|
oder: Wie ein Bürogebäude entsteht
'Der 'Typical Plan' ist eine amerikanische Erfindung. Er ist eine Null-Architektur,
eine von jeder Spur Einzigartigkeit und Spezifizität befreite Architektur...
Der typische Plan ist Teil einer nichtgewürdigten Utopie, das Versprechen
einer post-architektonischen Zukunft... Er repräsentiert einen Punkt,
wo Pragmatismus durch bloße Rationalität und Effizienz einen
fast mythischen Status annimmt.'
Rem Koolhaas[ 1 ]
Bürogebäude mögen mit postmodernen, high-tech oder pseudohistorischen
Fassaden verkleidet sein, doch in ihrer Grundstruktur sind sie alle ähnlich.
Strikten Anforderung nach Effizienz und Neutralität unterworfen,
gleichen sich Grundrisse und Schnitte der Bauten in extremer Weise. Was
Rem Koolhaas als Spezifikum des amerikanischen Bürogebäudes
charakterisiert, trifft - entgegen seiner Polemik - auch auf europäische
Bürogebäude zu, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied:
Im Gegensatz zu den künstlich klimatisierten Bauten in den USA zeichnen
sich europäische Gebäude durch eine geringere Tiefe aus, als
ob die Klimaanlage nie erfunden worden wäre. Während in den
USA der Fensterplatz im Büro das Privileg der oberen Angestellten
ist, hat in Europa die sozialdemokratische Forderung der Gleichheit ihre
Spuren hinterlassen und sich in Richtlinen niedergeschlagen, die - wie
z.B. in Deutschland die Arbeitsstättenverordnung - für Arbeitsräume
eine 'Sichtverbindung nach außen' verlangen.[
2 ]
Mit dieser Festschreibung der natürlichen Belichtung der Arbeitsplätze,
die in der Regel auch eine natürliche Lüftung ermöglicht,
ist die Bürobauten über die Jahrhunderte erstaunlich konstant
geblieben. Egal, ob wir mittelalterliche Rathäuser, die Bürobauten
der Jahrhundertwende oder den heutigen Bürobau betrachten, die Dimensionierung
des Baukörpers und die Form der Erschließung ist weitgehend
gleich geblieben und blieb recht unberührt von der radikalen Veränderung
der Arbeitsverhältnisse, dem Aufkommen der Kommunikationstechnologien
oder neuer Baukonstruktionen. So zeigt das Rathaus zu Plauen von 1430
bereits einen zweibündigen Korridortyp von ca. 18 Meter Tiefe. Heutige
Bürogebäude gehen ebenfalls von einem Mittelgang bei einer Gebäudetiefe
von 13 m - 17 m aus.
Vom Raum zur Fläche
Gleichwohl
hat sich im Bürobau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert
eine revolutionäre Umwälzung vollzogen, die Grundlage des 'Typical
Plans' ist: Durch die Skelettbauweise wurde eine radikale Trennung zwischen
Gebäudestruktur und Raum möglich. Der umschlossene Raum der
Zellenbüros wird von einer teilbaren Fläche abgelöst. Dabei
bleiben die wesentlichen Gebäudedimensionen und die Plazierung der
Erschließung erhalten. Jedoch stellt das Gebäude keine Räume
mehr zu Verfügung, sondern Flächen, die zu besiedeln sind. Die
Entstehung dieser radikal neuen Gebäudekonzeption beschrieb Leo Adler
im Wasmuth Lexikon der Baukunst Ende der 20er Jahre: 'In Deutschland entstand
als erstes Bürohaus der Dovenhof in Hamburg nach Plänen von
Martin Haller (1885/86). Schon in diesem war darauf Bedacht genommen,
daß 'Einteilung und Anordnung des Innern zur Zeit des Baues noch
unbekannten und sehr mannigfaltigen Wünschen der Mieter möglichst
freien Spielraum biete'. Schon im Dovenhof erfolgte die Vermietung bezeichnenderweise
nach Quadratmetern bebauter Fläche, nicht nach der Raumzahl. ...
Treppenhaus, Fahrstuhlanlage und Aborte wurden gleichsam als Kernzelle
zusammengefaßt, um die sich die weiten, durch Pfeiler so wenig als
möglich unterteilten Flächen für die Büros legen.'
