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Der öffentliche Raum ist für die möglichen Opfer rechtsradikaler
Gewalt nicht mehr sicher. Sie laufen dort in Gefahr, bedroht, beleidigt,
verletzt oder gar ermordet zu werden. Bei unzähligen Übergriffen
wurden in den letzten 10 Jahren in Deutschland 93 Menschen[
1 ] von Rechtsradikalen ermordet, tausende verletzt. Geschehen ist
dies in den Großstädten wie auf dem Lande, am Tage wie in der
Nacht, in Bayern wie in Brandenburg. Die Taten ereignen sich im öffentlichen
Raum – und sie haben diesen verändert. Wie wirkt sich die rechtsradikale
Straßengewalt auf das Verhalten der Menschen im öffentlichen
Raum aus? Und welche Rolle spielt der öffentliche Raum für die
Ausübung rechtsextremer Gewalt?
Anfang
der 90er Jahre formulierten rechtsradikale Ideologen das Konzept der sogenannten
'National befreiten Zonen': 'Es geht keinesfalls darum, eigenständige
staatliche Gebilde oder ähnlichen Unsinn ins Leben zu rufen. Nein,
befreite Zonen bedeutet für uns zweierlei. Einmal ist es die Etablierung
einer Gegenmacht. Wir müssen Freiräume schaffen, in denen wir
faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind,
d. h. wir bestrafen Abweichler und Feinde, wir unterstützen Kampfgefährtinnen
und -gefährten, wir helfen unterdrückten, ausgegrenzten und
verfolgten Mitbürgern. Das System, der Staat und seine Büttel
werden in der konkreten Lebensgestaltung der politischen Aktivisten der
Stadt zweitrangig. Entscheidender wird das Verhalten derer sein, die für
die Sache des Volkes kämpfen, unwichtig wird das Gezappel der Systemzwerge
sein. Wir sind drinnen, der Staat bleibt draußen.'[ 2 ]
Eine Realisierung
dessen ist nicht erfolgt. Es gibt keine 'No-go-Areas', in denen die gewalttätige
rechte Szene den Raum beherrscht. Sie setzt nirgendwo die staatliche Gewalt
außer Kraft.[ 3 ]
Sie übt keine Herrschaft im Sinne einer institutionalisierten Macht
aus. Und doch hat sie den öffentlichen Raum entscheidend verändert.
Die Gewalt
gegen die Opfer erfolgt fast ausschließlich aus einer für die
Angreifer sicheren Situation der kräftemäßigen Überlegenheit,
in der Regel steht eine Gruppe gegen Einzelpersonen. Dies ist eigentlich
das einzige klare Merkmal, das den Vorkommnissen gemeinsam zu Grunde liegt.
So sind von den 27 in der Cottbusser Chronologie für das Jahr 2000
geschilderten Gewalttaten mit einer Ausnahme alles Beispiele, bei denen
die Opfer von einer zahlmäßig um ein Vielfaches übermächtigen
Anzahl rechtsradikaler Täter angegriffen wurden.
Ansonsten
zeichnet sich rechte Gewalt durch ihre Diffusität aus: Sie
kann fast überall auftreten, sie kann sich fast jederzeit ereignen
und sie kann fast jeden treffen. Eine exemplarische Betrachtung der Vorkommnisse
in Cottbus im Jahr 2000 zeigt, dass im gesamten Stadtgebiet Gewalttaten
vorkommen und sie somit räumlich kaum lokalisierbar sind. Auch lassen
sich nicht bestimmte Raumtypen feststellen, auf die sie eingegrenzt werden
können: es passiert in der Trambahn und auf der Straße, an
Hauseingängen und Bushaltestellen, in der Schule oder im Einkaufszentrum,
an der Tankstelle oder auf dem Volksfest.
