Philipp Oswalt & Bettina Vismann | 1999
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Das Büro ohne Eigenschaften

oder: Wie ein Bürogebäude entsteht

'Der 'Typical Plan' ist eine amerikanische Erfindung. Er ist eine Null-Architektur, eine von jeder Spur Einzigartigkeit und Spezifizität befreite Architektur... Der typische Plan ist Teil einer nichtgewürdigten Utopie, das Versprechen einer post-architektonischen Zukunft... Er repräsentiert einen Punkt, wo Pragmatismus durch bloße Rationalität und Effizienz einen fast mythischen Status annimmt.'
Rem Koolhaas[ 1 ]

Bürogebäude mögen mit postmodernen, high-tech oder pseudohistorischen Fassaden verkleidet sein, doch in ihrer Grundstruktur sind sie alle ähnlich. Strikten Anforderung nach Effizienz und Neutralität unterworfen, gleichen sich Grundrisse und Schnitte der Bauten in extremer Weise. Was Rem Koolhaas als Spezifikum des amerikanischen Bürogebäudes charakterisiert, trifft - entgegen seiner Polemik - auch auf europäische Bürogebäude zu, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Im Gegensatz zu den künstlich klimatisierten Bauten in den USA zeichnen sich europäische Gebäude durch eine geringere Tiefe aus, als ob die Klimaanlage nie erfunden worden wäre. Während in den USA der Fensterplatz im Büro das Privileg der oberen Angestellten ist, hat in Europa die sozialdemokratische Forderung der Gleichheit ihre Spuren hinterlassen und sich in Richtlinen niedergeschlagen, die - wie z.B. in Deutschland die Arbeitsstättenverordnung - für Arbeitsräume eine 'Sichtverbindung nach außen' verlangen.[ 2 ] Mit dieser Festschreibung der natürlichen Belichtung der Arbeitsplätze, die in der Regel auch eine natürliche Lüftung ermöglicht, ist die Bürobauten über die Jahrhunderte erstaunlich konstant geblieben. Egal, ob wir mittelalterliche Rathäuser, die Bürobauten der Jahrhundertwende oder den heutigen Bürobau betrachten, die Dimensionierung des Baukörpers und die Form der Erschließung ist weitgehend gleich geblieben und blieb recht unberührt von der radikalen Veränderung der Arbeitsverhältnisse, dem Aufkommen der Kommunikationstechnologien oder neuer Baukonstruktionen. So zeigt das Rathaus zu Plauen von 1430 bereits einen zweibündigen Korridortyp von ca. 18 Meter Tiefe. Heutige Bürogebäude gehen ebenfalls von einem Mittelgang bei einer Gebäudetiefe von 13 m - 17 m aus.

Vom Raum zur Fläche
Gleichwohl hat sich im Bürobau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert eine revolutionäre Umwälzung vollzogen, die Grundlage des 'Typical Plans' ist: Durch die Skelettbauweise wurde eine radikale Trennung zwischen Gebäudestruktur und Raum möglich. Der umschlossene Raum der Zellenbüros wird von einer teilbaren Fläche abgelöst. Dabei bleiben die wesentlichen Gebäudedimensionen und die Plazierung der Erschließung erhalten. Jedoch stellt das Gebäude keine Räume mehr zu Verfügung, sondern Flächen, die zu besiedeln sind. Die Entstehung dieser radikal neuen Gebäudekonzeption beschrieb Leo Adler im Wasmuth Lexikon der Baukunst Ende der 20er Jahre: 'In Deutschland entstand als erstes Bürohaus der Dovenhof in Hamburg nach Plänen von Martin Haller (1885/86). Schon in diesem war darauf Bedacht genommen, daß 'Einteilung und Anordnung des Innern zur Zeit des Baues noch unbekannten und sehr mannigfaltigen Wünschen der Mieter möglichst freien Spielraum biete'. Schon im Dovenhof erfolgte die Vermietung bezeichnenderweise nach Quadratmetern bebauter Fläche, nicht nach der Raumzahl. ... Treppenhaus, Fahrstuhlanlage und Aborte wurden gleichsam als Kernzelle zusammengefaßt, um die sich die weiten, durch Pfeiler so wenig als möglich unterteilten Flächen für die Büros legen.' [ 3 ] Die Suche nach Gebäuden, die für eine Vielzahl von Nutzern gleichermaßen