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Wenn ein städtisches Areal zu entwickeln ist, haben wir als Architekten
ein klares Modell vor Augen. Es gibt einen Eigentümer oder Investor,
der einen Planer beauftragt, ein Bebauungskonzept zu entwickeln. Oder
eine Kommune, die einen solchen Entwurf erarbeiten lässt, um anschließend
Investoren hierfür zu finden. Die Vorstellung hierbei ist, das mittels
Investitionen in bauliche Maßnahmen die Areale neu gestaltet und
genutzt werden. Die Hauptakteure sind hierbei der Eigentümer, der
Investor und die Kommune. Es wird ein gewünschter Endzustand entworfen,
der dann in einen Bebauungsplan übersetzt wird. Manchmal funktioniert
dieses Prozedere schlecht - sei es, das der lokale Immobilienmarkt eine
schwache Phase durchläuft, sei es, das die Anwohner Widerspruch einlegen,
sei es, das Altlasten entdeckt werden oder Altbauten unter Denkmalschutz
stehen. Dann zeugt jahrelanger Leerstand von den Schwächen eines
solchen Vorgehens. Doch solche Krisen werden kaum zum Anlass genommen,
über andere Methoden nachzudenken.
Doch in der jetzigen Krise der Städte in Ostdeutschland scheitert
dieses Modell völlig: Eine Millionen Wohnungen sowie zahlreiche Industriebauten,
Gewerbeflächen und soziale Einrichtungen stehen leer, die privaten
Investitionen bleiben weitgehend aus und die öffentliche Hand ist
Pleite, so dass sie die Lücke nicht füllen kann. So besehen
besteht kaum eine Handlungsmöglichkeit.
Doch die Krise kann zur Chance werden, zwingt sie uns doch, unsere bisherigen
Annahmen zu überdenken und neue Wege zu finden. Und hierbei stellt
sich heraus, dass auch in der bisherigen Stadtentwicklung durchaus andere
Entwicklungsmodelle existieren. Und diese finden sich genau dort, wo das
oben beschriebene Modell scheitert oder sich über Jahre, gar Jahrzehnte
verzögert. Denn städtische Brachen sind nicht nur eine Oase
für seltene Pflanzen- und Tierarten und einige versponnene Stadtökologen,
sondern auch Keimzelle für einen anderen Urbanismus. Und mit Ihnen
treten auch andere Akteure auf die städtische Bühne.
Hiermit ist ein weiterer Kritikpunkt am dominierenden städtebaulichen
Modell angesprochen. Während die Stadtplanung der klassischen Moderne
mit ihren sozialreformerischen Ideologien die Absicht verfolgte, für
alle Gesellschaftsschichten gute Lebensverhältnisse sicherzustellen,
zielt der Städtebau im Zeitalter des Neoliberalismus auf Schaffung
guter Investitionsbedingung und die Stimulierung privater Investitionen.
Eine solche Planungspolitik hat nurmehr die kapitalstarken, zahlungsfähigen
Bevölkerungsschichten im Auge, ob als Investoren oder Konsumenten.
Typisch für sie ist die Public-Private-Partnership, bei der die Stadtplanung
zunehmend seitens der Investoren selber erfolgt. Räumlich manifestiert
sie sich in einem 'Inselurbanismus‘: investitionsrelevante Standorte
werden als 'Projekte‘ geplant, die dazwischenliegenden Territorien
verschwinden aus dem öffentlichen Bewußtsein. Es entstehen
Enklaven, in denen alles bis hin zum letzten perfiden Detail geplant ist,
etwa der Beeinflussung des Kaufverhaltens durch Farben, Musik oder den
Bodenbelag. Die Territorien dazwischen bleiben außen vor. Und mit
ihnen auch die sozial schwächeren und finanziell weniger potenten
Bewohner.
Im Zeitalter globalisierter Finanz- und Immobilienmärkte und dem
Wechsel von sozialdemokratische zu neoliberalen Politikmodelle verändern
sich die europäischen Gesellschaften. Hier stellt sich die Frage
nach der Neudefinition europäischer Kultur und Gesellschaft. Eine
Wiederbelebung oder Fortführung herkömmlicher sozialstaatlicher
Konzepte zu fordern, wäre angesichts deren paternalistsichen Charakters
sowie der fehlenden öffentlichen Gelder die falsche Antwort. Die
Antwort liegt nicht im Verteidigen alter Besitzstände und Modelle,
sondern in der Fortführung egalitärer und sozial verantwortlicher
Werte mit innovativen Konzepten.
