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Zur Berliner Schloßdebatte
Der Vorschlag, das Berliner Schloss wiederaufzubauen, ist nicht so nostalgisch,
wie es zunächst erscheint. Denn niemand will das Berliner Schloss
wiederaufbauen. Dies wäre bei einem Gebäude, dessen Nutzung
obsolet ist, dessen Baukosten mit 3 bis 8 Milliarden DM zu veranschlagen
sind, und dessen anvisiertes Bauvolumen das des Sony-Centers am Potsdamer
Platz einschließlich Hochhaus deutlich übersteigt, auch kaum
realisierbar. Worum geht es also? Die Vorschläge für den 'Wiederaufbau'
sehen die Nachbildung einiger der historischen Fassaden vor, wofür
ein Bauvolumen in der grob vereinfachten Form des ehemaligen Stadtschlosses
errichtet werden soll. Das eigentliche Gebäude erhält neue Funktionen
und in weiten Teilen eine neue Raumstruktur.
Bei genauerem
hinsehen erweist sich der Vorschlag zum Wiederaufbau des Schlosses als
das Konzept einer medialen Architektur. Nicht nur, dass die meisten Befürworter
das Bauwerk nur aus Fotografien kennen. Das Medium der Photographie ermöglicht
überhaupt erst die Rekonstruktion. Beim Abriss im Jahr 1950 wurden
nur wenige Elemente des Bauwerks gesichert oder mit Abgüssen dokumentiert,
der Großteil verschwand sorgfältig zerkleinert in den großen
Trümmerbergen in Friedrichsfelde und im Köpenicker Forst. Die
Originalpläne der Architekten sind verlorengegangen, das existierende
Aufmaß ist ungenau. Was vom Schloss geblieben ist, sind eine Großzahl
von Fotografien aus den letzten hundert Jahren seines Bestehens. Für
den Wiederaufbau soll nun mittels digitaler Photogammetrie der einstige
Zustand rekonstruiert werden. Nach dem Einscannen der Fotos werden aus
der Kombination mehrerer zweidimensionaler Bilder rechnerisch dreidimensionale
Informationen generiert. Man möchte bezweifeln, ob auf solche Weise
die für die Architektur so wesentlichen bildhauerischen Arbeiten
des Barockbaumeisters Andreas Schlüters rekonstruiert werden können.
Doch gleichwohl fasziniert, wie mittels des Einsatzes neuer Medien in
einer Art Zeitreise das Vergangene in die Gegenwart zurückgeholt
werden soll.
Ebenso
wie ihre Erstellung legt die Rezeption einer solchen Architektur ihren
medialen Charakter offen. Die historisierende Bebauung des Pariser Platzes
am Brandenburger Tor hat dies bereits exemplarisch gezeigt. Der vermeintlich
rekonstruierte Stadtplatz ist zum Hauptstadtstudio der Fernsehanstalten
und Werbeagenturen geworden. Nahezu täglich finden hier Fernseh-
und Filmaufnahmen statt, um vor der historischen Kulisse Produkte, Dienstleistungen,
Politiker oder Kulturevents zu vermarkten, während sie zwischen den
Events von Touristen fotografiert und gefilmt wird. Ebenso wird wohl das
nach technischen Bildern wiederaufgebaute Schloss vornehmlich der Erzeugung
neuer Bilder dienen.
Die Wiedergeburt
der Geschichte mittels moderner Medien eröffnet neue Möglichkeiten:
Elemente von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft können nach aktuellen
Bedürfnissen beliebig ausgewählt, kombiniert und modifiziert
werden. Das einst Komplizierte, Widersprüchliche und Anstößige
kann in das Eingängige und leicht Konsumierbare überführt
werden. Und so soll denn auch mit dem Berliner Schloss verfahren werden:
Niemand will den feingliedrigen Renaissanceflügel des Berliner Schlosses
wiederaufbauen, von den beiden Innenhöfen soll auch nur einer rekonstruiert
werden, in Teilen zumindest. Dabei soll ein Glasdach den Schlüterhof
in ein postmodernes Atrium verwandeln, um ihn als Festsaal nutzbar zu
machen. Ob das Schloss mit oder ohne Kuppel besser gefällt, darüber
streiten noch die Experten. Doch ansonsten ist man sich einig, dass eigentlich
nur barocke Elemente des in 500 Jahren angewachsenen Baukörpers rekonstruiert
werden sollen. Bei der Rekonstruktion der Schlossfassaden legt man Wert
auf traditionelle handwerkliche Arbeit, eine maschinelle Umsetzung der
am Computer erzeugten Daten ist Tabu. Die scheinbare Präzision im
Detail soll Authentizität und Geschichtlichkeit suggerieren, während
man alles missliebige, nicht eingängige oder unökonomische modifiziert.