Zwar gibt
es Orte mit stärkerer rechter Präsenz (und damit höherer
Wahrscheinlichkeit für Straftaten), und Orte rechter Infrastruktur
(Jugendclubs, Tankstellen, Schulen, Wohnungen usw.), doch die Vorkommnisse
lassen sich hierauf nicht eingrenzen. Selbst die Zielgruppe ist nicht
eindeutig abgrenzbar und umfasst potentiell jeden, der nicht rechts ist.
Die Gewalttäter
sind nicht politisch oder anderweitig organisiert. Doch auch wenn sie
keine geschlossene Ideologie verfolgen, sondern lediglich diffuse Vorstellungen
und platte Feindbilder haben, sind die gewalttätigen Rechten doch
gesellschaftspolitisch wirksam. Aber man scheut sich, die Täter zu
benennen; man spricht von 'denen'. Das zeugt weniger von der Unschärfe
der Tätergruppe als von dem Wunsch, dem Sachverhalt aus dem Wege
zu gehen und ihn klar zu benennen.'Was ich nicht weiß, macht mich
nicht heiß.' Die unscharfe Wahrnehmung erleichtert die Verdrängung.
Die'rechte
Stadtguerilla' kontrolliert den Raum temporär durch die Möglichkeit
von Ereignissen. Oft wirkt allein schon die Präsenz rechts erscheinender
Jugendlicher. Erkennbar an Haarschnitt, Kleidung und Gehabe, stehen sie
in Gruppen an Tankstellen, Bushaltestellen und vor Geschäften - und
tun nichts. Sie demonstrieren Stärke und versuchen, andere einzuschüchtern.
Das Wissen um die unzähligen Gewalttaten in den vergangenen Jahren
und die Möglichkeit, dass sich gleiches wiederholt, führt zu
einem ausweichenden Verhalten der Umstehenden und Vorbeigehenden. Dieses
Zurückweichen bestärkt die Machtausübung der Rechten im
öffentlichen Raum. Dafür muss es gar nicht zu expliziten Gewaltandrohung
kommen. Dies kalkulieren die Rechtsradikalen ein. Etwa als sie im Feburar
1999 in Guben Farid Guendoul zu Tode hetzten. Die Täter mussten gar
nicht selber Hand anlegen. Von Todesangst getrieben, verletzt sich das
Opfer tödlich bei seinem Fluchtversuch.
Zugleich
ist der öffentliche Raum der Ort, wo sich die rechtsradikale Subkultur
ausbildet.[ 4 ] Man erkennt sich an der äußeren
Erscheinung und verbrüdert sich. Auf der Straße finden sich
die rechten Cliquen zusammen - und eben nicht am Arbeitsplatz oder in
der Schule oder im Sportverein. Exemplarisch war dafür die Ermordung
des Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau im Juni 2000. Die drei Täter
hatten sich erst wenige Stunden vorher auf dem Bahnhof kennen gelernt.
In privaten und gemeinschaftlichen Kontexten verhalten sich Rechte in
der Regel unauffällig, ob in der Familie oder als Schüler oder
Lehrling. Da muss man sich fremden Regeln unterwerfen und verhält
sich angepasst. Der öffentliche Raum hingegen bietet die Möglichkeit,
den eigenen Regeln zu folgen.
Mancherorts
existiert vorübergehend eine rechte Dominanz, etwa in einem
Stadtteil oder einer Kleinstadt für einen Sommer. Dann passen sich
nicht-Rechte der Situation an; Jugendliche lassen sich eine Glatze schneiden,
um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Auch werden bestimmte Orte gemieden
wie etwa Clubs, Veranstaltungsorte, Diskotheken, Tankstellen. Zuweilen
kontrollieren rechte Jugendliche über einen begrenzten Zeitraum öffentliche
Räume; wenn sie etwa am Eingang zur Schule Walkman's auf die mitgeführte
Musik überprüfen oder an Bahnhöfen Toiletten oder Telefonzellen
als'deutsch” deklarieren und sogenannten 'Nichtdeutschen' den Zugang
verwehren. Doch spätestens nach einigen Wochen wird ein solches Tun
entweder von der Polizei unterbunden oder den Rechtsradikalen zu langweilig.