Hilfreich erweist sich hierbei nicht die Ideen heutigen Städtebaus,
sondern ein Blick in die Städte und die in ihnen ohne Planung stattfindenden
Prozessen. Für eine solche Betrachtung eignet sich Berlin besonders
gut, war es doch in den letzten 50 Jahren aufgrund seiner vielzähligen
Brachen quasi ein urbanes Laboratorium zur Untersuchung des Residualen.
Die einer marktwirtschaftliche Verwertung entzogenen und scheinbar funktionslosen
Räume bildeten einen Nährboden für unerwartete Aktivitäten.
Abseits der herkömmlichen gesellschaftlichen Regeln entwickelte sich
hier eine enorme Bandbreite von temporären Nutzungen, von Gemüseanbau,
Freizeit und Sport über sozialen Initiativen und Dienstleistungen,
Alternativ-, Jugend und Popkultur, Kunst- und Musikszene, Nightlife bis
hin zu Migrantenökonomien, Handel und Gewerbe, Erfindern und start-up
Unternehmen.
Brachräume wurden zu Testarealen für neue Aktivitäten.
Sie eröffnen Räume, die Unsicherheit ermöglichen, wo man
naiv sein kann. Man kann Experimente mit unklarem Ausgang realisieren.
Diese können scheitern - wie es gelegentlich passiert. Oder sie können
sehr erfolgreich werden und sich etablieren - dann wird die temporäre
Nutzung zum Ausgangspunkt für eine neue Art langfristiger Nutzung.
Residualräume
sind Brutkästen zur Züchtung neuer Aktivitäten: Hier entstehen
neue Moden und Lebensstile, werden technische Erfindungen gemacht (man
denke nur an die Geschichte des Personalcomputers), entstehen neue Formen
von Kunst, Musik und Popkultur und begründen sich start-up-Unternehmen.
Und obgleich sie fast ohne Geldmittel auskommen, sind sie zentrale Standorten
für die Kulturproduktion der jeweiligen Stadt. Denn was sich in Berlin
besonders deutlich zeigt, findet sich auch in anderen Städten. Sei
es in Helsinki die 'Kabelfactory' oder das 'Magazinii', in München
der 'Kulturpark Ost', in Wien das 'KDAG-Gelände' oder das 'Flex'
- für das öffentliche Leben in der Stadt spielen diese Orte
meist eine vergleichbar wichtige Rolle wie klassische Kulturinstitutionen,
wie es sich spätestens beim dem Blick in einen Reiseführer offenbart.
Die temporären Nutzer verfügen über keine oder nur geringe
finanzielle Ressourcen und befinden sich meist am Rand oder außerhalb
des etablierten Gesellschaftssystems. Für manche - wie Migranten
und Existenzgründer - werden temporäre Aktivitäten in Residualräumen
zum Sprungbrett für eine Karriere, für andere stellen sie Nischen
und Rückzugsräume zum Ausstieg aus etablierten Lebensbildern
dar. In beiden Fällen ermöglicht der nahezu unentgeltliche Zugang
zu Räumen finanzschwachen Akteuren die Möglichkeit zur aktiven
Mitgestaltung von Stadt. Diese recyceln die vorgefundenen Räume und
Materialien und realisieren ihre Nutzung mit minimalen physischen Eingriffen
- urbanism light. Das Kapital der Nutzer sind nicht Geldmittel, sondern
Kreativität, Engagement und soziale Netzwerke. Sie entwickeln sich
in der Regel nicht isoliert, sondern in Clustern. Diese entwickeln spezifische
Nutzungsprofile und Identitäten und mithin einen typischen Programmix.
Während eine solche Profilbildung bei Shoppingcentern von Projektsteuern
durch die Auswahl der Mieter künstlich und zentralistisch geplant
generiert wird, entwickelt er sich hier über die Zeit aufgrund sozialer
Netzwerke und der persönlichen Wertvorstellungen der Beteiligten.
Hierbei entstehen auch lokale Ökonomien, in denen sich zwischen den
verschiedenen temporären Nutzern nicht-monetäre Tauschverhältnisse
ausbilden. Diese werden oft auch in der Beziehung zum Eigentümer
wichtiger als der Transfer von Geldmitteln.
Während die Nutzer den Raum zur Verfügung gestellt bekommen,
profitiert der Eigentümer von einer Aufwertung und Bekanntwerden
der Immobilie, der Etablierung neuer Nutzungsformen am Standort und von
einem Schutz vor Verfall und Vandalismus. Zuweilen gibt es Immobilieneigentümer,
die von sich aus die Initiative ergreifen, um von diesen nicht-finanziellen
Effekten temporärer Nutzungen zu profitieren.