Der über Jahrhunderte immer wieder veränderte Baukörper,
der angeschüttet, aufgestockt, umgestaltet, erweitert und beschnitten
wurde, der alle Stilepochen von Spätgotik, Renaissance, Barock, Klassizismus
bis zum Wilhelminismus durchlief, soll nun in wenigen Jahren aus dem Nichts
wiederentstehen. Die dabei vollzogene Glättung und Manipulation des
Geschichtlichen ist kein Kunstfehler, sondern Absicht. So bejubelt das
Nachrichtenmagazin 'Der Spiegel' ohne jede Ironie die pseudohistorische
Architektur des Hotel Adlons am Pariser Platz in Berlin als ein Bau, der
'so tue, als sei er schon einmal da gewesen, als hätte es den Abriss,
all die Schmerzen der Geschichte nicht gegeben'.
Dies ist
ohnehin das unausgesprochene Motto der Berliner Baupolitik seit 1989:
Mit dem 21. Jahrhundert unmittelbar ans 19. anknüpfen und dabei die
Spuren des 20. Jahrhunderts auslöschen; eine angesichts der Deutschen
Geschichte verständliche, wenn auch äußerst problematische
Sehnsucht. 'Geben wir der Stadt ihre Identität zurück' - dieser
Appell von Wilhelm von Boddien zum Aufbau des Schlosses versteht die Zeit
vor 1918 als eigentlich identitätsstiftendes Moment für Berlin.
Tatsächlich
aber ist die Stadt wie keine andere von der Geschichte des 20. Jahrhunderts
gezeichnet ist. Sie hat die wesentlichen Kräfte dieser Epoche - Moderne,
Faschismus, Weltkrieg, Stalinismus, Sozialismus, Kalter Krieg, Revolte,
Kapitalismus etc. - in sich absorbiert und ihnen Gestalt gegeben. In einer
steten Wiederkehr von Zerstörung, Planung und Neubau entwickelte
sich Berlin zu einem Konglomerat widersprüchlicher ideologischer
Elemente. Hierin spiegelt sich zugleich die politische Geschichte Deutschlands.
Im letzten Jahrhundert hat Berlin den Niedergang von vier deutschen Staaten
erlebt. Geschichtlichkeit ist hier weniger lesbar in der Akkumulation
historischer Bausubstanz als in den Spuren ihrer permanenten Auslöschung.
Es ist das Paradox Berlins, dass es gerade wegen des Fehlens der meisten
seiner bedeutenden historischen Bauten als Ort voller Historie erscheint.
In keiner anderen Stadt ist deutsche Geschichte so deutlich erfahrbar
- bisher zumindest.
Denn mittlerweile
werden im Namen der 'Historie' diese historischen Spuren beseitigt. Dabei
stellt die Idee der Schlossrekonstruktion nur den Höhepunkt einer
allgemeinen Redesigns der Berliner Innenstadt dar, die seit dem Mauerfall
stattfindet: Nachdem man den Boulevard Unter den Linden in den letzten
Jahren von DDR-Bauten weitgehend bereinigt hat, liegen die Entwürfe
für die Überformung des übrigen Ostberliner Zentrums bereit.
Wenn alles nach Plan läuft, wird in wenigen Jahren von den baulichen
Zeugnissen der einstigen Hauptstadt der DDR nichts Nennenswertes mehr
vorhanden sein. Auch in den anderen Bereichen der City, im Westen wie
im Osten, bemüht sich die Berliner Baupolitik mit allen verfügbaren
Kräften, ein homogenes, vermeintlich historisch legitimiertes Stadtbild
durchzusetzen. Die Brüche im Stadtkörper sollen kaschiert und
die baulichen Strukturen der Moderne aus dem Stadtbild verschwinden. Die
dabei zutage tretende Gewalttätigkeit stellt durchaus eine Berliner
Tradition dar. So verweist der englische Publizist Ian Bururma darauf,
dass in der Geschichte Berlins die Vergangenheit immer etwas war, das
zerstört, gereinigt oder in verfälschter und verzerrter Form
neu erfunden wurde. So ist Berlin heute zum wiederholten Male Zerstörungen
ausgesetzt, die versuchen, eine neue Geschichte zu kreieren. Denn die
Deutschen träumen nicht von einer anderen Zukunft, sondern von einer
anderen Vergangenheit. Berlin soll zu einer normalen europäischen
Stadt werden, Deutschland zu einem normalen Land, dessen unglückselige
Geschichte man mit dem Ende der Nachkriegszeit aus dem kollektiven Gedächtnis
der Stadt und der Gesellschaft tilgen möchte.
Was wäre
die Alternative? Die städtebauliche Situation am Lustgarten und Schlossplatz
ist völlig unbefriedigend; insofern besteht Handlungsbedarf. Auch
der Palast darf kein Tabu sein. Zudem ist er ohnehin nur noch ein Gespenst
seiner selbst. Mit der Asbestsanierung wurde sein gesamtes Innenleben
entsorgt, selbst vom Volkskammersaal existieren nur noch kleine Musterproben
der Wand und Bodenflächen sowie das Mobiliar. Doch auch er gehört
zur Geschichte dieses Ortes.