[ 3 ]
Die Suche nach Gebäuden, die für eine Vielzahl von Nutzern gleichermaßen
brauchbar sind, führt Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Auflösung
innenräumlicher Struktur und zur Reduktion des Gebäudes auf
Geschoßflächen, Infrastruktur und Hülle. Es erwies sich
als unmöglich, eine Räumlichkeit zu definieren, die für
verschiedenste Nutzer und über Jahrzehnte gleichermaßen gültig
ist. Von nun an war es, im Bürobau nicht mehr die Aufgabe des Architekten,
Räume zu schaffen, sondern auf möglichst effiziente Weise neutrale
und mit Infrastruktur erschlossene Territorien zu erstellen.
Selbst ethymologisch leitet sich das Wort 'Büro' aus der Fläche
ab. Aus dem zottigen Wollstoff (altfranz.'bure') mit dem eine Arbeitsfläche
bespannt war, wurde das 'bureau', die Bezeichnung der Arbeitsfläche,
dann erst der Schreibstube, das Büro.
Als architektonisches Dispositiv wird der umschlossene Raum von der Fläche
abgelöst, wie auch die Terminologie des Bürobaus belegt. Man
spricht heute von Flächenbedarf, von Nutz -, Funktions- und Verkehrsfläche.
Die DIN
4543 -1 von 1994 für Büroarbeitsplätze versucht mit der
Aufteilung in Arbeits-,Stell- und Wirkfläche die Benutzung und Aufstellung
von Büromobiliar zu normieren. Ausgehend von der Mindestfläche
eines Tisches (1,28 m2) und der Benutzerfläche, die sich wiederum
nicht mit Stell-, Funktions- oder Verkehrsfläche überschneiden
sollte, wird sie zu einer Abstandsflächenregelung des Mobiliars.Die
Planer erstellen 'Layouts', Flächennutzungspläne für das
Büro, die Terrains für die verschiedenen Aufgaben erschließen.
Organisation
und Struktur der Fläche folgt nicht mehr räumlich-architektonischen
Maßstäben. Wichtigstes Kriterium für die Büroflächen
ist stattdessen die Möglichkeit der Teilung, die die Anforderungen
an Fassade, Konstruktion und Erschließung definieren. Die Anforderungen
an die Teilbarkeit werden durch die Mindestgröße eines Büroarbeitsplatzes
definiert.Er ist nur abstrakt als Möglichkeit der Fläche gedacht
und tritt nicht unmittelbar in Erscheinung. Er bestimmt virtuell die Gebäudestruktur.
Diese phantomartige Präsenz resultiert in einer kleinteiligen Strukturieung
der Fassaden, einer gröberen Einteilung in der Konstruktion und vertikaler
Erschließungskerne.
Die Entwicklung
des enträumlichten, flexiblen Grundriß´seit dem 19.Jahrhundert
kann in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden. Sie revolutionierte
das Selbstverständnis des Architekten als auch die Idee davon, was
ein Gebäude ist. Von hier aus nahm die moderne Architektur ihren
Ausgang. Es ist kein Zufall, daß sich Mies van der Rohes frühen
Entwürfe ausschließlich mit Bürogebäuden befassen.
Hier entdeckte er den freien Grundriß, entwickelte seine Konzeption
des fließenden Raums und übertrug sie auf andere Bauaufgaben.
In diesem Sinne können Bauten wie der Barcelona Pavillon und das
Farnsworth House als Folge des spekulativen Bürobaus gesehen werden.
Sie stellen einen Versuch der Rearchitektonisierung und Veräumlichung
der Fläche da, was hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden
soll. Der
aus dem spekulativen Bürobau hervorgegangene 'freie Grundriß'
hat sich dann auch bald in den selbstgenutzten, firmeneigenen Bürobauten
durchgesetzt, worauf die amerikanische Architekturhistorikerin Carol Lewis
bereits in ihrem Buch 'Form follows Finance' hingewiesen hat: 'Es gibt
kaum einen Unterschied der inneren Struktur zwischen spekulativen und
firmeneigenen Bürogebäuden (corporate office buildings); weil
die meisten firmeneigenen Bürogebäude von Anfang an als einnahmengenerierender
Vermögenswert betrachtet wurden, mußten die Bürogrundrisse
den Marktregeln folgen, eigenschaftslos (generic) und flexibel sein...