brauchbar sind, führt Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Auflösung innenräumlicher Struktur und zur Reduktion des Gebäudes auf Geschoßflächen, Infrastruktur und Hülle. Es erwies sich als unmöglich, eine Räumlichkeit zu definieren, die für verschiedenste Nutzer und über Jahrzehnte gleichermaßen gültig ist. Von nun an war es, im Bürobau nicht mehr die Aufgabe des Architekten, Räume zu schaffen, sondern auf möglichst effiziente Weise neutrale und mit Infrastruktur erschlossene Territorien zu erstellen. Selbst ethymologisch leitet sich das Wort 'Büro' aus der Fläche ab. Aus dem zottigen Wollstoff (altfranz.'bure') mit dem eine Arbeitsfläche bespannt war, wurde das 'bureau', die Bezeichnung der Arbeitsfläche, dann erst der Schreibstube, das Büro. Als architektonisches Dispositiv wird der umschlossene Raum von der Fläche abgelöst, wie auch die Terminologie des Bürobaus belegt. Man spricht heute von Flächenbedarf, von Nutz -, Funktions- und Verkehrsfläche. Die DIN 4543 -1 von 1994 für Büroarbeitsplätze versucht mit der Aufteilung in Arbeits-,Stell- und Wirkfläche die Benutzung und Aufstellung von Büromobiliar zu normieren. Ausgehend von der Mindestfläche eines Tisches (1,28 m2) und der Benutzerfläche, die sich wiederum nicht mit Stell-, Funktions- oder Verkehrsfläche überschneiden sollte, wird sie zu einer Abstandsflächenregelung des Mobiliars.Die Planer erstellen 'Layouts', Flächennutzungspläne für das Büro, die Terrains für die verschiedenen Aufgaben erschließen. Organisation und Struktur der Fläche folgt nicht mehr räumlich-architektonischen Maßstäben. Wichtigstes Kriterium für die Büroflächen ist stattdessen die Möglichkeit der Teilung, die die Anforderungen an Fassade, Konstruktion und Erschließung definieren. Die Anforderungen an die Teilbarkeit werden durch die Mindestgröße eines Büroarbeitsplatzes definiert.Er ist nur abstrakt als Möglichkeit der Fläche gedacht und tritt nicht unmittelbar in Erscheinung. Er bestimmt virtuell die Gebäudestruktur. Diese phantomartige Präsenz resultiert in einer kleinteiligen Strukturieung der Fassaden, einer gröberen Einteilung in der Konstruktion und vertikaler Erschließungskerne.
Die Entwicklung des enträumlichten, flexiblen Grundriß´seit dem 19.Jahrhundert kann in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden. Sie revolutionierte das Selbstverständnis des Architekten als auch die Idee davon, was ein Gebäude ist. Von hier aus nahm die moderne Architektur ihren Ausgang. Es ist kein Zufall, daß sich Mies van der Rohes frühen Entwürfe ausschließlich mit Bürogebäuden befassen. Hier entdeckte er den freien Grundriß, entwickelte seine Konzeption des fließenden Raums und übertrug sie auf andere Bauaufgaben. In diesem Sinne können Bauten wie der Barcelona Pavillon und das Farnsworth House als Folge des spekulativen Bürobaus gesehen werden. Sie stellen einen Versuch der Rearchitektonisierung und Veräumlichung der Fläche da, was hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden soll. Der aus dem spekulativen Bürobau hervorgegangene 'freie Grundriß' hat sich dann auch bald in den selbstgenutzten, firmeneigenen Bürobauten durchgesetzt, worauf die amerikanische Architekturhistorikerin Carol Lewis bereits in ihrem Buch 'Form follows Finance' hingewiesen hat: 'Es gibt kaum einen Unterschied der inneren Struktur zwischen spekulativen und firmeneigenen Bürogebäuden (corporate office buildings); weil die meisten firmeneigenen Bürogebäude von Anfang an als einnahmengenerierender Vermögenswert betrachtet wurden, mußten die Bürogrundrisse den Marktregeln folgen, eigenschaftslos (generic) und flexibel sein... Über 40 Prozent der Büroräume in firmeneigenen Bauten wird durchschnittlich an externe Mieter vermietet'[ 4 ]. Die Forderung nach