Bei dem
notwendigen Entwurf für die Neugestaltung des Ortes geht es nicht
nur um die Findung einer architektonischen, sondern auch einer städtebaulichen
Lösung. Der parteiübergreifende Konsens der Politiker von CDU
bis zu den Grünen, in jedem Falle die Kubatur des ehemaligen Schlosses
wiederherstellen zu wollen, erscheint städtebaulich als ausgesprochen
fragwürdig: der Kontext, auf den sich das Schloß einst bezog,
hat sich seit dem zweiten Weltkrieg wesentlich verändert.
Nicht nur
ist an Stelle des Schlosses der ungeliebte Palast der Republik getreten,
sondern auch die umgebende Stadt wurde gravierend verändert: die
städtebaulichen Strukturen der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin-Cölln,
auf die sich das ursprüngliche Schloss einst bezog, sind aufgrund
von Kriegszerstörungen nahezu vollständig verschwunden. Durch
die Neuanlage der Stalinallee, des Alexanderplatzes und des Funkturms
hat sich das Zentrum der östlichen Teilstadt nach Osten verlagert
und bildet heute ein grundlegende neue Konfiguration. Bewahrt hat sich
die Situation zum Lustgarten und zu der Straße Unter den Linden.
Doch auch
hier zeigt ein Blick in die Geschichte, dass das vermeintlich unveränderliche
einer steten Transformation unterlag: Das Schloss war ursprünglich
nicht nach Norden, zur Straße Unter den Linden orientiert, sondern
nach Süden, zur mittelalterlichen Altstadt. Als Preußen 1701
zum Königreich wurde, baute Andreas Schlüter das Schloß
zur königlichen Residenz im Stile des Barocks um. Dabei befand sich
das Hauptportal noch im Süden, und der Lustgarten auf der Rückseite
des Schlosses, die Dorotheenstadt mit der Straße Unter den Linden
jenseits der Festungsmauern. Sein Nachfolger Eosander verdoppelte das
Schloss nach Westen und wenig später wurde die Orientierung des Schlosses
um 180 Grad gewendet: der Dom im Süden abgerissen und am Lustgarten
neu errichtet, die Festungsanlage geschleift und die Leerstelle zum berühmten
Forum Fridericianum ausgebaut. Auch im Inneren erfolgten kontinuierliche
Umbauten, um das Bauwerk dem jeweiligen Zeitgeschmack und neuen Funktionen
anzupassen. Um 1850 errichtete Friedrich August Stüler die große
Schloßkuppel, um die Dominanz des Schlosses in der schnell wachsenden
Stadt zu sichern. Nach 1885 erfolgten massive Eingriffe in die Stadtstruktur:
Die Straße Unter den Linden wurde nach Osten mit dem Neubau der
Kaiser-Wilhelm-Straße verlängert, womit der Lustgarten vom
Schloß abgetrennt wird; ein Teil seines Renaissanceflügels
fiel dem Straßendurchbruch zum Opfer. Im Westen riß man die
Bebauung der Schloßfreiheit ab, wodurch die Residenz einen Teil
ihrer städtebaulichen Fassung verlor. Am Lustgarten wurde der zuletzt
von Schinkel umgestaltete Dom gesprengt, um einen monumentalen Prunkbau
Platz zu machen, der die städtebauliche Balance zerstörte. Auch
verlor das Schloß in dieser Zeit seine dominierende Funktion, das
städtische Gravitationszentrum verschob sich nach Westen.
Historisch
betrachtet ist das Schloss kontinuierlich modifiziert und umgebaut worden,
teils als Reaktion auf Veränderungen in seinem städtebaulichen
Umfeld, teils selber Transformationen hervorrufend. Die Geschichte der
einstigen Mitte zeigt ein städtebauliches Kräftespiel auf, das
stets neue städtebaulichen Konfigurationen hervorgebracht hat. Und
heute stehen wir wieder vor der Aufgabe, nach einer äußerst
gewaltsamen Veränderung dieses Ortes eine adäquate städtebauliche
und architektonische Antwort für die jetzige Situation zu finden.
Skepsis
ist dabei weniger gegenüber der zeitgenössischen Architektur
angebracht, die mit Bauten wie etwa dem Guggenheim Museum in Bilbao, der
Tate-Gallerie in London oder dem Jüdischen Museum in Berlin vielfach
nicht nur ein Können, sondern auch eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung
bewiesen hat. Angesichts des Baugeschehens im Berlin des letzten Jahrzehnts
und dem staatlichen Auftreten auf den Weltausstellungen muss man allerdings
Bedenken haben, ob Baupolitik, Bauherrenschaft und Baukultur in Berlin
zur Zeit eine tragfähige Basis für ein solches Unterfangen bilden.
Die Gefahr ist groß, dass hier Architekturkultur zwischen Ideologisierung
und Pragmatismus, zwischen Kulturpessimismus und Profitinteressen zerrieben
wird.
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