Über 40 Prozent der Büroräume in firmeneigenen Bauten wird
durchschnittlich an externe Mieter vermietet'[ 4 ]. Die Forderung nach flexibler Nutzung hat sich zunehmend
verstärkt: Firmen und ihre einzelnen Abteilungen schrumpfen und wachsen;
Standorte werden aufgegeben oder verlagert, Projektgruppen umstrukturiert
oder neu gebildet; ein größerer Teil der Belegschaft heutiger
Dienstleister wechselt in einem Jahr den Arbeitsplatz innerhalb der Firma.
All dies führt dazu, daß sich die Anforderungen zwischen spekulativen
und firmeneigenen Bürogebäuden zumeist nur geringfügig
unterscheiden. Verstärkt wird diese Tendenz durch das Aufkommen des
'Facility Management', bei dem Gebäude nach marktwirtschaftlichen
Kriterien bewertet und optimiert werden. Diese Forderung nach umfassender
Flexibilität unterdrückt jedes Spezifikum. Immer wieder berichten
Architekten, daß Bauherren in der Architektur ihrer Bauten die Besonderheiten
ihrer Firma nicht architektonisch thematisiert sehen wollen, um eine flexible
spätere Nutzung zu ermöglichen. Wie zum Beispiel eine Filmgesellschaft
in Los Angeles, die ihre Projektionsräume in den normalen Bürogrundriß
unterbringen will und damit den Architekten die Grundlage für eine
spezifische architektonische Gestaltung entzieht.
Während in der klassischen Moderne Gebäude aus Fertigungstechniken
(Massenfertigung, Fertigbauweise) und sozialreformerischen Gründen
(gleicher Standard für alle) gleich sein sollten und daher standardisiert
und genormt wurden, entwickeln sich eigenschaftslose Gebäude, die
auf dem freien Markt von den potentiellen Mietern möglichst flexibel
genutzt werden können und somit die allgemeinsten, durchschnittlichen
Bedürfnisse der Nachfrage befriedigen sollen. Dieses Phänomen
umschreibt Rem Koolhaas mit dem Begriff des 'generic'. Dem Websters Dictionary
zufolge ist 'generic' etwas, das unterschiedlichen Erfordernissen (hinsichtlich
Verwendung, Form oder Größe) angepaßt oder anpaßbar
und damit auch umfassend breit oder vielseitig anwendbar ist. Generisch,
bezogen auf die Architektur ist das lokal ungebundene, unspezifische Produkt
einer globalen Ökonomie, das potentiell in jedem kulturellen Kontext
auftreten kann.[ 5 ]
Dabei beruht die Eigenschaftslosigkeit der Gebäude nicht allein auf
der Unvorhersehbarkeit der Nutzung, sondern ist zugleich darin begründet,
daß Bürogebäude für den Besitzer nichts weiter darstellen
als eine Kapitalanlage, die wie Aktien gehandelt wird. Es ist nicht unüblich,
daß 'Gebäude' bereits während der Planungs- und Bauphase
mehrfach den Besitzer wechseln. Mancherorts werden Immobilienpreise wie
Aktienkurse in wöchentlichen Charts notiert.
Diesen Sachverhalt brachte Cass Gilbert, der Architekt des inzwischen
denkmalgeschützten Woolworth Building in New York, bereits 1900 auf
den Punkt. Für ihn war ein Bürogebäude nicht anderes als
'a machine that makes the land pay.'[ 6 ] Oder, wie der Immobilienfachmann Georg
Hill in der amerikanischen Architekturzeitschrift 'Architectural Record'
schrieb: 'Der primäre und einzige Zweck eines Bürogebäudes
ist es, den größtmöglichen Gewinn für seinen Eigentümer
zu erzielen.'[ 7 ]
Normen
Mit der
Durchdringung des Bürobaus durch marktwirtschaftlichen Kriterien
hat sich ein anderes Verständnis von Normen und Standards ausgebildet.
Die Architekten der klassischen Moderne und in ihrer Folge die Architekten
der Nachkriegsmoderne sowohl der westlichen Welt als auch der sozialistischen
Staaten verfolgten das Ziel, mittels standardisierter Bauweise und normierter
Bauteile eine Ökonomisierung des Bauens zu erreichen, ganz im Sinne
einer fordistischen Massenproduktion und eines planwirtschaftlichen Dirigismus.
