und in ihrer Raumwirkung steuerbar.
Bereits
Ende der 50er Jahre hatte Xeankis als Mitarbeiter von Le Corbusier Fassaden
des Klosters La Tourette als eine Membran entworfen. Xenakis Skizzen zeigen,
wie er seine musikalischen Ideen von Klangfeldern und Dichten auf die
Architektur überträgt. Die Fassade ist keine Komposition mehr
von Wandfläche und Öffnung, von Voll und Leer. Stattdessen ist
sie als Verteilung von Dichten konzipiert - hier noch mit einfachsten
Mitteln, einer Abfolge von opaken und transparenten Elementen. Die Gebäudehülle
ist nicht mehr offen oder geschlossen. Zwischen- und Grautöne werden
möglich. Der Raum ist nicht mehr in Masse und Hohlraum organisiert,
sondern besteht aus Energiefeldern unterschiedlicher Dichte, die den Raum
kontrahieren und dehnen.
Mit den Poytopen von Iannis Xenakis wird ein neues Raumkonzept in die
Geschichte der modernen Architektur eingeführt: Das archaische Konzept
der energiegestützten Raumbildung wird mit zeitgenössischen
Technologien umgesetzt.
Der Raum wird nicht mehr primär durch seine Umfassungswände
definiert, sondern durch die immateriellen Qualitäten von Licht,
Klang und Klima, die durch Filter (Gebaeundehülle) und aktive Elemente
(Licht- und Klangquellen) moduliert werden. Diese einzelnen 'Dimensionen';
des Raumes sind nicht mehr synchron. Sie werde unabhängig voneinander
gesteuert. Es überlagern sich verschiedene, einander widersprechende
Räume aus Licht, Klang, Farbe, Projektion; 'Polytope' entstehen.
Der Raum ist vieldimensional, dynamisch und in unterschiedliche Bereiche
differenziert.
Es ist ein Raum der Überlagerungen, der Übergänge, der
Modifikationen, der Transformationen, der Dichten und Intensitäten.
Der Raum ist ein sich ständig änderndes Möglichkeitsfeld.
Die technische Ausstattung bietet ein großes Spektrum an Möglichkeiten,
die je nach Bedarf aktualisiert werden können. Der Raum ist ein ständiges
Werden.
Die Verflüssigung des Raums
In einem
solchen Raum drückt sich ein anderes Denken aus. Der Philosoph Vilem
Flusser unterscheidet zwischen der Seßhaftigkeit, die auf einem
Denken in festen Kategorien und Begriffen basiert, und dem Nomadismus,
dem ein Denken in Beziehungen und Relationen zu Grunde liegt. Während
die konstruktive Raumbildung einem Denken in festen Kategorien entspricht,
kommt in der energiegestützen Raumbildung ein Denken in Relationen
zum Ausdruck. In ähnlicher Weise unterscheiden die französischen
Philosophen Deleuze und Guattari in Ihrem Buch 'Tausend Plateaus'; zwischen
dem glatten und dem gekerbte Raum: Den gekerbten Raum vergleichen sie
mit einer in Ackerfelder aufgeteilten Landschaft, in der alles meßbar,
abgezirkelt und definiert ist. Der glatte Raum hingegen ist fließend,
nicht faßbar, wie das Meer oder die Wüste. Er ist der Erlebnisraum.
Der Raum
intelligenter Gebaeude ist in seinem Wesen nomadisch. In ihm spiegelt
sich der zunehmend nomadische Charakter der Informationsgesellschaft,
die durch Globaliserung, Mobilität, Telematik und Vernetzung gepraegt
ist. Rem Koolhaas beschreibt in seinem Buch 'Delirious New York'; anhand
einer Architekturphantasie aus dem New York der 20er Jahre den nomadischen
Charakter dieser immateriellen Räume. Im 80. Stockwerks des Hochhauses
befindet sich ein Hotel, in dessen Zimmern es 'eine Vorrichtung mit je
sieben Luftreglern und Thermostaten gibt, die einmal mehr den antipragmatischen,
ja poetischen Gebrauch großtädtischer Infrastruktur demonstrieren.'