flexibler Nutzung hat sich zunehmend verstärkt: Firmen und ihre einzelnen Abteilungen schrumpfen und wachsen; Standorte werden aufgegeben oder verlagert, Projektgruppen umstrukturiert oder neu gebildet; ein größerer Teil der Belegschaft heutiger Dienstleister wechselt in einem Jahr den Arbeitsplatz innerhalb der Firma. All dies führt dazu, daß sich die Anforderungen zwischen spekulativen und firmeneigenen Bürogebäuden zumeist nur geringfügig unterscheiden. Verstärkt wird diese Tendenz durch das Aufkommen des 'Facility Management', bei dem Gebäude nach marktwirtschaftlichen Kriterien bewertet und optimiert werden. Diese Forderung nach umfassender Flexibilität unterdrückt jedes Spezifikum. Immer wieder berichten Architekten, daß Bauherren in der Architektur ihrer Bauten die Besonderheiten ihrer Firma nicht architektonisch thematisiert sehen wollen, um eine flexible spätere Nutzung zu ermöglichen. Wie zum Beispiel eine Filmgesellschaft in Los Angeles, die ihre Projektionsräume in den normalen Bürogrundriß unterbringen will und damit den Architekten die Grundlage für eine spezifische architektonische Gestaltung entzieht. Während in der klassischen Moderne Gebäude aus Fertigungstechniken (Massenfertigung, Fertigbauweise) und sozialreformerischen Gründen (gleicher Standard für alle) gleich sein sollten und daher standardisiert und genormt wurden, entwickeln sich eigenschaftslose Gebäude, die auf dem freien Markt von den potentiellen Mietern möglichst flexibel genutzt werden können und somit die allgemeinsten, durchschnittlichen Bedürfnisse der Nachfrage befriedigen sollen. Dieses Phänomen umschreibt Rem Koolhaas mit dem Begriff des 'generic'. Dem Websters Dictionary zufolge ist 'generic' etwas, das unterschiedlichen Erfordernissen (hinsichtlich Verwendung, Form oder Größe) angepaßt oder anpaßbar und damit auch umfassend breit oder vielseitig anwendbar ist. Generisch, bezogen auf die Architektur ist das lokal ungebundene, unspezifische Produkt einer globalen Ökonomie, das potentiell in jedem kulturellen Kontext auftreten kann.[ 5 ] Dabei beruht die Eigenschaftslosigkeit der Gebäude nicht allein auf der Unvorhersehbarkeit der Nutzung, sondern ist zugleich darin begründet, daß Bürogebäude für den Besitzer nichts weiter darstellen als eine Kapitalanlage, die wie Aktien gehandelt wird. Es ist nicht unüblich, daß 'Gebäude' bereits während der Planungs- und Bauphase mehrfach den Besitzer wechseln. Mancherorts werden Immobilienpreise wie Aktienkurse in wöchentlichen Charts notiert. Diesen Sachverhalt brachte Cass Gilbert, der Architekt des inzwischen denkmalgeschützten Woolworth Building in New York, bereits 1900 auf den Punkt. Für ihn war ein Bürogebäude nicht anderes als 'a machine that makes the land pay.'[ 6 ] Oder, wie der Immobilienfachmann Georg Hill in der amerikanischen Architekturzeitschrift 'Architectural Record' schrieb: 'Der primäre und einzige Zweck eines Bürogebäudes ist es, den größtmöglichen Gewinn für seinen Eigentümer zu erzielen.'[ 7 ]

Normen
Mit der Durchdringung des Bürobaus durch marktwirtschaftlichen Kriterien hat sich ein anderes Verständnis von Normen und Standards ausgebildet. Die Architekten der klassischen Moderne und in ihrer Folge die Architekten der Nachkriegsmoderne sowohl der westlichen Welt als auch der sozialistischen Staaten verfolgten das Ziel, mittels standardisierter Bauweise und normierter Bauteile eine Ökonomisierung des Bauens zu erreichen, ganz im Sinne einer fordistischen Massenproduktion und eines planwirtschaftlichen Dirigismus. Dies war auch Ausgangspunkt und Zielsetzung von Neuferths Arbeit, wie aus Albert Speers Vorwort zur Bauordnungslehre von 1943 hervorgeht: 'Der totale Krieg zwingt zur Konzentration aller Kräfte auch im Bauwesen. Weitgehende Vereinheitlichung zur Einsparung technischer Kräfte und zum Aufbau rationeller Serienfertigung ist die Voraussetzung zu einer Leistungssteigerung, die zur Bewältigung unserer grossen Bauaufgaben erforderlich ist.'