Dies war
auch Ausgangspunkt und Zielsetzung von Neuferths Arbeit, wie aus Albert
Speers Vorwort zur Bauordnungslehre von 1943 hervorgeht: 'Der totale Krieg
zwingt zur Konzentration aller Kräfte auch im Bauwesen. Weitgehende
Vereinheitlichung zur Einsparung technischer Kräfte und zum Aufbau
rationeller Serienfertigung ist die Voraussetzung zu einer Leistungssteigerung,
die zur Bewältigung unserer grossen Bauaufgaben erforderlich ist.'[ 8 ] Ernst Neuferth selber führt dazu aus: '.. der Schwerpunkt
liegt auf der Herausarbeitung entsprechender, rationeller Baukonstruktionen
auf den gefundenen Maßbeziehungen, wie sie der totale Krieg erfordert.'
Das Ideal der absoluten Normierung aller Bauteile und Baumaße führte
bei ihm zur Vision einer 'Hausbaumaschine'. 'Deshalb werden jetzt auch
die Wohnungsgrößen einheitlich festgelegt, ebenso ihre Fenster,
Türen, Treppen, Geschoßhöhen, Raumbreiten und Hausbreiten,
ggfls. auch die Installationen, Möbel und Ausstattungen.... Der einzelne
wie das Einzelhaus tritt zurück, reiht sich ein, damit das Ganze
desto geschlossener erscheint und das überragende Gemeinsame desto
mehr in der Vordergrund rückt.'[ 9 ]
Die Normung als 'einheitliche Gestaltung, (Größen)regelung'[ 10 ] hat sich für die Ökonomisierung
des Bauens als Irrläufer erwiesen. Obwohl es heute eine Vielzahl
technischer Normen und Bauvorschriften gibt, die die Gestaltung von Bauten
erheblich beeinflussen, ist die Idee einer Vereinheitlichung und Rationalisierung
der Fertigung heute obsolet.
Diese nicht zuletzt gesellschaftspolitisch motivierte umfassende Normierung
hat sich auch ökonomisch erübrigt. Heutige Produktionsverfahren
sind flexibel, so daß entgegen aller Versuche normierte Bauteile
eine untergeordnete Rolle spielen.
Neben technischen
Normen gibt es normierende Kriterien, die sich aus der ökonomischen
Optimierung der Gebäude ergeben, der Minimierung der Kosten und der
Maximierung des Marktwertes. Diese ungeschriebenen Regeln definieren keine
exakten Maße, sondern sind Parameter. Sie beziehen zumeist eine
Vielzahl von Faktoren mit widersprüchlichen Anforderungen ein und
bilden relative Richtwerte. Die Beschreibung des Berliner Architekten
Hans Kollhoff ist dafür charakteristisch: "Bürohäuser,
die heute auf dem Markt bestehen wollen, sehen im wesentlichen gleich
aus: um die 3,60 m Geschoßhöhe, im Erdgeschoß etwas höher;
Wandrastermaß zwischen 1,25 und 1,45m, zweihüftiger Grundriß
mit einer Baukörpertiefe von etwa 14m...'[
11 ]
Bei diesen Standards, die für die Wirtschaftlichkeit eines Gebäudes
von fundamentaler Bedeutung sind, handelt es sich um Näherungswerte
in einer Bandbreite, im Sinne einer Nivellierung. Es sind quasi statistische
Durchschnittswerte, die durchaus Abweichungen und Ausnahmen zulassen bzw.
mit einschließen. Die Werte können nicht kalkuliert oder aus
geometrischen Analysen linear abgeleitet werden, sie sind Ergebnis empirischer
Untersuchungen des Marktverhaltens. Es handelt sich um Regeln, die nur
annäherungsweise erreicht werden, also weniger um Module mit präzisen
Maßen als um 'sets' vager räumlicher Konfigurationen. Exakte
Normen (wie z.B. Flächenberechnung nach DIN 277 oder einheitliche
Achsabstände nach DIN 4172 oder Modulordnung nach DIN 1800) werden
bewußt ignoriert, weil sie zu unflexibel sind und nicht den tatsächlichen
Anforderungen entsprechen.
Diese weichen Normen haben nicht nur eine Streubreite, sondern sie transformieren
sich auch über die Zeit: In langsamen Drifts verändern sich
einzelne Kriterien, wie z.B. Gebäudetiefen, Geschoßflächen
oder Arbeitsplatzgrößen. So hat sich zum Beispiel aufgrund
eines gestiegenen Interesses an innerbetrieblicher Kommunikation in den
letzten Jahren die bevorzugte Gebäudetiefe erhöht und die Geschoßflächengröße
verringert. Zugleich ist über die Jahrzehnte die Größe
des durchschnittlichen Arbeitsplatzes angewachsen. Auch im zeitlichen
Sinne ist also eine präzise Definition eines Optimums nicht möglich,
sondern lediglich die Prognose eines Trends.