Es gibt
Orte mit potentieller rechter Dominanz, aber auch Zeiten, etwa nach Ladenschluß
oder Einbruch der Dunkelheit, nach Fußballspielen oder an Gedenktagen
der Rechtsradikalen wie Hitlers Geburtstag oder Rudolf Hess Todestag.
Die Muster von Dominanz sind nicht trennscharf und ändern sich über
die Zeit. Während die Menschen am Ort die Änderungen verfolgen
und sich arrangieren können, haben Ortsfremde diese Möglichkeit
nicht.
Die Bevölkerung
geht den Gewalttätern aus dem Weg; die potentiellen Opfer vermeiden
die als gefährlich geltenden Orte und Zeiten. [ 5 ] Im Dezember 2000 befragten
wir 60 Bürger in Cottbus, ob sie sich im öffentlichen Raum sicher
fühlen. Ein Drittel der Befragten fühlte sich unsicher, nahezu
ausschließlich aufgrund rechter Gewalt. Sie versuchen deshalb, die
als gefährlich geltenden Stadtteile Schmellwitz und Sachsendorf zu
bestimmten Zeiten zu umgehen. Mögliche Opfer meiden auch den öffentlichen
Nahverkehr nach Einbruch der Dunkelheit.
Doch das
Ausweichen vor rechter Gewalt kann im Alltag für den Einzelnen kaum
Schutz bieten, da sie überall und jederzeit auftreten kann. In konkreten
Konfliktfällen ist das Ausweichen und Wegsehen mit eine Ursache für
deren Gefährlichkeit. Immer wieder berichten Opfer von fehlender
Hilfeleistung der anderen Anwesenden. Es haben sich unbewusste Verhaltensmuster
ausgebildet, die die Auswirkungen rechtsextremer Gewalttaten verstärken
oder diese überhaupt ermöglichen. Als Resultat schränkt
eine rechtsextreme Minderheit der Bevölkerung die Bewegungsfreiheit
anderer Teile der Bevölkerung im öffentlichen Raum erheblich
ein.
Wenn der
öffentliche Raum der Raum ist, in dem wir dem Anderen, dem Fremden
begegnen, dann geht es hierbei um die Abschaffung des öffentlichen
Raums; nämlich der Vertreibung derjenigen, die als anders oder fremd
deklariert werden.
Wie lässt
sich dieser Entwicklung entgegentreten? Zunächst obliegt dem Staat
die Aufgabe, den öffentlichen Raum sicherzustellen. Er soll dgewährleisten,
dass das Gesetzliche geschehen kann, und das Ungesetzliche unterbunden
wird. In der Realität tritt eine zeitliche Differenz zwischen einem
gesetzeswidrigen Ereignis und dem potentiellen staatlichen Eingriff auf.
Gleichzeitig
prägen aber auch die jeweils Anwesenden den öffentlichen Raum.
Da er ein Ort für jedermann ist, fühlt sich zunächst keiner
für ihn verantwortlich. Jeder sieht sich als Besucher. Doch zugleich
bilden die an einem Ort vorhandenen Personen eine spontane soziale Gemeinschaft.
Jeder ist latent für den anderen mitverantwortlich, und dies wird
von der Gesellschaft im Gefahrenfall auch eingefordert. Unterlassene Hilfeleistung
steht unter Strafe. Versagt jedoch der Gemeinsinn, oder ist kein weiterer
Mensch im öffentlichen Raum anwesend, der einem Opfer beistehen könnte,
so werden die an den öffentlichen Raum angrenzenden privaten Räume
wichtig.