Diese bieten verschiedene Luftarten zur Auswahl an: salzige, trockene,
medizinisch aufbereitete und parfümierte Luft. Ebenso kann die Temperatur
beliebig reguliert werden 'Die Regler dieser techno-psychischen
Batterien sind der Schlüssel zu einer Reihe synthetischer Erfahrungen,
die von hedonistischen bis zu hypermedizinischen reichen. Einige Räume
können auf Florida eingestellt werden, andere auf Rocky Mountains.
Parfüm und Inhalationsmöglichkeiten eröffnen sogar noch
abstraktere 'Reisemöglichkeiten'. Im 100stöckigen Hochhaus ist
jede Zelle so eingerichtet, daß jeder auf seine private, existenzielle
Reise gehen kann.” Dieser individuell steuerbare Innenraum -Beispiel energiegestützter
Raumbildung- stellt das moderne Gegenstück zum Lagerfeuer der Nomaden
dar.
Die Fassade als Membran
Traditionell
waren Innen- und Außenraum voneinander getrennt: Bei der konstruktiven
Raumbildung schirmten massive Wände den Innenraum von der Umwelt
ab. Das
Denken in Energiefeldern führt zu einem anderen Konzept der Beziehung
zwischen Innen und Außen. Energetisch gesehen gibt es keine absolute
Trennung zwischen Innen und Außen. Energieströme können
nicht völlig unterbunden werden, man kann sie lediglich regulieren,
verstärken oder schwächen. Der energetische Raum fließt.
So betrachtet
wird das Haus zu einem offenen System, das im Austausch mit seiner Umwelt
steht. Die Gebäudehülle ist nicht mehr eine undurchlässige,
absolute Grenze, sondern eine semipermeable Membran.
Das Denken in Gegensätzen -innen/außen, voll/leer- wird abgelöst
von einem Denken in Dichten und Intensitäten. Die Fassade wird zum
Raummodulator, der die vorhandenen Energieströme verändert,
transformiert. Sie besteht aus mehreren Schichten unterschiedlicher Dichte
und Durchlässigkeit, die in ihren Eigenschaften zum Teil steuerbar
sind. Sie regulieren den Licht- und Wärmedurchlaß, den Luftwechsel
und die Schallausbreitung. Innen- und Außenraum sind miteinander
verknüpft, die Fassade ist keine starre Grenze, sondern eine semipermeable
Membran, die den Energiefluß moduliert.
Zur Realisation dieses Konzepts stehen inzwischen 'intelligente Materialien';
zu Verfügung, die Ihre Durchlässigkeit je nach Umweltbedingungen
selbsttäig verändern. So gibt es phototrophe Gläser, die
bei erhöhtem Lichteinfall zunehmend lichtundurchlässig werden
und somit die einfallende Lichtmenge regulieren. Andere Materialien verändern
Ihre thermischen oder akustischen Eigenschaften.
Das Denken in Energieströmen und Feldern, die Entwicklung semipermeabler,
in ihrer Durchlässigkeit steuerbarer Gebäudehüllen führt
zu einer neuen Konzeption der Idee des fließenden Raums. In der
klassischen Moderne sprach man in Abkehr von der klassischen Vorstellung
klar abgegrenzter Räume erstmals vom fließenden Raum. Man wollte
die Raumgrenzen niederreißen, Innen und Außen miteinander
verbinden. Die massive Wand wurde durch die Ganzglasfassade - wie z.B.
bei Mies v.d. Rohes Hochhausentwurf für Berlin Friedrichstraße
von 1919 - abgelöst, Innen und Außen wurden miteinander kurzgeschlossen.
Heute deutet
sich ein neues, differenzierteres Verständnis vom fließendem
Raum an, das der japanische Architekt Toyo Ito folgendermaßen umschreibt:
'Mit dem Entwerfen von Architektur werden Verwirbelungen in den Strömungen
von Wind, Licht und Schall geschaffen. Entwerfen von Architektur heißt
weder, daß man Dämme gegen die Strömung baut, noch daß
man sich ihr überantwortet.'
D.h. Innern und Außen werden nicht kurzgeschlossen, aber miteinander
verbunden. Die Beziehung zwischen beiden wird reguliert.