[ 8 ] Ernst Neuferth selber führt dazu aus: '.. der Schwerpunkt liegt auf der Herausarbeitung entsprechender, rationeller Baukonstruktionen auf den gefundenen Maßbeziehungen, wie sie der totale Krieg erfordert.' Das Ideal der absoluten Normierung aller Bauteile und Baumaße führte bei ihm zur Vision einer 'Hausbaumaschine'. 'Deshalb werden jetzt auch die Wohnungsgrößen einheitlich festgelegt, ebenso ihre Fenster, Türen, Treppen, Geschoßhöhen, Raumbreiten und Hausbreiten, ggfls. auch die Installationen, Möbel und Ausstattungen.... Der einzelne wie das Einzelhaus tritt zurück, reiht sich ein, damit das Ganze desto geschlossener erscheint und das überragende Gemeinsame desto mehr in der Vordergrund rückt.'[ 9 ] Die Normung als 'einheitliche Gestaltung, (Größen)regelung'[ 10 ] hat sich für die Ökonomisierung des Bauens als Irrläufer erwiesen. Obwohl es heute eine Vielzahl technischer Normen und Bauvorschriften gibt, die die Gestaltung von Bauten erheblich beeinflussen, ist die Idee einer Vereinheitlichung und Rationalisierung der Fertigung heute obsolet. Diese nicht zuletzt gesellschaftspolitisch motivierte umfassende Normierung hat sich auch ökonomisch erübrigt. Heutige Produktionsverfahren sind flexibel, so daß entgegen aller Versuche normierte Bauteile eine untergeordnete Rolle spielen.
Neben technischen Normen gibt es normierende Kriterien, die sich aus der ökonomischen Optimierung der Gebäude ergeben, der Minimierung der Kosten und der Maximierung des Marktwertes. Diese ungeschriebenen Regeln definieren keine exakten Maße, sondern sind Parameter. Sie beziehen zumeist eine Vielzahl von Faktoren mit widersprüchlichen Anforderungen ein und bilden relative Richtwerte. Die Beschreibung des Berliner Architekten Hans Kollhoff ist dafür charakteristisch: "Bürohäuser, die heute auf dem Markt bestehen wollen, sehen im wesentlichen gleich aus: um die 3,60 m Geschoßhöhe, im Erdgeschoß etwas höher; Wandrastermaß zwischen 1,25 und 1,45m, zweihüftiger Grundriß mit einer Baukörpertiefe von etwa 14m...'[ 11 ] Bei diesen Standards, die für die Wirtschaftlichkeit eines Gebäudes von fundamentaler Bedeutung sind, handelt es sich um Näherungswerte in einer Bandbreite, im Sinne einer Nivellierung. Es sind quasi statistische Durchschnittswerte, die durchaus Abweichungen und Ausnahmen zulassen bzw. mit einschließen. Die Werte können nicht kalkuliert oder aus geometrischen Analysen linear abgeleitet werden, sie sind Ergebnis empirischer Untersuchungen des Marktverhaltens. Es handelt sich um Regeln, die nur annäherungsweise erreicht werden, also weniger um Module mit präzisen Maßen als um 'sets' vager räumlicher Konfigurationen. Exakte Normen (wie z.B. Flächenberechnung nach DIN 277 oder einheitliche Achsabstände nach DIN 4172 oder Modulordnung nach DIN 1800) werden bewußt ignoriert, weil sie zu unflexibel sind und nicht den tatsächlichen Anforderungen entsprechen. Diese weichen Normen haben nicht nur eine Streubreite, sondern sie transformieren sich auch über die Zeit: In langsamen Drifts verändern sich einzelne Kriterien, wie z.B. Gebäudetiefen, Geschoßflächen oder Arbeitsplatzgrößen. So hat sich zum Beispiel aufgrund eines gestiegenen Interesses an innerbetrieblicher Kommunikation in den letzten Jahren die bevorzugte Gebäudetiefe erhöht und die Geschoßflächengröße verringert. Zugleich ist über die Jahrzehnte die Größe des durchschnittlichen Arbeitsplatzes angewachsen. Auch im zeitlichen Sinne ist also eine präzise Definition eines Optimums nicht möglich, sondern lediglich die Prognose eines Trends.