Architektur als Produkt
Für
das Gebäude als Geldanlage ist einzig ausschlaggebend, welche Preise
es auf dem Immobilienmarkt - ob bei Vermietung oder Verkauf - erzielen
kann. Daher ist bei der Konzeption eines Bürogebäudes eine Marktanalyse
entscheidend. Bei heutigen Bürogebäuden erlangt der Makler zunehmend
an Bedeutung. Er vermarktet nicht mehr nur das fertige Produkt, er ist
auch in der Planung nicht nur beratend tätig. Vielmehr steht er am
Anfang des Projektes, bevor ein Architekt involviert ist, und entwickelt
die Grundkonzeption des Gebäudes - welche Art von Büros in welcher
Lage. Der Architekt wird zum Dienstleister, der die vorgegebene Konzeption
auf einem konkreten Grundstück umzusetzen hat. Er hat das Know-how
und die Erfahrung, wie Vorgaben baulich umgesetzt werden können.
Er kann beurteilen, welche Möglichkeiten ein spezifisches Grundstück
hat. In einem wechselseitigen Verfahren wird dann das konkrete Gebäude
im Dialog zwischen Marketingspezialist und Architekt entwickelt.
Die Produktentwicklung erfolgt aus der Marktforschung. Wie in der Politik
oder dem Automobilbau führt dies zu einer Angleichnung des Angebots:
Es werden in der Regel nur noch Produkte entwickelt, die der durchschnittlichen
Nachfrage entsprechen. Die Orientierung an der Nachfrage ist extrem reaktiv
und damit konservativ, man reagiert auf eine bereits vorhandene Nachfrage.
Sich neu herausbildende Bedürfnisse werden meist erst im Nachhinein
erkannt: Es gibt kaum ein Nachdenken über mögliche zukünftige
Entwicklungen. Oder den Versuch durch neue Produkte eine andere Nachfrage
zu generieren.
Verursacht wird dies dadurch, daß die Handlungsträger (die
Investoren, aber auch die Planer) nicht mehr Unternehmer im klassischen
Sinn sind, mit dem Mut zum Risiko und dem Interesse, etwas zu 'unternehmen',
sondern Organisationen und Bürokratien, die das Geld von einer anonymen
Schar von Anlegern verwalten, das Risiko scheuen und sich durch bereits
bewährte Konzeptionen absichern.
Die Gebäudekonzeption sowie die räumlichen Parameter werden
nach Wirtschaftlichkeitskriterien festgelegt. Zu Beginn eines jeden Projektes
wird von Projektentwicklern, Marketingfachleuten, Facility Management
und weiteren Beratern ein 'Pflichtenheft' formuliert, das dem Architekten
nicht nur ein Raumprogramm vorgibt, sondern bereits die Grundzüge
der räumlichen Struktur festgelegt. So ist es heute üblich,
daß ein solches Pflichtenheft Gebäude-, Konstruktions- und
Fassadenraster, Raumhöhen ebenso wie die Raumtiefen und das geforderte
Verhältnis von Brutto- zu Nettoflächen vorgibt. So war zum Beispiel
bei den Projekten am Potsdamer Platz von Debis im Pflichtenheft das Gebäuderaster
von 1,35 m, das Konstruktionsraster von 8,1 m, eine Raumhöhe von
3 m und die Raumtiefen festgeschrieben. Das Korsett der Vorgaben war so
eng, daß die unterschiedlichen Architekten auch bei nicht bis ins
Detail vorgeschrieben Fragen wie z.B. der räumlichen Anordnung von
Aufzugslobbies zu analogen Lösungen kamen.
In diesem Kontext hat sich eine bestimmter Typus des Architekturbüros
herausgebildet, der mit einem Minimum an Gestaltungsambitionen und ein
Maximum an Professionalität den Wünschen der Bauherren nachzukommen
versucht. Es handelt sich um sehr große Firmen mit mehreren Niederlassungen
wie HOK, Suter+Suter, SOM, Henn, GMP, Schweger & Partner - um nur
einige zu nennen -, die Architektur als Dienstleistung begreifen und eine
mehr oder weniger 'eigenschaftslose' Architektur generieren. Das Ziel
ist es, innerhalb eines eng gesetzten Zeit- und Kostenrahmens ein ansprechendes
Gebäude zu realisieren, das durchschnittlichen Erwartungen des Bauherrens
und seiner potentiellen Kunden entspricht.