Denn öffentliche
Räume sind keine isolierten Gebilde, sondern sie liegen zwischen
privaten Räumen, die sie miteinander verbinden und voneinander trennen.[ 6 ] Die Übergänge zwischen öffentlichen
und privaten Räumen sind wesentlich für die Ausprägung
des öffentlichen Raums. Hinter ihnen liegen halböffentliche
Räume (wie etwa Läden) und private Räume (wie etwa Wohnungen).
Sie haben indirekt Teil am öffentlichen Raum. Von hier aus ist der
Straßenraum einsehbar und von hier aus wird er betreten und wieder
verlassen. Je stärker die Kommunikation zwischen diesen Räumen
ist, desto besser funktioniert der Straßenraum als öffentlicher
Raum.
In privaten
Räumen besteht eine klare Verantwortlichkeit, die auch praktiziert
wird. Wer auf der Straße bedroht wird und keine Hilfe bekommt, versucht
Zuflucht zu finden in halböffentlichen oder privaten Räumen,
weil dort die Anonymität aufgehoben ist und die Verantwortlichkeit
der Anwesenden eindeutig ist. Aktionen gegen rechtsradikale Gewalt haben
sich diese Erkenntnis zu Nutze gemacht, etwa das Programm 'Aktion Noteingang'
oder in Cottbus die Initiative 'Cottbusser Zuflucht'. Man signalisiert
dem bedrohten Fremden Einlass in den privaten oder halböffentlichen
Raum zu geben und Verantwortung für seinen Schutz zu übernehmen.
Dies stellen
Versuche da, vom privaten Raum aus den öffentlichen Raum wiederherzustellen.
Dies ist ein erster Schritt. Denn es kann nicht darum gehen, nur Zuflucht
zu bieten. Die freie Zugänglichkeit und Benutzbarkeit des öffentlichen
Raums für jedermann ist wiederherzustellen. Dies erfodert, dass die
unbewusst entstandenen, ausweichenden Verhaltensmuster in Konfliktsituation
überwunden werden und jeder wieder aktiv den öffentlichen Raum
in Anspruch nimmt. Und im Falle eines Konfliktes seiner Verantwortung
für Andere gerecht wird.
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Fussnoten :
[ 1 ] Der Tagesspiegel, Sonderdruck 'Todesopfer rechter
Gewalt seit der Vereinigung-Eine Bilanz', Januar 2001. Seither haben weitere
Ermordungen stattgefunden.
[ 2 ] Vorderste Front, Zeitschrift des Nationaldemokratischen
Hochschulbund (NHB), 1993
[ 3 ] Heinrich Popitz, Phänomene der Macht, 1986
[ 4 ] Eine Reihe von wichtigen Gedanken für diesen Artikel verdanke
ich Dr. Rainer Erb vom Institut für Antisemitismusforschung an der
Technischen Universität Berlin, mit dem ich im Dezember 2000 ein
längeres Gespräch führte.
[ 5 ] Umgekehrt meiden rechtsradikale Jugendliche Stadtteile,
die als 'links' gelten, wie etwa Berlin Kreuzberg oder auch die Cottbusser
Innenstadt . Es gibt zwar gezielte Angriffe von Linken auf rechtsradikale
Einrichtungen; doch gibt es keine vergleichbare Gewalt gegen Personen.
In den letzten 10 Jahren wurde kein Rechter von Linken ermordet. Insofern
handelt es sich nicht um die Spiegelung desselben Sachverhalts unter umgekehrten
Vorzeichen.
[ 6 ]'In der Welt zusammenleben heißt wesentlich, daß
eine Welt von Dingen zwischen denen liegt, deren gemeinsamer Wohnort sie
ist, und zwar im gleichen Sinne, in dem etwa ein Tisch zwischen denen
steht, die um ihn herum sitzen; wie jedes zwischen verbindet und trennt
die Welt diejenigen, denen sie jeweils gemeinsam ist...' Hannah Arendt:
Vita Activa, München 1981, S. 66 |