Architektur als Produkt
Für das Gebäude als Geldanlage ist einzig ausschlaggebend, welche Preise es auf dem Immobilienmarkt - ob bei Vermietung oder Verkauf - erzielen kann. Daher ist bei der Konzeption eines Bürogebäudes eine Marktanalyse entscheidend. Bei heutigen Bürogebäuden erlangt der Makler zunehmend an Bedeutung. Er vermarktet nicht mehr nur das fertige Produkt, er ist auch in der Planung nicht nur beratend tätig. Vielmehr steht er am Anfang des Projektes, bevor ein Architekt involviert ist, und entwickelt die Grundkonzeption des Gebäudes - welche Art von Büros in welcher Lage. Der Architekt wird zum Dienstleister, der die vorgegebene Konzeption auf einem konkreten Grundstück umzusetzen hat. Er hat das Know-how und die Erfahrung, wie Vorgaben baulich umgesetzt werden können. Er kann beurteilen, welche Möglichkeiten ein spezifisches Grundstück hat. In einem wechselseitigen Verfahren wird dann das konkrete Gebäude im Dialog zwischen Marketingspezialist und Architekt entwickelt. Die Produktentwicklung erfolgt aus der Marktforschung. Wie in der Politik oder dem Automobilbau führt dies zu einer Angleichnung des Angebots: Es werden in der Regel nur noch Produkte entwickelt, die der durchschnittlichen Nachfrage entsprechen. Die Orientierung an der Nachfrage ist extrem reaktiv und damit konservativ, man reagiert auf eine bereits vorhandene Nachfrage. Sich neu herausbildende Bedürfnisse werden meist erst im Nachhinein erkannt: Es gibt kaum ein Nachdenken über mögliche zukünftige Entwicklungen. Oder den Versuch durch neue Produkte eine andere Nachfrage zu generieren. Verursacht wird dies dadurch, daß die Handlungsträger (die Investoren, aber auch die Planer) nicht mehr Unternehmer im klassischen Sinn sind, mit dem Mut zum Risiko und dem Interesse, etwas zu 'unternehmen', sondern Organisationen und Bürokratien, die das Geld von einer anonymen Schar von Anlegern verwalten, das Risiko scheuen und sich durch bereits bewährte Konzeptionen absichern. Die Gebäudekonzeption sowie die räumlichen Parameter werden nach Wirtschaftlichkeitskriterien festgelegt. Zu Beginn eines jeden Projektes wird von Projektentwicklern, Marketingfachleuten, Facility Management und weiteren Beratern ein 'Pflichtenheft' formuliert, das dem Architekten nicht nur ein Raumprogramm vorgibt, sondern bereits die Grundzüge der räumlichen Struktur festgelegt. So ist es heute üblich, daß ein solches Pflichtenheft Gebäude-, Konstruktions- und Fassadenraster, Raumhöhen ebenso wie die Raumtiefen und das geforderte Verhältnis von Brutto- zu Nettoflächen vorgibt. So war zum Beispiel bei den Projekten am Potsdamer Platz von Debis im Pflichtenheft das Gebäuderaster von 1,35 m, das Konstruktionsraster von 8,1 m, eine Raumhöhe von 3 m und die Raumtiefen festgeschrieben. Das Korsett der Vorgaben war so eng, daß die unterschiedlichen Architekten auch bei nicht bis ins Detail vorgeschrieben Fragen wie z.B. der räumlichen Anordnung von Aufzugslobbies zu analogen Lösungen kamen. In diesem Kontext hat sich eine bestimmter Typus des Architekturbüros herausgebildet, der mit einem Minimum an Gestaltungsambitionen und ein Maximum an Professionalität den Wünschen der Bauherren nachzukommen versucht. Es handelt sich um sehr große Firmen mit mehreren Niederlassungen wie HOK, Suter+Suter, SOM, Henn, GMP, Schweger & Partner - um nur einige zu nennen -, die Architektur als Dienstleistung begreifen und eine mehr oder weniger 'eigenschaftslose' Architektur generieren. Das Ziel ist es, innerhalb eines eng gesetzten Zeit- und Kostenrahmens ein ansprechendes Gebäude zu realisieren, das durchschnittlichen Erwartungen des Bauherrens und seiner potentiellen Kunden entspricht.