Modern Vernacular
In ihrer
Analyse der Hochhausarchitektur Chicagos und New Yorks in der Zeit von
1890 bis 1930 arbeitet Carrol Lewis die Faktoren heraus, die die Gestaltung
von Bürogebäuden beeinflussen und kommt zu dem Fazit: 'Von primärer
Bedeutung sind die ökonomischen und funktionalen Regeln für
qualitativen Bürobau: diese tendieren dazu, den Hochhausbau überall
zu standardisieren. Diese Schablone wird durch lokale Bedingungen modifiziert:
der historische Stadtgrundriß mit seinen Block- und Parzellenstruktur,
städtische Vorschriften und Zoning-Gesetze verursachten, daß
sich Hochhäuser lokal unterschiedliche Formen entwickelten, wodurch
für jede Stadt spezifische vernakuläre Bauten entstanden.' Carol
Lewis sieht die Hochhausarchitektur als 'das Produkt von standardisierten
Marktregeln und spezifischen städtischen Situationen.'[ 12 ] In diesem Sinne läßt sich heute annäherungsweise
von einem idealen Typus des Bürogebäudes im globalen Kontext
sprechen, der den spezifischen lokalen Bedingungen angepaßt und
modifiziert wird.
Form und Typologie von Bürogebäuden ergibt sich im wesentlichen
aus zwei Faktoren: Zum einen den Anforderungen und den Bedingungen des
Marktes, die sich im globalen Kontext zunehmend annähern. Zum anderen
aus den lokalen Vorgaben und Regeln. Während traditionellerweise
die lokalen Besonderheiten von Gebäuden auf den natürlichen
Gegebenheiten des Klimas und der zu Verfügung stehenden Baumaterialien
beruhten, sind sie heute durch Baugesetze und Parzellenstruktur bestimmt.
Die Baunormen wirken gestaltbildend und generieren lokale Spezifika: Wie
z.B. die Forderung nach natürlicher Belichtung in Westeuropa eine
andere Baukörpertiefe als in Amerika verursacht hat. Oder die Zoninggesetze
aus dem New York der 30er Jahre zur Ausbildung der so charakteristische
pyramidenförmige Staffelung der Bürohochhäuser geführt
haben. Die lokalen Regeln des Brandschutzes beeinflussen die Möglichkeiten
für den Bau von Atrien und regeln die Anordnung und Anzahl der vertikalen
Erschließung[ 13 ]. Von
großem Einfluß ist auch der Stadtgrundriß mit seinen
Festlegungen von Parzellen- und Blockgrößen, die vor allem
die Anlage von Innenhöfen und die Gebäudehöhe bestimmen.
Die Gestalt der Bürogebäude ist eher Resultat einer wirtschaftlichen
Optimierung im Rahmen lokaler Bedingungen des Bauens als ein Produkt eines
architektonischen Formwollens. Die lokalen Festsetzungen von Bauordnungen
umgekehrt verursachen spezifische Gebäudeformen, ohne diese zu intendieren.
Interessanterweise sind auch Baunormen zuweilen ökonomisch motiviert
und unterstreichen damit einmal mehr die Bedeutung wirtschaftlicher Faktoren
für das Baugeschehen. Wie Carrol Willis aufzeigt, erfolgte die Regulierung
von Gebäudehöhen in den USA oft nicht aus stadtplanerischen
Motiven, sondern zur Regulierung des Immobilienmarktes. In Zeiten des
Angebotsüberhangs werden Höhenbeschränkungen beschlossen,
um eine Überangebot zu verhindern, in Zeiten des Aufschwungs werden
Höhenbeschränkungen aufgehoben, um eine maximale ökonomische
Rendite zu ermöglichen.
In einem solch ökonomisch determinierten Kontext erfolgt Architektur
nicht mehr als intentionaler Prozeß, sondern reagiert mit der Umsetztung
zuvor festgelegter Regeln.
Der New
Yorker Architekt Hugh Ferris hat in den 20er Jahren mit seinen utopischen
Zeichnungen diesen Automatismus thematisiert. In einer Reihe von Skizzen
legt er dar, wie durch die systematische Anwendung der gegebenen Regeln
von Zoning-Gesetzen, Beleuchtungsanforderungen und Ökonomie der Form
sich die Architektur von Gebäuden automatisch ergibt.