Gemeinhin betrachtet man temporäre Nutzungen als Zwischennutzung,
mithin ein ephemeres Phänomen, das ohne langfristige Wirkung bleibt.
Bei einer genauer Betrachtung kann man jedoch langfristige Auswirkungen
auf drei Ebenen feststellen: Zum ersten verleihen sie ihren Standorten
neue Identitäten und etablieren an ihnen neue Formen von Nutzungen,
die meist in das angrenzende Stadtquartier ausstrahlen und zuweilen Prozesse
der Gentrifizierung in Gang setzen. Zum zweiten werden temporäre
Nutzung oft zum Wendepunkt in der Biografie der Akteure, an dem sie ihre
eigentliche Lebens- und Berufsperspektive finden, die sie anschließend
weiterverfolgen und dabei oft zu völlig neuen Berufsbildern finden.
Zum dritten etablieren sich Nutzungen, die auch nach dem Ende einer Zwischennutzung
stabil und langfristige bestehen bleiben - entweder indem das Projekt
den Ort wechselt und sich an neuen Standorten weiterentwickelt - wie etwa
in Berlin Institutionen wie das Haus des Lehrers, das Tempodrom und das
WMF -, sich am selben Ort verstetigen - wie etwa die Kunstwerke oder die
UFA-Fabrik - oder in dem andere das Nutzungskonzept kopieren. Hierzu ist
auch die gesamtkulturelle Ausstrahlung zu zählen, wie etwa die Alternativkultur
der 70er Jahre, die Punk-Bewegung der 80er Jahre oder die Techno-Szene
der 90er, deren jeweilige Entstehung auf temporäre Nutzungen von
Residualräumen zurückzuführen ist.
Diese Phänomene vollziehen sich zunächst jenseits von Architektur
und Stadtplanung. Gleichwohl haben sie deutliche Auswirkungen auf Stadtentwicklung
und Stadtkultur. Dies war Anlass, das Forschungsprojekt Urban Catalyst
[ 1 ] zu begründen,
welches die These verfolgt, dass temporäre Nutzungen ein vernachlässigtes
Potential darstellen, die eine strategische Rolle an schwer entwickelbaren
Immobilienstandorten spielen können und eine wichtige Ergänzung
zu kapitalorientierten Stadtentwicklungskonzepten darstellen. Nachdem
wir in uns in der ersten Phase des Projektes der Analyse des Phänomens
in fünf europäischen Metropolen (Helsinki, Amsterdam, Berlin,
Wien, Neapel) gewidmet haben, ziehen wir jetzt aus dem Beobachten Schlussfolgerung
für die Praxis von Kommunen und Planern und formulieren Handlungsstrategien.
Was können
Planer von Prozessen lernen, die sich ungeplant vollziehen und deren Spontaneität
ihr wesentliches Merkmal ist? Und welche Rolle können sie hierbei
einnehmen?
Projekt- bzw. Stadtentwicklung erfolgt hier weniger als Planung physischer
Maßnahmen und deren Finanzierung denn als Stimulierung von Nutzungen.
Diese werden nicht geplant, sondern es werden Rahmenbedingungen geschaffen,
um ihre Entwicklung zu ermöglichen oder zu erleichtern. Wesentlich
hierbei ist es, die Interaktion zwischen den verschiedenen Beteiligten
(Nutzer, Kommune, Eigentümer, Öffentlichkeit) und mithin einen
sozialen Prozess zu gestalten. Bei der Analyse stellte sich heraus, das
für die Entstehung vermeintlich ungeplanter Nutzungen zumeist Agenten
eine zentrale Rolle spielen. Agenten können private Aktivisten oder
auch Angestellte in der öffentlichen Verwaltung sein, die meist ohne
dafür beauftragt zu sein, sich aus idealistischen Motiven engagieren.
Durch die Vernetzung von Akteuren ermöglichen sie temporäre
Nutzungen und vermitteln dabei zwischen den verschiedenen und oft schwer
überbrückbaren 'Welten' von Administration, Immobilienbranche
und Subkultur. Sie sind im besten Sinne 'Ermöglicher' - wie Cedric
Price sagen würde - sie legen nichts fest, sondern schaffen neue
Möglichkeiten. Mithin initiieren sie einen ergebnisoffenen Prozess,
eine emergierende Standortentwicklung, die sie manchmal kuratierend beeinflussen.