Es geht darum, sich der vorhandenen Strömungen bewußt zu werden
und diese zu regulieren. Durch die Durchlässigkeit und Dichte der
Raumumschließungsfläche wird das energetische Feld eines Raums
moduliert. Die Sonnenschaufel von Norman Fosters Hongkong & Shanghai
Bank symbolisiert dieses neue Denken, auch wenn das Gebäude ansonsten
konventionell ist: Der Spiegel folgt dem Lauf der Sonne und lenkt das
Licht in das Gebäudeinnere. Er stellt somit eine regulierte Beziehung
zwischen Innen und Außen her.
Eine wirkliche Realisierung der Idee der Fassade als Raummodulator ist
Toyo Itos Turm der Winde (Tokyo 1986). Er besteht aus einer transparenten
aktiven Hülle: In die Fassadenhaut sind Punktleuchten, Neonröhren
und Flutlichtscheinwerfer integriert, die auf Umgebungsgeräusche,
Windbewegungen und Zeitverlauf reagieren, Helligkeit und Transparenz verändern.
Es ist eine aktive Hülle, die vorhandene Energieströme moduliert,
transformiert und verstärkt. Der Raum durchfließt das Gebäude
und wird dabei moduliert.
Der Informationsraum
Auch die
Telekommunikation regelt das Verhältnis zwischen dem Gebäude
und seiner Umwelt, aber in ganz anderer Weise. Sie stellt - mittels telematischer
Übertragung - Kurzschlußverbindungen zu entfernt liegenden
Räume her.
Traditionell war es dem Menschen nur möglich, im Bereich seiner unmittelbaren
Lebenswelt - dem Mediokosmos - zu handeln. Mit Hilfe technischer Mittel
wie Mikroskop und Teleskop wurde es ihm mit der Zeit zunehmend möglich,
den Microkosmos (der Moleküle, Atome und Quanten) und den Macrokosmos
(der Erde, des Sonnensystem, des Universums) wahrzunehmen, zu analysieren
und zu gestalten.
Heute gibt es einerseits ein Molekül- und Quantendesign: Wir können
bis auf die Maßstabsebene kleinster Elementarteilchen auf unsere
materielle Welt Einfluß nehmen und sie gestalten. So werden für
Laser Dioden von CD-Playern zweidimensionale Quantenmulden hergestellt,
die nur wenige Nanometer groß sind. Mithilfe des Moleküldesigns
werden neue Materialen entwickelt. Andererseits haben wir Menschen Macrostrukturen
entwickelt, die den gesamten Erdball umspannen, wie z.B. Satelittensysteme,
Elektrizitätsnetze und Piplines.
Der Raum der technischen Medien erstreckt sich über den Mediokosmos
der Lebenswelt hinaus auf den Makrokosmos und den Mikrokosmos, jenseits
unserer sinnlichen Wahrnehmung. Der Energie- und Informationsaustausch
basiert auf Microprozessen und vollzieht sich in Macrostrukturen. Nur
die Ein- und Ausgabegeräte des medialen Raums - die Interfaces -
sind im Mediokosmos unserer Lebenswelt präsent.
Gebäude sind an die globalen Netzwerke für Informations-, Energie-
und Stoff- Transport angeschlossen, sie sind mit unzähligen weit
entfernten Orten kurzgeschlossen. Wir können in Australien anrufen,
eine Web-page aus Singapur im PC öffenen oder die Präsidentschaftswahlen
in Rußland im Fernsehn verfolgen. Wir beziehen unsere Heizenergie
aus Saudi-Arabien oder dem Golf von Mexiko.
Somit tritt neben den unmittelbaren Kontext der natürlichen oder
städtischen Topographie der Kontext der medialen Netze. Unsere Bauten
sind die sichtbaren Auswüchse dieser globalen Netze und der in ihnen
stattfindenden Prozesse, die sich ansonsten der Wahrnehmung entziehen.
Die Netze
bilden ein Feld von Austauschmöglichkeiten, die je nach Bedarf aktiviert
werden können. Der elektronische Raum ist ein Möglichkeitsfeld.
Er existiert nicht per se, sondern nur virtuell. Er ist nie vollständig
vorhanden. Nie sind alle Verbindungen gleichzeitig aktiv - was auch nicht
möglich wäre. Er wird ausschnittsweise und zeitweise realisiert.
In seiner
Potentialität ist der Informationsraum dem energetischen Raum ähnlich.
Es ist der Raum der Nomaden, es ist der glatte Raum, der Raum der Beziehungen
und Verhältnisse, nicht der Definitionen und Objekte.
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