In ihrem Buch 'FARMAX' hat das holländische Büro MVRDV eine
ähnliche Strategie entwickelt: Durch die konsequente Anwendung von
Sichtlinien, Beleuchtungsregeln, Brandschutzvorschriften usw. entstehen
städtebauliche Siedlungsformen wie die Gestalt von Gebäuden.
'Form wird das Resultat einer solchen Extrapolierung zur Datenlandschaft
der dahinterliegenden Anforderungen. Sie zeigt die Anforderungen und Normen
auf, zwischen Lächerlichkeit und Kritik balancierend, Pragmatismus
sublimierend.'[ 14 ]
Die dabei entstehenden überraschenden und bizarren Formen thematisieren
und hinterfragen die gesellschaftlich formulierten Regeln: Der Architekt
gibt nicht mehr vor, Herr der Lage zu sein, sondern durch eine offensive
vor Bauordnungen, Steuergesetzen und Konventionen werden deren Konsequenzen
bloßgelegt und damit infrage gestellt. Was zunächst als zynischer
Opportunismus erscheinen mag, erweist sich als möglicher Beginn einer
Diskussion über die Umformulierung von Regeln und Normen.
Damit könnte die Architektur eine andere gesellschaftliche Relevanz
erlangen, die sie als Fassadendesign - ob Neutektonisch, als High-Tech
oder im Stile des Minimalismus - längst verloren hat. Denn heutzutage
erfüllt sie vielfach nur noch die Funktion, die ihr Neuferth bei
seiner Vision der 'Hausbaumaschine' zugewiesen hat: 'Übrig bleibt
dann nur noch die äußere Gestaltung.... Aus diesem Bewußtsein
heraus ist beabsichtigt, zu gegebener Zeit einen Fassadenwettbewerb auszuschreiben....'[
15 ]
|
|
Fussnoten :
[ 1 ]: Rem Koolhaas:'Typical Plan'
in O.M.A, Rem Koolhaas, Bruce Mau: SMLXL, Rotterdam 1995, S. 334ff.
[ 2 ] Siehe ArbStättV §7
Beleuchtung. Diese Anforderung ist in den Arbeitsstättenrichtlinien
präzisiert: ASR 7/1 Sichtverbindungen nach außen 2.2. Lage:
'Die Unterkante der Fenster .. soll zwischen 0,85 und 1,25 m über
dem Raumfußboden liegen...'. 2.3. Abmessung von Fenstern. '..Als
Sichtverbindungen vorgesehene Fenster sollen mindestens eine Höhe
von 1,25 m und eine Breite von 1,00 m haben...' 2.4 Gesamtfläche
der Sichtverbindungen. '...Für Räume mit einer Grundfläche
bis zu 600 m2 soll die Gesamtfläche der Sichtverbindungen 1/10 der
Raumgrundfläche betragen...'
[ 3 ] L. Adler: Bürohaus, in:
Wasmuth Lexikon der Baukunst, Band 1, S. 686ff, Berlin 1927-31
[ 4 ] Carol Willis: Form follows
Finance, New York 1995, S. 149ff.
[ 5 ] Siehe Anna Klingmann, Philipp
Oswalt: Formlosigkeit, Arch+ 139/ 140, Aachen 1998
[ 6 ] zitiert nach Carol Willis,
Form follows Finance, S. 19
[ 7 ] ebenda
[ 8 ] Ernst Neuferth, Bauordnungslehre,
Berlin 1943, S. 3
[ 9 ] ebenda, S. 471f.
[ 10 ] Duden Band 7, Das Herkunftswörterbuch,
Mannheim 1989, S. 489
[ 11 ] Hans Kollhoff in Werk,
Bauen und Wohnen, Heft 6-94, S: 47
[ 12 ] Carol Willis: Form follows
Finance, S.7
[ 13 ] Aufgrund der Baurechtlichen
Bestimmungen unterschied z.B. A. Wiener die Bürogebäudes Hamburg
und Berlins bereits 1912. Siehe L. Adler: Wasmuth Lexikon der Baukunst,
Band 1, Seite
[ 14 ] Winy Maas: Datascapes,
in: MVRDV: FARMAX, Rotterdam 1998, S. 103
[ 15 ] Ernst Neuferth: Bauordnungslehre.
Berlin 1943, S. 471 |