An den Teststandorten des Forschungsprojekts haben wir inzwischen selber
zum Teil eine solche Agentenrolle eingenommen, um die formulierten Handlungsstragien
in einer realen Situation zu testen und konkrete Projekte zu realisieren,
wie etwa die temporäre Nutzung von Verkehrsrestfläche in Wien
oder Zwischennutzungen für den Palast der Republik sowie für
ein Heizkraftwerk in Berlin. Dabei geht es uns nicht um die Formulierung
eines Endzustands, sondern um das Anstoßen und die Fortführung
eines Prozesses. Dafür entwickeln wir ein Inventar von 'Hard- und
Softtools', sein es juristische oder administrative Maßnahmen, Formen
der Moderation oder Kommunikation, physische Eingriffe oder anderes, die
in den verschiedenen Phasen der Prozesse nach Bedarf flexibel angewandt
werden können.
Projektbeispiele
Amsterdam: Kinetic North. Instrumentalisierung temporärer
Nutzer zur Immobilienentwicklung
Nördliches
des Ij-Flußes liegen große, in den 80er Jahren brachgefallene
Hafengebiete. Obgleich zum Teil nur wenige hundert Meter vom Hauptbahnhof
entfernt, sind sie im öffentlichen Bewusstsein nicht Teil der Stadt.
Während in den letzten Jahren am südlichen Ij-Ufer mit großem
Aufwand durch Landgewinnung neue Wohngebiete für die wachsende Metropole
gewonnen wurde, bietet sich hier ein ungenutztes Potential, welches die
Kommune Amsterdam Noord entwickeln möchte. Hierfür verfolgt
sie - zugleich als Bodeneigentümer - ein neuartiges Entwicklungskonzept,
dessen Kern die temporäre Ansiedlung kultureller Nutzer ist. Sie
sollen das Gebiet im öffentlichen Bewusstsein bekannt machen und
mittelfristig eine lebendige Nutzungsmischung im neuen Stadtteil sicherstellen
sollen. Hierfür steht eine 20.000 qm große Halle sowie große
Freiflächen der ehemaligen Schiffswerft von NDSM zur Verfügung.
Anfang 2000 wurde ein Wettbewerb durchgeführt, um eine Trägerorganisation
für die temporäre Nutzung zu finden. Diesen gewann die Gruppe
Kinetic Noord, eine zu diesem Zweck gegründete Initiative aus der
ehemaligen Besetzerszene Amsterdams. Sie sehen eine gemischte Nutzung
mit über hundert Akteuren unterschiedlicher Couleur vor: Theater,
Kleinbetreibe, Handwerker, Künstler, Händler, Existenzgründer,
Schiffsbauern Recyclingfirmen usw. Die Kommune stellt 7,5 Millionen Euro
für die Sanierung der Halle zur Verfügung, die Nutzer erhalten
einen 10 Jährigen Nutzungsvertrag bei einer Miete von 1 Euro/ qm.
Das Projekt bildet die Keimzelle für die Entwicklung eines etwa 2
Quadratkilometer großen Stadtteils, in dem in den nächsten
Jahren über 3 Mill. Qm Geschoßfläche entstehen sollen.
Berlin: Haus des Lehrer. Züchten
von neuen Nutzern - ein selbstorganisiertes Existenzgründerzentrum
Das denkmalgeschützte
DDR-Gebäude am Alexanderplatz im Eigentum des Bezirks stand seit
1993 zum Verkauf, doch konnte aufgrund seines renovierungsbedürftigen
Zustand und denkmalpflegerischer Auflagen kein Käufer gefunden werden.
Nachdem 1998 die letzten Nutzer ausgezogen waren, stand des Gebäude
ein Jahr leer, bis sich der Bezirk entschied, es zu relativ geringer Miete
(8,5 Euro ) temporär an über 30 Zwischennutzer aus dem künstlerischen
Bereich zu vermieten. Diese wurden mittels eines Bewerbungsverfahren einzeln
ausgewählt, bei dem die Interessenten jeweils ein Nutzungskonzept
vorlegen mussten und interviewt wurden. Zu Ihnen gehörten unter anderem
Architekturbüros, Filmproduzenten, Grafikdesigner, Sound-Gestalter
und Künstler, die hier zumeist mit Existenzgründung ihre erste
Räumlichkeit bezogen. Obgleich man sich zuvor nicht kannte, entstanden
bald ein intensiver Austausch untereinander, der in einer Vernetzung,
Projektkooperationen und gegenseitige Beauftragung mündete. Die vermeintliche
Disfunktionalität des Hauses förderte mit Ihren zahlreichen
kommunikativen Bereichen die Synergie - es entstanden neben wöchentlichen
Treffen gemeinsame Veranstaltungen und öffentliche Auftritte der
Hausgemeinschaft wie etwa Ausstellungen, Musik-Lounge, Filmvorführung
und Sound-Events. Als nach zweijähriger Nutzungszeit die Kündigung
erfolgte, war aus der heterogenen Mietergemeinschaft ein kreatives Netzwerk
- nahezu ein Label - geworden, die für den gemeinsamen Erhalt kämpften.