Modern Vernacular
In ihrer Analyse der Hochhausarchitektur Chicagos und New Yorks in der Zeit von 1890 bis 1930 arbeitet Carrol Lewis die Faktoren heraus, die die Gestaltung von Bürogebäuden beeinflussen und kommt zu dem Fazit: 'Von primärer Bedeutung sind die ökonomischen und funktionalen Regeln für qualitativen Bürobau: diese tendieren dazu, den Hochhausbau überall zu standardisieren. Diese Schablone wird durch lokale Bedingungen modifiziert: der historische Stadtgrundriß mit seinen Block- und Parzellenstruktur, städtische Vorschriften und Zoning-Gesetze verursachten, daß sich Hochhäuser lokal unterschiedliche Formen entwickelten, wodurch für jede Stadt spezifische vernakuläre Bauten entstanden.' Carol Lewis sieht die Hochhausarchitektur als 'das Produkt von standardisierten Marktregeln und spezifischen städtischen Situationen.'[ 12 ] In diesem Sinne läßt sich heute annäherungsweise von einem idealen Typus des Bürogebäudes im globalen Kontext sprechen, der den spezifischen lokalen Bedingungen angepaßt und modifiziert wird. Form und Typologie von Bürogebäuden ergibt sich im wesentlichen aus zwei Faktoren: Zum einen den Anforderungen und den Bedingungen des Marktes, die sich im globalen Kontext zunehmend annähern. Zum anderen aus den lokalen Vorgaben und Regeln. Während traditionellerweise die lokalen Besonderheiten von Gebäuden auf den natürlichen Gegebenheiten des Klimas und der zu Verfügung stehenden Baumaterialien beruhten, sind sie heute durch Baugesetze und Parzellenstruktur bestimmt. Die Baunormen wirken gestaltbildend und generieren lokale Spezifika: Wie z.B. die Forderung nach natürlicher Belichtung in Westeuropa eine andere Baukörpertiefe als in Amerika verursacht hat. Oder die Zoninggesetze aus dem New York der 30er Jahre zur Ausbildung der so charakteristische pyramidenförmige Staffelung der Bürohochhäuser geführt haben. Die lokalen Regeln des Brandschutzes beeinflussen die Möglichkeiten für den Bau von Atrien und regeln die Anordnung und Anzahl der vertikalen Erschließung[ 13 ]. Von großem Einfluß ist auch der Stadtgrundriß mit seinen Festlegungen von Parzellen- und Blockgrößen, die vor allem die Anlage von Innenhöfen und die Gebäudehöhe bestimmen. Die Gestalt der Bürogebäude ist eher Resultat einer wirtschaftlichen Optimierung im Rahmen lokaler Bedingungen des Bauens als ein Produkt eines architektonischen Formwollens. Die lokalen Festsetzungen von Bauordnungen umgekehrt verursachen spezifische Gebäudeformen, ohne diese zu intendieren. Interessanterweise sind auch Baunormen zuweilen ökonomisch motiviert und unterstreichen damit einmal mehr die Bedeutung wirtschaftlicher Faktoren für das Baugeschehen. Wie Carrol Willis aufzeigt, erfolgte die Regulierung von Gebäudehöhen in den USA oft nicht aus stadtplanerischen Motiven, sondern zur Regulierung des Immobilienmarktes. In Zeiten des Angebotsüberhangs werden Höhenbeschränkungen beschlossen, um eine Überangebot zu verhindern, in Zeiten des Aufschwungs werden Höhenbeschränkungen aufgehoben, um eine maximale ökonomische Rendite zu ermöglichen. In einem solch ökonomisch determinierten Kontext erfolgt Architektur nicht mehr als intentionaler Prozeß, sondern reagiert mit der Umsetztung zuvor festgelegter Regeln.