Dies scheiterte zwar, jedoch suchten und fanden die Akteure eine - wenn
auch geteilte - gemeinsame neue Basis: das Haus des Reisens und das Neue
Deutschland. Die Zellteilung und ein Überschuss an neuem Raum führte
bald zu einem schnellen Anwachsen der Community.
Berlin: RAW. Konsolidierung temporärer Nutzung durch den Konflikt
mit Eigentümern.
Das einstige
Reichsbahnausbesserungswerk im Besitz der Immobilientöchter der Deutschen
Bahn stand seit 1994 leer und wurde im Sommer 1998 von zwei Aktivistinnen
entdeckt. Aufbauend auf frühere Projekterfahrung agierten sie als
Agentinnen, um einen Ort für alternatives Leben und Kultur zu entwickeln.
Als die Bahn das Gelände an den von ihnen gegründeten Verein
wegen fehlender Seriosität nicht vermieten wollte, konnten sie den
Bezirk überzeugen, für sie als Bindeglied einen Teil des Geländes
mit drei Gebäuden (6.000 qm) für zunächst drei Jahre zu
mieten, wobei die Kosten von insgesamt 900 Euro / Monat von der Nutzergemeinschaft
getragen wird. Nach Etablierung dieses Rahmen fanden sich schnell über
70 Projekte vorwiegend aus dem sozialen und kulturellen Bereich ein.
Aufgrund der vorzeitigen Kündigung des Eigentümers, der das
Areal kommerziell entwickeln möchte, konsolidierte sich der Zwischenzeitlich
lose gewordene Verbund der Akteure und erzielte durch politischen Druck
die Durchführung eines Kooperativen Gutachterverfahrens.
Aus diesem ging der Entwurf des Büros von Kees Christiaanse/ Astoc
als Sieger hervor, welches unter Beratung von Studio Urban Catalyst eine
Entwicklungsstrategie unter Einbeziehung temporärer Nutzungen formuliert
hatte. Obgleich der Entwurf nunmehr in der Umsetzung durch ein herkömmlichen
Bebauungsplan unterminiert wird, konnten die Nutzer einen Teilsieg erringen,
in dem ihnen die vorübergehende weite Nutzung ihres bisherigen Areals
und die dauerhafte Nutzung eines der drei Bauten durch den Eigentümer
angeboten wurde. Der Verein bereitet nunmehr die Gründung einer Genossenschaft
vor, welche gegebenenfalls die Immobilie kaufen würde und die Projektentwicklung
weiterer Teile des Geländes erwägt.
Berlin: WMF. Temporalität als Konzept permanenter Aktualisierung.
Der legendäre
Club WMF entstand 1990 mit der Besetzung des ehemaligen Verwaltungssitz
der Württembergischen Metallwaren Fabrik in Berlin-Mitte. Nachdem
die Firma 1992 ihr einstiges Eigentum rückübertragen bekam,
zog der Club - weiterhin illegal agierend - in die Toilettenanlagen unter
dem ehemaligen Todesstreifen am Leipziger Platz. Von Kompetenzkonflikte
zwischen Polizei und Bundesgrenzschutz profitierend, konnte sich der Club
bis 1994 halten. Nach dieser Episode legalisierte sich der Club als GmbH
und mietete Räume in der Nähe des Hackeschen Markts als Zwischennutzer.
1997 erfolgte der Umzug in die das unweit gelegene ehemalige Gästehaus
des Ministerialrats der DDR und drei Jahre später in Räumlichkeiten
in der Ziegelstraße. Stets als Zwischennutzer unsanierter Bauten
von niedrigen Mieten profitierend, verzichtet der Club auf Kämpfe
um den Verbleib an einem Standort. Die Betreiber sehen im steten Umzug
eine Chance für eine permanente Neukonzeption, wobei mehrere Künstler
aus recycelten Altmaterialien die Räumlichkeiten von jeweils neu
gestalten. Dies hat dazu beigetragen, dass der Club von den Nachtschwärmern
nach wie vor als einer der besten und innovativsten Orte angesehen wird.
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