Der New Yorker Architekt Hugh Ferris hat in den 20er Jahren mit seinen utopischen Zeichnungen diesen Automatismus thematisiert. In einer Reihe von Skizzen legt er dar, wie durch die systematische Anwendung der gegebenen Regeln von Zoning-Gesetzen, Beleuchtungsanforderungen und Ökonomie der Form sich die Architektur von Gebäuden automatisch ergibt. In ihrem Buch 'FARMAX' hat das holländische Büro MVRDV eine ähnliche Strategie entwickelt: Durch die konsequente Anwendung von Sichtlinien, Beleuchtungsregeln, Brandschutzvorschriften usw. entstehen städtebauliche Siedlungsformen wie die Gestalt von Gebäuden. 'Form wird das Resultat einer solchen Extrapolierung zur Datenlandschaft der dahinterliegenden Anforderungen. Sie zeigt die Anforderungen und Normen auf, zwischen Lächerlichkeit und Kritik balancierend, Pragmatismus sublimierend.'[ 14 ] Die dabei entstehenden überraschenden und bizarren Formen thematisieren und hinterfragen die gesellschaftlich formulierten Regeln: Der Architekt gibt nicht mehr vor, Herr der Lage zu sein, sondern durch eine offensive vor Bauordnungen, Steuergesetzen und Konventionen werden deren Konsequenzen bloßgelegt und damit infrage gestellt. Was zunächst als zynischer Opportunismus erscheinen mag, erweist sich als möglicher Beginn einer Diskussion über die Umformulierung von Regeln und Normen. Damit könnte die Architektur eine andere gesellschaftliche Relevanz erlangen, die sie als Fassadendesign - ob Neutektonisch, als High-Tech oder im Stile des Minimalismus - längst verloren hat. Denn heutzutage erfüllt sie vielfach nur noch die Funktion, die ihr Neuferth bei seiner Vision der 'Hausbaumaschine' zugewiesen hat: 'Übrig bleibt dann nur noch die äußere Gestaltung.... Aus diesem Bewußtsein heraus ist beabsichtigt, zu gegebener Zeit einen Fassadenwettbewerb auszuschreiben....'[ 15 ]
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Fussnoten :
[ 1 ]: Rem Koolhaas:'Typical Plan' in O.M.A, Rem Koolhaas, Bruce Mau: SMLXL, Rotterdam 1995, S. 334ff.
[ 2 ] Siehe ArbStättV §7 Beleuchtung. Diese Anforderung ist in den Arbeitsstättenrichtlinien präzisiert: ASR 7/1 Sichtverbindungen nach außen 2.2. Lage: 'Die Unterkante der Fenster .. soll zwischen 0,85 und 1,25 m über dem Raumfußboden liegen...'. 2.3. Abmessung von Fenstern. '..Als Sichtverbindungen vorgesehene Fenster sollen mindestens eine Höhe von 1,25 m und eine Breite von 1,00 m haben...' 2.4 Gesamtfläche der Sichtverbindungen. '...Für Räume mit einer Grundfläche bis zu 600 m2 soll die Gesamtfläche der Sichtverbindungen 1/10 der Raumgrundfläche betragen...'
[ 3 ] L. Adler: Bürohaus, in: Wasmuth Lexikon der Baukunst, Band 1, S. 686ff, Berlin 1927-31
[ 4 ] Carol Willis: Form follows Finance, New York 1995, S. 149ff.
[ 5 ] Siehe Anna Klingmann, Philipp Oswalt: Formlosigkeit, Arch+ 139/ 140, Aachen 1998
[ 6 ] zitiert nach Carol Willis, Form follows Finance, S. 19
[ 7 ] ebenda
[ 8 ] Ernst Neuferth, Bauordnungslehre, Berlin 1943, S. 3
[ 9 ] ebenda, S. 471f.
[ 10 ] Duden Band 7, Das Herkunftswörterbuch, Mannheim 1989, S. 489
[ 11 ] Hans Kollhoff in Werk, Bauen und Wohnen, Heft 6-94, S: 47
[ 12 ] Carol Willis: Form follows Finance, S.7
[ 13 ] Aufgrund der Baurechtlichen Bestimmungen unterschied z.B. A. Wiener die Bürogebäudes Hamburg und Berlins bereits 1912. Siehe L. Adler: Wasmuth Lexikon der Baukunst, Band 1, Seite
[ 14 ] Winy Maas: Datascapes, in: MVRDV: FARMAX, Rotterdam 1998, S. 103
[ 15 ] Ernst Neuferth: Bauordnungslehre. Berlin 1943, S. 471

Philipp Oswalt & Bettina Vismann
Wir danken Gottfried Kupsch, Jasper Joachimsen, Eike Becker, Konrad Wohlhage für Gespräche über ihre Erfahrungen mit der Planung und Realisierung von Bürobauten.

erschienen in : Ernst Neufert, Normierte Baukultur im 20. Jahrhundert | Herausgegeben von der Stiftung Bauhaus Dessau / Walter Prigge | Frankfurt | 1999
Quelle : http://www.oswalt.de/de/text/txt/office_p.html